Название | Gewaltlosigkeit im Islam |
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Автор произведения | Muhammad Sameer Murtaza |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783864082573 |
Als die mekkanische Seite zwei Jahre später vertragsbrüchig wurde, indem ein mit Mekka verbündeter Stamm einen mit den Muslimen verbündeten Stamm angriff, nahmen die Muslime nahezu ohne jegliche Kampfhandlungen Mekka ein. Weder nahm die muslimische Seite Rache an ihren ehemaligen Verfolgern, noch demütigten sie ihre ehemaligen Unterdrücker, noch nahmen sie die Haltung des Siegers ein, sondern der Prophet Muhammad vergab der mekkanischen Bevölkerung und erteilte eine Generalamnestie, um damit der alten Feindschaft ein für alle Male ein Ende zu setzen.76
Für Khan ist es folglich ein gänzliches Missverständnis, wenn Muslime den Propheten als einen Militärführer bewundern, da sich das Leben Muhammads als das Leben eines Mannes liest, der Gewalt eindämmen wollte. Auch die Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong äußerte, dass Militärhistorikern zufolge Muhammad und die ersten Kalifen einzigartig darin waren, ihr Reich mehr durch Diplomatie als mit Gewalt aufzubauen.77
Aber für das Heute gilt: In einer Zeit, in der wir Menschen zu den Schöpfern unserer eigenen globalen Vernichtung geworden sind, sollten Muslime als Gewaltverzichter ein Vorbild für alle Menschen sein. Der indische Gelehrte schreibt:
Heute haben wir letztendlich eine Stufe erreicht, in der jede Form von Gewalt nicht wünschenswert ist. Wahrlich, eine friedvolle Strategie ist die einzige überlebensfähige Lösung. (…) Es ist daher keine Übertreibung zu sagen, dass in der heutigen Zeit ein gewalttätiges Engagement nicht nur eine viel schwerer zu ergreifende Alternative ist, sondern dass sie in der Praxis nicht sinnvoll ist. Dagegen ist die Gewaltlosigkeit nicht nur die viel leichter zu ergreifende Alternative, sondern sie ist im höchsten Maße die effektivere und Resultate erzielendere Methode. Heute ist die friedvolle Handlungsweise nicht nur eine von vielen Möglichkeiten, es ist die einzige praktikable und gewinnbringende Option. Da dem so ist, ist es nur rechtens zu sagen, dass Gewalt verworfen werden kann.78
In Zeiten, in denen der klassische symmetrisch geführte Krieg durch eine asymmetrische Kriegsführung ersetzt worden ist, in denen zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten nicht mehr unterschieden werden kann, in denen der einfache Soldat ausgedient hat und durch Kampfflugzeuge und ferngesteuerte Drohnen ersetzt worden ist und Waffensysteme ausgerichtet sind, möglichst große Zerstörung anzurichten, kann die vom Gesandten Gottes sanktionierte Kriegsethik nicht mehr angewendet werden. Dies bedeutet aber nicht, dass diese hierdurch obsolet geworden ist, sondern, dass der bewaffnete ğihād, gleichwohl es sich bei ihm um Selbstverteidigung handelt, obsolet geworden ist. Kampf, gleichgültig wie begründet, kann durch die heutige Waffentechnologie nur in der Zerstörung der uns anvertrauten Welt münden. Dies werde jedoch, so Khan, zum einen im Qurʾān durch die Bezeichnung fasad, zu Deutsch Verderbnis, (siehe Sure 2, Vers 205) untersagt, und zum anderen habe sich in der Gegenwart gezeigt, dass überall, wo insbesondere Muslime durch den Einsatz von Gewalt eine Veränderung ihrer Lage herbeiführen wollten, diese Länder in Chaos und Rückständigkeit versunken seien.79
Die prophetische Anleitung zu einem gewaltlosen Leben besagt nach Khan:
1) Selbstkontrolle: Der Gläubige soll durch Wachsamkeit und Aufmerksamkeit lernen, sein Gefühlsleben zu beobachten. Er soll nicht zum Sklaven von Gefühlsimpulsen werden, sondern Herr über seine Empfindungen sein. Khan erklärt, dass Gewalt zuallererst in den Gedanken geboren wird, wenn wir negativ und vorurteilsbehaftet über andere denken. Während des Schlafes würden diese Gedanken vom Bewusstsein in das Unterbewusstsein wandern und dort zu einem integralen Bestandteil der Persönlichkeit eines Menschen werden.80 Im Alltag hat dies zur Folge, dass man sich nun gegenüber diesen Menschen in Sprache und Handlungen feindselig verhält. Folglich solle der Muslim seine Persönlichkeit reinigen, was zu Arabisch tazkiya bedeutet,81 indem er kontinuierlich Hassgedanken mittels der Vernunft Einhalt gebietet.82
