Название | Oktobermeer |
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Автор произведения | Erik Eriksson |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783941895515 |
Eine frohe und eine traurige Seite, dachte sie. Er lächelt vielleicht so, wie er ist?
Nach dem Essen tranken sie Kaffee. Michail hatte Helena beim Abräumen geholfen, zweimal war er ans Fenster getreten und hatte hinausgeschaut, kurz und ein wenig angespannt. Helena hatte ihm den Rücken zugewandt, trotzdem hatte sie gemerkt, dass er auf der Hut war.
Als sie mit ihren Kaffeetassen wieder am Tisch saßen, schielte er erneut zum Fenster hin, und jetzt fragte sie, ob er vor irgendetwas Angst habe. Hatte er ein Geräusch gehört?
»Vielleicht ist jemand vorbeigegangen?«
»Hier kommt niemand vorbei.«
»Vielleicht doch.«
»Sucht dich jemand?«
»Wie ich dir gesagt habe, bin ich ein Fliehender.«
»Aber wir befinden uns in Schweden.«
»Auch hier kann mich jemand suchen.«
»Hier kannst du nicht bleiben, wohin willst du gehen?«
»Ich will weiter.«
»Ja, wohin ist ja deine Angelegenheit.«
Er nickte als Antwort und lächelte wieder, jetzt etwas breiter als vorher, und nun machten sich kleine Fältchen um seine Augen herum bemerkbar. Helena lächelte zurück, und sie dachte, dass es nicht peinlich war, ihm in die Augen zu schauen. Es kam vor, dass sie sich durch einen direkten Blick gestört fühlen konnte, dass sie auswich, hinunterschaute, aber diesem unbekannten Mann konnte sie direkt in die Augen schauen, ohne dass es ihr unangenehm war, und ihr wurde bewusst, dass das ungewöhnlich war.
Als das Telefon wieder läutete, stand sie vom Tisch auf und ging ins Obergeschoss, um zu antworten. Es war der Kollege, dem sie am Nachmittag bei den Schülergesprächen hatte helfen wollen.
»Wie geht es dir, du Arme«, wollte der Kollege wissen.
Helena antwortete mit schwacher Stimme, dass es ihr schon besser gehe, dass sie sich etwas zu essen machen wolle, dass es die Art von Kopfschmerzen war, die sie gelegentlich heimsuchten.
Der Kollege sagte, Helena solle es ruhig angehen lassen und versuchen, ordentlich zu schlafen. Sie waren sich darin einig, dass ein guter Gesundheitsschlaf gegen die meisten Beschwerden helfe.
Als Helena zurück in die Küche ging, dachte sie darüber nach, ob Michail wohl das Wort Gesundheitsschlaf verstehen würde, aber sie fragte ihn nicht. Sie bot ihm noch Kaffee an, aber er lehnte ab.
Er sagte, dass er bald gehen müsse. Vielleicht kannte er jemanden in Stockholm, der ihm für eine Weile helfen konnte, bis er etwas Dauerhaftes gefunden hatte?
»Gut, du nimmst den Bus nach Stockholm«, sagte Helena.
»Ich werde damit fahren.«
Er stand auf. Helena hatte den Eindruck, dass er sofort gehen wollte.
»Du kannst gerne eine der Jacken meines Mannes nehmen, außerdem brauchst du ja Schuhe.«
»Ich kann nichts dafür geben.«
»Das ist auch nicht nötig.«
»Ich würde gerne etwas dafür geben, aber ich habe nichts.«
»Denk nicht darüber nach.«
Er nickte, jetzt lächelte er jedoch nicht. Helena ging hinaus zum Kleiderschrank, der auf der Veranda neben dem Eingang stand, suchte eine Jacke heraus, von der sie wusste, dass Rolf sie schon lange nicht mehr getragen hatte, nahm auch ein Paar Stiefel mit, ging zurück in die Küche und forderte Michail auf, sie anzuprobieren.
Die Stiefel passten, die Jackenärmel waren etwas zu kurz, das Hemd schaute hervor.
»Ganz gut«, sagte Helena.
