Название | Kahlbergs Talfahrt |
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Автор произведения | Joe Wentrup |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783944369693 |
An der Wand hingen von Kindern gemalte Polizistenbilder; meist freundlich dreinblickende Eierköpfe mit Polizeikelle, oftmals noch in der alten grünen Uniform, an denen fröhliche Schulanfänger vorüberzogen auf dem Weg in ihr vormittägliches Gefängnis. Auf einem Bild hatte der Polizist, diesmal ein blauer, seine Waffe gezogen, aus der sich eine gestrichelte Linie zum Bösewicht zog, ein präziser Strahl Geschosse, der den Halunken zur Strecke brachte. Rotes Wachsmalblut sammelte sich unter dessen Körper in einem großen Knäuel. Die Sonne lachte, der Schütze tat es auch.
Im ersten Stock kannte Kahlberg sich nicht mehr aus. Er hatte beim letzte Mal nur gesehen, dass Wiesenkötter von hier heruntergekommen war, um ihn, nach knapper Einweisung mit gesenkter Stimme, wie eine Trophäe ins Verhörzimmer zu führen. Er ging von Tür zu Tür und las die Schilder, die daneben an der Wand befestigt waren.
Aus einer der Türen trat ein Beamter.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er. In seiner Stimme schwang doch tatsächlich eine Prise Misstrauen.
»Kriminalhauptkommisar Kahlberg«, stellte Kahlberg sich vor. »Ich möchte zu Polizeihauptkommissar Wiesenkötter.«
»Kommen Sie«, forderte ihn der Beamte auf und begann, vor ihm herzugehen. »Ich hoffe er ist noch da, so kurz vor Feierabend.«
Aha, dachte Kahlberg spöttisch. Wiesenkötter hobelte also für gewöhnlich fleißig an den letzten Dienstminuten. Wie viele Stunden würden dabei wohl jährlich zusammenkommen? Nicht, dass er es ihm nicht gönnte, aber es waren halt immer die Typen, die sich am zackigsten gebärdeten.
Schließlich hielt der Beamte vor der letzten Tür und klopfte.
»Ja?«, scholl es dumpf und mißmutig durch das Resopal.
Der Beamte öffnete die Tür und schob den Kopf durch den Spalt, als legte er ihn in ein Löwenmaul.
»Hier ist ein Kriminalhauptkommissar Kahlberg, der Sie sprechen möchte«, drang seine Stimme gedämpft auf den Gang.
»Ach ja?«, hörte Kahlberg Wiesenkötter gleichgültig brummen und dann: »Schicken Sie ihn rein.«
Erleichtert zog der Beamte den Kopf aus dem Spalt und wandte sich Kahlberg zu, während er die Tür weiter aufschob.
»Bitte sehr.«
Kahlberg nickte ihm zu und betrat den Raum. Auf der Fensterbank rankten schüchtern ein paar schmächtige Topfblumen ihre Stängel in das gardinenfreie Niemandsland zwischen Amtsstube und Fensterglas. An den Wänden standen Regale voller Aktenordner. An einem ausladenden Schreibtisch, der in den Neunzigern einmal modern gewesen sein musste, saß, übellaunig auf seine Ellbogen gestützt, Wiesenkötter. Vor ihm auf der gläsernen Schreibfläche stand ein nagelneuer, eigentlich nur aus einem Flachbildschirm bestehender Computer, das PC-Plagiat einer bekannten kalifornischen Apfelmarke. Hinter ihm hing die vergrößerte Fotografie der örtlichen Skisprungschanze, eingebettet in einer verschneiten, bunt mit Skiläufern gesprenkelten Winterlandschaft. »Ich hatte Sie schon erwartet.«
Das überraschte Kahlberg nicht. Umso erstaunter ließ er sein »Ach ja?« klingen.
Wiesenkötter nahm einen Bleistift aus der hölzernen Ablage neben der Tastatur und neigte seinen massigen Kopf zur Seite. »Kommen Sie, Sie wollen mir doch nicht weismachen, Sie wüssten noch nicht, dass Sie den Fall übernehmen sollen.«
Kahlberg dankte Hahnes Taktgefühl, die Übertragung des Falles als Weisung von oberster Instanz zu inszenieren, welcher sich keiner der Beteiligten widersetzen konnte. »Man hat mich telefonisch konsultiert, ob ich dazu bereit wäre, aber es war noch nicht ganz klar, ob es dazu käme.«
Das war noch nicht einmal gelogen. Hahne hatte in einem zweiten Telefonat noch einmal seine Entschlossenheit geprüft und ihm dann mitgeteilt, es sähe gut aus und er solle sich zur Wache begeben.
»Na, kommen Sie«, lächelte Wiesenkötter gekränkt. »Und deswegen sind Sie hier wieder aufgetaucht? Weil es noch nicht ganz klar war?«
Seine fleischigen Finger schienen den Bleistift jeden Augenblick durchzubrechen.