2) Einladen zum Islam (daʿwa): Der Muslim soll weder dem Krieg noch muslimischen Militärführern huldigen, sondern er soll sich als Friedensstifter und Botschafter des Islam begreifen. Er soll den Menschen nicht Zerstörung, sondern Leben bringen. Er solle es sich zur Lebensaufgabe machen, die Botschaft des Islam und die Aufklärung über den Islam auf barmherzige Weise seinen Mitmenschen zu vermitteln.83
3) Gewaltloser Widerstand: Überall dort, wo Muslime durch einen Aggressor bedroht werden, sollen sie die Methode des gewaltlosen Widerstandes praktizieren. Gewaltloser Widerstand, so Khan, bedeutet nicht Passivität oder inaktiv zu sein, sondern er erfordert die Stärke, Herr über die eigenen Emotionen und das eigene Gewaltpotenzial zu werden. In Gewaltlosigkeit zu leben, selbst im Angesicht des Todes, erfordert höchste Selbstkontrolle. Der gewaltlose Widerstand ist nur insofern passiv, als dass der Gegner nicht physisch angegriffen wird. Aber die Vernunft und die Gefühle des gewaltlosen Aktivisten sind beständig aktiv, den Aggressor zu überzeugen, dass er im Unrecht ist. Gewaltloser Widerstand ist also aktiver gewaltloser Widerstand gegen das Böse.84 Khan verweist auf nachstehende Verse aus der islamischen Offenbarung:85
Wehre das Böse mit Gutem ab! (…) (23:96)
Und wer führt bessere Rede, als wer zu Gott einlädt und das Rechte tut und spricht: „Ich bin einer der Gottergebenen?“ Das Gute und das Böse sind fürwahr nicht gleich. Wehre (das Böse) mit Besserem ab, und schon wird der, zwischen dem und dir Feindschaft war, dir wie ein echter Freund werden. (41:33–34)
Der Gläubige soll sich auch nicht dazu verführen, provozieren und hinreißen lassen, auf erlittenes Leid mit Gegengewalt zu reagieren, sondern er soll die Notwendigkeit des Leids erkennen, um hierdurch ein Gefühl der Scham im Aggressor zu wecken. Dieser soll in sich zu der Einsicht gelangen, dass er in dem Moment, in dem er einem anderen Menschen schadet, seine eigene Menschlichkeit verrät. Daher soll der Muslim Leid mit Standhaftigkeit (ṣabr) begegnen86 und auf Gott vertrauen, der im Qurʾān verspricht:87
Doch wahrlich, mit (jeder) Schwierigkeit kommt (auch) Erleichterung! (94:5)
O ihr, die ihr glaubt! Seid standhaft und wetteifert in Geduld und haltet aus und fürchtet Gott, damit es euch wohl ergeht. (3:200)
Ein weiteres Charakteristikum dieser Methode ist, dass sie sich nicht gegen die Personen richtet, die das Böse tun, sondern nur gegen deren Handlungen. Der gewaltlose Aktivist soll nie vergessen, dass sein Gegenüber ebenso mit einer transzendenten Würde versehen ist, auch wenn er sich nicht ihr entsprechend verhält. Durch das Ertragen von Leid signalisiert der Gläubige seinem Gegenüber, dass er ihn in seinem Menschsein nicht aufgeben wird, dass selbst wenn er ihm jetzt schadet und verletzt, der gewaltlose Aktivist die Hoffnung hegt, dass wenn der Aggressor zu seinem Menschsein wiedergefunden hat, die zerbrochene menschliche Gesellschaft wiederhergestellt werden kann sowie Versöhnung und Freundschaft möglich sind.88
Ein anderes Zusammensein in einer globalisierten Welt hält Maulana Wahiduddin Khan für ausgeschlossen. Die Welt ist geprägt durch Verschiedenheit. Wir alle sind erst einmal, bevor wir uns irgendeiner Religion oder Nationalität zuordnen, Weltbürger mit einer Weltverantwortung für die gesamte Menschheit. Weltgemeinschaft, so Khan, bedeutet menschliche Einheit in der Vielfalt, denn diese sei ein unauslöschbares Charakteristikum menschlichen Lebens. Wer diesen Gedanken verinnerliche, der würde andere in ihrem Anderssein belassen, und dies führe zum Frieden zwischen den Menschen.89 Frieden wiederum sei Voraussetzung für die Entstehung von Kultur und Zivilisation, all das, was der muslimischen Welt heute fehle, was sie aber einst besaß.90 Daher sollten Muslime sich jeglichen chauvinistischen Denkens entledigen und zurückkehren zum Humanum des Qurʾān, der die Geschwisterlichkeit aller Menschen trotz ihrer Verschiedenheit verkündet:91
O ihr Menschen! Fürchtet eueren Herrn, Der euch aus einem (einzigen) Wesen erschuf und aus ihm seine Gattin und aus ihnen viele Männer und Frauen entstehen ließ. Und seid euch Gottes bewusst, in Dessen Namen ihr einander bittet, und eueren Verwandtschaftsbindungen. Siehe, Gott wacht über euch. (4:1)
Alle Menschen sollten im Geiste dieser Geschwisterlichkeit zusammenleben.92 Das bedeutet: Solange ein Mensch sich in erster Linie durch eine Gruppenzugehörigkeit und erst in zweiter Linie durch sein Menschsein definiert, solange bleibe nicht nur derjenige, der nicht zur eigenen Gruppe gehört, ein Fremder, sondern der Mensch