Название | Gewaltlosigkeit im Islam |
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Автор произведения | Muhammad Sameer Murtaza |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783864082573 |
Die Anführer der Glaubensverweigerer seines Volkes sprachen: „Wahrlich, wir sehen dich in Torheit befangen. In der Tat, wir erachten dich für einen Lügner.“
Er sprach: „O mein Volk! An mir ist keine Torheit, sondern ich bin ein Gesandter vom Herrn der Welten. Ich bestelle euch die Botschaft meines Herrn, und ich bin euch ein treuer Berater.“ (7:65–68)
Analog heißt es in der Schuayb-Erzählung:
Die Wortführer der Hochtrabenden seines Volkes sprachen: „Wahrlich, wir werden dich aus unseren Städten heraustreiben, o Schuayb, samt den Gläubigen, die bei dir sind, es sei denn, ihr kehrt zu unserer Religion zurück.“
Er sprach: „Etwa auch, wenn sie uns ein Gräuel ist? Wenn wir zu euerer Religion zurückkehrten, würden wir gegen Gott eine Lüge ersinnen, nachdem uns Gott aus ihr befreite. Wir kehren nicht zu ihr zurück, es sei denn, Gott, unser Herr, wollte es. Unser Herr umfaßt alle Dinge mit Seinem Wissen. Auf Gott vertrauen wir. Unser Herr, entscheide nach der Wahrheit zwischen uns und unserem Volk: Du bist der beste Richter.“ (7:88–89)
In all diesen Erzählungen sind die Propheten und ihre Anhänger stets eine Minderheit in ihrer jeweiligen andersgläubigen Gesellschaft. Sie werden mit Gewalt konfrontiert, wenden selber aber keine Gewalt an. Anhand dieser prophetischen Lebensmodelle schlussfolgert Saʿid, dass die Propheten in ihren jeweiligen Gesellschaften zwar Wandel erzielen wollten, diesen jedoch niemals gewaltsam herbeiführten. Zu sehr ruhte ihr Vertrauen in die Offenbarung, die allen menschlichen Konzepten und Ideen überlegen ist und sich daher unter allen Umständen eines Tages friedlich und durch Überzeugungsarbeit durchsetzen würde.16
Auf den ersten Blick scheinen jedoch die prophetische Botschaft Muhammads und dessen Lebensmodell hierzu im Widerspruch zu stehen, da der Qurʾān das Recht auf Selbstverteidigung beinhaltet.
Nach Saʿid unterscheidet sich das prophetische Lebensmodell Muhammads von nahezu allen vorherigen Propheten – mit Ausnahme Davids und Salomos –, da es in zwei Phasen unterteilt werden kann: einer mekkanischen und einer medinensischen.
Diese beiden Lebensphasen müssen genauestens in ihrem Kontext verstanden werden, damit sie weder von Extremisten muslimischen Glaubens noch von Islamophoben missbraucht werden können: In der ersten dreizehn Jahre andauernden Phase, nämlich der mekkanischen, wurde der muslimischen Gemeinschaft trotz Verfolgung, Folter, sogar Tötung jeglicher gewaltsame Widerstand untersagt. Die Biografien zahlreicher Prophetengefährten legen Zeugnis für deren gewaltlosen Ungehorsam ab. So heißt es in einer mekkanischen Offenbarung:17
Doch nein! Gehorche ihm [dem Aggressor] nicht, sondern wirf dich (vor Gott) nieder und nähere dich (Ihm). (96:19)
In Mekka fand sich der Prophet Muhammad, so Saʿid, in der gleichen Situation vor, wie so viele Propheten vor ihm, ein einzelner Gottesrufer inmitten einer Gesellschaft der Glaubensverweigerer.
Diese Situation änderte sich aber grundlegend 622 mit der Auswanderung (hiğra) der muslimischen Gemeinde nach Medina, wo sie von ihren Glaubensgeschwistern empfangen und aufgenommen wurde. Das vormalige Yathrib wird nun zu Medina, der Stadt des Propheten (madinatu ʾn-nabī), einer Oase mit einer religionspluralen Gesellschaft (Muslime und Juden), gegründet auf dem Glauben an den einen Gott. In der mekkanischen Phase war es den Muslimen inmitten einer unislamischen Gesellschaft nicht gestattet, sich mittels Gewalt gegen Angriffe zu verteidigen, verteidigen dürfen sie sich aber nun in der medinensischen Phase, da Medina eine auf dem Gottesglauben gegründete souveräne Gesellschaft ist,18 in der die Muslime Regierungsverantwortung haben und für die Sicherheit der Oasenbewohner verantwortlich sind. So wie es David (siehe z. B. Psalm 18,33–51) und Salomo gestattet war, zur Verteidigung Israels zu den Waffen zu greifen, so dürfen dies nun auch die Muslime. Der Kontext hat sich grundsätzlich gewandelt, daher heißt es im Qurʾān:19
Erlaubnis [zur Verteidigung] ist denen gegeben, die bekämpft werden – weil ihnen Unrecht angetan wurde – und Gott hat gewiß die Macht, ihnen beizustehen; (22:39)
Gott verbietet euch nicht, gegen die gütig und gerecht zu sein, die euch nicht wegen eueres Glaubens bekämpft oder euch aus eueren Häusern vertrieben haben. Gott liebt fürwahr die gerecht Handelnden. (60:8)
Saʿid unterscheidet ableitend aus dem Lebenskontext des Propheten Muhammad zwischen dem gewalttätigen Widerstand einer muslimischen Minderheit in einer nicht muslimischen Gesellschaft, den er verurteilt, und der berechtigten Verteidigung einer souveränen Gesellschaft vor Angriffen von außen.