»Tja.« Kahlberg zuckte mit den Schultern. Irgendwie tat ihm der massige Mann am Schreibtisch leid, der gerade in seinem eigenen Revier in die Schranken gewiesen wurde.
»Schon gut«, sagte Wiesenkötter erstaunlich jovial. »Da wird ein Bekannter direkt vor Ihrer Nase ermordet und es ist Ihr Beruf, solchen Dingen nachzugehen.«
»Das war ein ziemlicher Schock für mich.«
»Glaube ich Ihnen gerne.« Er legte den Bleistift zurück in die Ablage und starrte auf die dahinter stehenden Fotos, welche wohl seine Frau und seine Kinder zeigten. Die gut genährten Kleinen, ein Junge und ein Mädchen, würden nach ihm kommen, soviel stand fest. »Sie hat die Nachricht übrigens nicht gut verkraftet. Ein Arzt musste ihr ein Beruhigungsmittel verabreichen.«
Kahlberg begriff, dass Wiesenkötter Ted Jones’ Lebensgefährtin meinte, und sagte: »Das Schlimmste hat sie noch vor sich.«
Wiesenkötter nickte düster. »Das sehe ich auch so.« Dann sah er Kahlberg fragend an. »Haben Sie noch was vor?«
Der wiegte unschlüssig den Kopf. »Ich muss sehen, wo ich hier irgendwo unterkomme.«
»Da weiß ich was für Sie«, sagte Wiesenkötter verbindlich und fügte hinzu: »Außerdem haben wir noch so einiges zu besprechen und es gibt mit Sicherheit angenehmere Orte dafür als den hier.«
KAPITEL ACHT
Es war die Art von Kneipe, die sich Kahlberg insgeheim beim Treffen mit Ted gewünscht hatte. Mit einer Holzvertäfelung aus einer Zeit, in der man noch für die Ewigkeit zu schreinern pflegte. Mit nikotingelben Wänden als trotziger Reminiszenz an die Zeit vor dem Rauchverbot. Mit rotgesichtigen Typen, von majestätisch-vollleibig wie Braunvieh bis zäh und dürr wie die knorrigen Bäume der Hochheide, die alle behäbig am Tresen durcheinanderschwatzten; nicht einmal Schlagermusik verschmutzte den Klang der vollmundigen, jovialen Stimmen. Hinter der Zapfanlage stand eine trotz ihres Alters noch immer attraktive Frau, deren Brauen sich bei der Vollendung jeder Schaumkrone konzentriert zusammenzogen. In ihrem ebenmäßigen Gesicht stand ein unentwegtes Lächeln. Weder aufgesetzt noch anbiedernd, schien es aus ihrem Innersten zu dringen, aus einer ruhenden, mütterlichen Seele.
Kahlberg saß mit Wiesenkötter etwas abseits an einem ruhigeren Fensterplate. Vor ihnen standen zwei Biere, die sie beim seichten, einleitenden Zwiegespräch bereits zur Hälfte geleert hatten.
»Hier können Sie in der Zwischenzeit gut unterkommen, die Zimmer sind angenehm und die Preise günstig«, sagte Wiesenkötter, beugte sich ein wenig weiter zu Kahlberg über den Tisch und raunzte: »Und die Wirtin ist sehr ledig.«
Kahlberg vermied jeglichen Seitenblick auf die üppige Gestalt der Wirtin, Wirtin immerhin und keine Angestellte, wie er nun wusste, und wischte übertrieben unbeteiligt über die Kondenstropfen auf seinem Glas während er antwortete: »Vollpension also, mit allem Drum und Dran.«
»Vor allem mit Drum und Dran«, ulkte Wiesenkötter und begann erneut, jene kurzen, überkandidelten Kicherlaute auszustoßen, die Kahlberg schon in der Polizeiwache zu hören bekommen hatte.
Aus notgedrungen empfundener Kollegialität pflichtete Kahlberg ihm mit einem Grinsen bei. Wiesenkötter war zwar unmöglich, aber wohl doch einer von der netten Sorte, ungeachtet der vorhergehenden Konfrontation. Kahlberg kalkulierte rasch, wie lange die Kunde von seiner Unterbringung in der Landpension bis ins Ortszentrum und von dort in alle Schichten und Kreise benötigen würde, bevor er entschied: »Perfekt, hier bleibe ich.«
Er bemerkte, wie in Wiesenkötters Gesicht erneut ein zweideutiges Grinsen aufflammte und fügte eilig hinzu: »Kommen wir zur Sache. Was haben wir bisher?«
Wiesenkötter wurde nachdenklich, er nahm einen tiefen Schluck und sagte: »Nicht viel.« Dann wischte er sich mit dem Handrücken die Lippen trocken und fügte hinzu: