Название | Sagenhaftes Muldenland |
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Автор произведения | Anne Maurer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783867295161 |
Ob diese Sagen heute noch für wahr gehalten werden? Mein Großvater Ewald Müller aus Zwochau kannte einige sagenhafte Geschichten, die ihm von seiner Mutter und Großmutter erzählt wurden. Mit Augenzwinkern verriet er mir: Wie die das erzählt hat, meine Mutter, das hab’ ich der geglaubt.
Geheimnisvolle Muldenlandschaft
Von alters her regten die sanften Hügel der Porphyrkuppen, die engen Talabschnitte mit ihren Felsformationen entlang der Mulde, die tiefen Wälder und besonders Gewässer die Phantasien der Menschen an. Bäche und Gräben, Sumpflöcher, nebelumhüllte Dorfteiche und die Mulde mit Strudeln und Stromschnellen wurden zu unheimlichen Orten, in denen Wassermänner und Nixen hausten und Menschen auf rätselhafte Weise ums Leben kamen. Wie eine magische Grenze teilte der Fluss das Muldenland. Wenn etwa ein Koboldbesitzer von seinem Kobold gar zu sehr geneckt wurde, musste er nur übers Wasser ziehen, und er war von diesem frechen Kerl auf alle Zeit befreit.
An der Mulde fallen einige markante Felsformationen ins Auge, deren Namen bereits Sagenhaftes erahnen lassen: der Nixstein bei Podelwitz, der Trauschkenstein bei Wurzen oder der Trompeterfelsen bei Grimma (S. 114, 149, 75). Sagen ranken sich auch um außergewöhnlich große Steinblöcke, die in unserer porphyrreichen Gegend und eiszeitlichen Endmoränenlandschaft auf Feldern, in Wäldern oder auf Hügeln gefunden wurden, wie der Riesenstein bei Röcknitz, das Brautbett bei Seelingstädt oder der Napoleonstein bei Thammenhain (S. 118, 123, 127).
Unter den sanften Hügeln der Muldenlandschaft wurden – nach Funden von Schmuck und Gerätschaften aus der Bronzezeit – gewaltige Schätze vermutet, von Zwergen- oder Menschenhand dort hingetragen. Der Kapellenberg bei Mutzschen und der Geldberg bei Glasten wurden so Ziele eifriger Schatzsucher. Auch wähnte man vergrabene Reichtümer unter auffälligen Bäumen wie der Küchenbuche in Großbothen oder der Bettlereiche bei Bröhsen (S. 108, 68, 85, 43).
Und wenn sich die großen Bäume am Wegesrand im starken Westwind bogen, suchte man sich in Sicherheit zu bringen: Dann war der germanische Gott Wotan mit seinem Gefolge unterwegs auf wilder Jagd durch die Muldentaler Lüfte (S. 126).
Sagenhaftes aus Napoleons Zeiten
Wussten Sie, dass die Colditzer zu Kriegszeiten durch Witz und List die schwedischen Eindringlinge zum Narren hielten und damit die Stadt vor der Einäscherung bewahrt haben (Die Colditzer Glocken, S. 46 f.)? Neben besonderen Naturerscheinungen sind historische Ereignisse wie dieses oft Thema der Muldentaler Sagen. Aus der Zeit der Befreiungskriege von der napoleonischen Fremdherrschaft sind insgesamt sieben Sagen überliefert. Da die ehemalige westliche Kreisgrenze bei Fuchshain nur wenige Kilometer von den Feldern entfernt liegt, auf denen vom 16. bis zum 19. Oktober 1813 die entscheidende Schlacht gegen Napoleon geschlagen wurde, erlebten die Muldentaler hautnah das Kriegstreiben. Gewaltige Armeen waren durch die Städte und Dörfer gezogen und hatte tiefe Spuren hinterlassen. Soldaten brandschatzten und plünderten, die Lebensmittel wurden knapp, das wenige Verbliebene wurde zu horrenden Preisen gehandelt. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass das Thema Geld in den Sagen dieser Zeit eine bedeutende Rolle spielt. Die Sage Die weiße Frau vom Geldberg bei Glasten (S. 68) erzählt davon, dass die Franzosen nach ihrer Niederlage bei Leipzig flohen und Flüchtlinge die prall gefüllte französische Kriegskasse aus Angst vor Räuberei im Glastener Wald am Geldberg vergruben. Überraschenderweise lebt Napoleons Kriegskasse ähnlich auch als Thammenhainer Sage (S. 127) fort: Nach dem verlorenen Russlandfeldzug kamen die Franzosen auf ihrer Flucht durch Thammenhain und vergruben sicherheitshalber die Kriegskasse im Pfarrgarten. Heinz Martin, der diese Sage aufschrieb, fügte hinzu, dass ihm diese Geschichte auch aus dem nahen Frauwalde bekannt ist. Die Sage Die gestohlene Kompaniekasse (S. 84) in Großbothen