Für die Gegenwart plädiert er allerdings für den totalen Gewaltverzicht, denn im Zeitalter atomarer, biologischer und chemischer Massenvernichtungswaffen sei jede Form von Krieg irrational, da die Menschheit die Waffen zu ihrer eigenen Vernichtung erbaut habe.
Widersprüchlich hierzu ist allerdings seine Haltung zum bewaffneten Widerstand in Palästina gegen die israelische Besatzung, den er aufgrund seines Gedankenganges verurteilen müsste, aber in einem Interview 1998 de facto nicht tat.20 Gleichwohl er den Palästinensern den gewaltlosen Widerstand ans Herz legte. Gegenwärtig lehnt der bekennende Assad-Gegner wiederum den bewaffneten Kampf in Syrien gegen das Assad-Regime mit den Worten ab, dass jene, die an die Macht der Waffen glauben, nicht an die Macht der Wahrheit glauben würden.21
Die praktische Umsetzung des gewaltlosen Ethos im Islam
Während die Propheten auf Gewalt verzichtet oder zumindest sie einzig und allein auf Grundlage der Selbstverteidigung einer souveränen Gesellschaft stark eingeschränkt haben, legt die Menschheitsgeschichte Zeugnis darüber ab, dass der Mensch, so Saʿid, seit jeher dazu tendiere, ein Anhänger des ersten Mörders zu sein. Damit haben sich die Befürchtungen der Engel bei der Erschaffung des Menschen bewahrheitet, als sie Gott gegenüber äußerten:22
(…) Willst Du auf ihr [der Erde] einen einsetzen, der auf ihr Verderben anrichtet und Blut vergißt? (…) (2:30)
Die intellektuelle Wiedergeburt – nicht nur der Muslime –, sondern aller Menschen bestünde darin, dem gewaltlosen Sohn Adams und seinem Bekenntnis zu folgen, das da lautet:
Wahrlich, erhebst du auch deine Hand gegen mich, um mich totzuschlagen, so erhebe ich doch nicht meine Hand gegen dich, um dich zu erschlagen.
Der Reifungsprozess und Triumph für jeden Menschen bestünde in der Selbstgewissheit, dass ein anderer Mensch ihn zwar töten könne, aber es niemals gelingen wird, ihn selber zu einem Mörder zu degradieren.23 „Und noch immer“, so Saʿid, „kommt die Botschaft dieses Textes bei uns Muslimen nicht an. Aber auch Jesus sagte: ,Und wer dich schlägt auf eine Backe, dem biete die andere auch dar‘, und doch verübten auch Christen Gewalt im Namen der Religion (…).“24
Das Ethos des gewaltlosen Sohnes Adams verpflichte den Muslim dazu:
1) jede Schmähung, jedes psychisch und physisch zugefügte Leid durch das Vertrauen auf Gott (tawakkul ) geduldig zu ertragen. Saʿid verweist hierbei auf folgenden Vers:25
Und warum sollten wir nicht Gott vertrauen, da Er uns doch unseren Weg bereits gezeigt hat? Wahrlich, wir wollen geduldig ertragen, was ihr uns an Leid zufügt, und Gott sollen alle Vertrauenden vertrauen. (14:12)
2) Weiter darf ein Muslim in seinem Handeln nicht Gleiches mit Gleichem vergelten, sondern stattdessen soll er den Hass, der ihm begegnet, durch entgegengesetztes Tun in Liebe umwandeln. Abermals stützt sich Saʿid auf die Offenbarung:26
Das Gute und das Böse sind fürwahr nicht gleich. Wehre (das Böse) mit Besserem ab, und schon wird der, zwischen dem und dir Feindschaft war, dir wie ein echter Freund werden. (41:34)
3) Soll der Muslim die Strukturen pathologischer Gewalt erforschen und durch gesellschaftliche Erziehung und Reformen durchbrechen. Saʿid führt den Vers heran:27
(…) Gewiß, Gott verändert die Lage eines Volkes nicht, solange sie sich nicht selbst innerlich