»Sehr gut.«
»Deine eigenen Sachen sind noch nicht ganz trocken, aber du kannst sie in einer Konsumtasche mitnehmen.«
»Konsum?«
»Eine kleine Tasche, die man beim Einkaufen in der Hand trägt, eine Tragetasche für Lebensmittel, aus Plastik.«
Er nickte. Helena war sich nicht ganz sicher, ob er sie verstanden hatte, aber das spielte ja im Augenblick keine Rolle. Sie waren einer Meinung. Der Gast war auf dem Weg, der Mann vom Meer, der Fliehende aus dem Osten, er hatte einen kurzen Besuch abgelegt und würde jetzt das Haus verlassen.
»In einer Stunde geht der Bus«, sagte Helena, »er fährt bis Norrtälje, dort musst du umsteigen, weißt du, wo Norrtälje liegt?«
»Das weiß ich, ich habe es mir auf der Karte genau angesehen, ehe ich aufgebrochen bin. Norrtälje liegt am Ende einer langen Bucht.«
»Das ist gut, du weißt Bescheid.«
»Die Karte zu verstehen, bedeutet für mich einen großen Schritt. Lange habe ich die Karte betrachtet, dann kannte ich mich aus, aber es ist eine lange Zeit vergangen.«
»Zwischen der Karte und dem Entschluss, meinst du?«
»Ja, die Zeit hatte darüber zu entscheiden.«
Helena suchte eine große blaue Plastiktasche ohne Aufschrift heraus, sie packte Michails fast trockene Sachen hinein, legte den einzelnen Schuh zu unterst, die gefalteten Hosen oben drauf. Er stand am Küchenfenster, es kam ihr so vor, als ob er wieder auf Schritte horchte.
»In einer Viertelstunde müssen wir losgehen«, sagte sie,
»ich begleite dich ein Stück.«
»Ich habe keine Uhr«, sagte er.
»Aber du musst Geld haben, du brauchst etwas für den Bus und vielleicht auch für Essen, wenn du ankommst, ich leihe dir zweihundert.«
Sie reichte ihm zwei Hunderter. Er zögerte, nahm die Scheine jedoch an, steckte sie in die Hosentasche.
»Vielleicht kann ich sie zurückgeben, vielleicht auch nicht.«
»Wir werden sehen, aber es spielt keine Rolle, ich komme zurecht.«
»Vielleicht kann ich es trotzdem zurückzahlen.«
Sie gingen hinaus. Helena ließ die Tür unverschlossen. Michail ging langsam über den Hof, er hatte die Hosenbeine in die Stiefelschäfte gesteckt, die Jacke war offen. Helena war drauf und dran ihm zu sagen, er solle sie zuknöpfen, das sehe ordentlicher aus, ließ es jedoch sein.
Michail setzte die Wollmütze auf, die Helena ihm gegeben hatte. Er steckte die rechte Hand in die Hosentasche. Sie gingen schweigend nebeneinander den Pfad entlang, es war dunkel, einmal streifte ihre Hand zufällig die seine.
»Da hinten ist die Haltestelle«, sagte Helena, »ich warte nicht, der Bus kommt jeden Augenblick.«
Er ergriff ihre ausgestreckte Hand, drückte sie leicht, ließ sie los, berührte mit ausgestreckten Fingern kurz ihre Schulter, wandte sich um und ging.
Helena ging zum Haus zurück, vernahm Motorengeräusche von der großen Straße her. Sie nahm an, dass es der Bus sei.
5.
Der Stau begann schon am Gaswerk. Rolf überlegte, was er am Vortag oder vielleicht auch an diesem Vormittag einem seiner Doktoranden, Anders Bohlin, telefonisch noch hatte sagen wollen. Er kam jedoch nicht darauf, und das störte ihn. Der Wagen vor ihm war ein alter Citroën, vielleicht ein Vorkriegsmodell, aber gut gepflegt, schwarz, chromglänzend, ein B11, das wusste er zufällig, da ein Jugendfreund den gleichen besessen hatte.
Als er im Kriechtempo über die kleine Brücke an der Wiese vor dem Lill-Jans-Wald fuhr, fiel ihm ein, dass er den Weißwein vergessen hatte. Den Rotwein hatte er dabei, aber