handelt ebenso vom Geld der Franzosen. Allerdings ist diese Kasse nicht versteckt, sondern beim Aufenthalt der Soldaten im Ort gestohlen worden. Aufgrund all dieser Sagen wurde an den jeweiligen Stellen gesucht und gegraben. Um Mitternacht begaben sich die Schatzgräber in Glasten auf die Suche, wurden aber von unheimlichen Spukerscheinungen vertrieben. In Thammenhain grub man heimlich den Pfarrgarten um. Und in Großbothen verdächtigte man schnell den Besitzer des Gutes, auf dem sich die Franzosen aufhielten, als den Dieb der Kasse, denn nach Kriegsende war er der einzige, der nicht unter Geldnot litt. Auch an der Straßengabelung Leisenau/Kötteritzsch/Großbothen wurde gegraben, wie uns die Sage Erscheinungen am Hutenhübel (S. 102) berichtet. Gefunden wurde an dieser Stelle zwar keine Kriegskasse, dafür kamen aber Waffen aus dem Jahr 1813 zum Vorschein. Tatsächlich vergruben französische Soldaten auf ihrem Rückzug schweres Kriegsmaterial, Kanonen und Kugeln, die sie an ihrer zügigen Weiterreise hinderten. Auch verstorbene Kameraden wurden unterwegs beigesetzt. Beobachteten Ortsansässige solche Grabearbeiten, war rasch der Grundstein für eine weitere Schatzsage gelegt. Wer wollte nicht einen großen Schatz heben und fortan ohne Geldsorgen leben?
Das Erbe von 1813 ist eine Ausnahme unter den Schatzsuchersagen. Die Sage beschreibt, wie ein Wurzener tatsächlich eine ansehnliche Summe25 französischen Geldes erhielt (S. 148). Ein französischer Offizier vertraute es ihm vor der großen Schlacht bei Leipzig mit den Worten an, dass der Mann es behalten könne, falls er nicht von der Schlacht zurückkehren sollte. Als er nach einem Jahr noch keine Nachricht von dem Offizier hatte, nahm der Mann das Geld und kaufte Grundstücke, die in der Nachkriegszeit besonders billig waren. Wie in der Großbothener Sage Die gestohlene Kompagniekasse versuchte man sich auf diese Weise zu erklären, warum so mancher nach dem Krieg viel Geld besaß, während andere am Rande ihrer Existenz standen.
Zwei weitere Sagen der Befreiungskriege beschäftigen sich mit Napoleon selbst. In Der Fürstenweg (S. 123) wird der Weg angegeben, auf dem Napoleon mit seinen Truppen von Schönbach aus Richtung Leipzig gezogen sein soll. Die Sage Der Napoleonstein (S. 127) berichtet davon, dass Napoleon bei seiner Flucht nach Leipzig auf dem Schildberg bei Thammenhain pausierte, von wo aus er einen gut Blick über das umliegende Land hatte und seine weitere Route plante. Die Nacht verbrachte der Kaiser in einer kleinen Höhle unter einem Stein, der seitdem Napoleonstein heißt. Das große weltgeschichtliche Geschehen schrumpft, mit dem Blick des Landvolkes, zu Ereignissen sehr privater Natur zusammen,26 schreibt Friedrich Ranke.
Und tatsächlich wird Kaiser Napoleon für die Thammenhainer zum müden, gejagten Heerführer, der die Nacht über im Wald ganz in der Nähe des Dorfes verbringt. Viele Sagen ranken sich so um einen historischen Kern und geben Einblick, wie unsere Vorfahren die großen historischen Ereignisse in ihrer kleinen städtischen oder dörflichen Welt erlebten, was sie dabei bewegte, ängstigte und hoffen ließ.
Ausgewählte Sagenmotive
Gespenstische Bären, kopflose Reiter und menschenfressende Drachen, Hexen, Nixen und Nachtgespenster spuken durch die Muldentaler Sagenwelt. Um bei der Vielzahl der Sagengestalten und -handlungen einen Überblick zu behalten, ist es hilfreich, die Sagen in drei Gruppen zu unterteilen:
– Ursprungs- und Erklärungssagen
– Mythische Sagen
– Religiöse Sagen / Göttermythen.
Zu den Ursprungs- und Erklärungssagen zählen alle Sagen, in denen Name, Herkunft und Eigenschaften von Naturerscheinungen, Bauwerken, Pflanzen oder Tieren erklärt werden. In den Mythischen Sagen werden Begegnungen des Menschen mit dem Jenseitigen geschildert. Geister und Dämonen, übernatürliche Tiere und Pflanzen sowie Menschen mit magischen Fähigkeiten kommen darin vor. Religiöse Sagen bzw. Göttermythen sind solche, in denen unglaubliche Wundertaten und göttliche Bestrafungen oder magische vorchristliche Praktiken beschrieben werden. Am Ende dieses Bandes gibt es ein Verzeichnis dieser drei Gruppen, das die gezielte Suche nach bestimmten