Kahlbergs Talfahrt. Joe Wentrup

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Название Kahlbergs Talfahrt
Автор произведения Joe Wentrup
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783944369693



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im Eingangsbereich und spähte durch eine Häkelgardine mit Blumenmuster.

      Noch ehe er Nolte in seinem Mustang davonfahren sah, hörte er es. Das entrüstete Brüllen von acht Zylindern, die ein zorniger, schwerer Lederstiefel am Gaspedal in Aufruhr versetzte. Dann schoss das nachtschwarze Fahrzeug am Fenster vorbei und verschwand hinter Einfamilienhäusern.

      »Haben Sie die Bildschirme auch abgestellt?«

      Kahlberg fuhr herum. Vor ihm stand der Beamte, der ihn in den Überwachungsraum geführt hatte, und blickte ihn besorgt und etwas linkisch an.

      Kahlberg riss sich zusammen, um ihm nicht eine dämliche Antwort vor die Stirn zu knallen. »Machen Sie sich keine Sorgen, alles ist wieder so, wie wir es vorgefunden haben.«

      Der Beamte schien mit der Antwort zufrieden zu sein, seine Züge entspannten sich.

      Kahlberg nickte ihm zum Abschied zu. In ihm machte sich allmählich der unbändige Drang breit, Abstand von diesem Ort zu gewinnen. Er öffnete die Schleusentür, und der wachhabende Beamte hinter der Panzerglasscheibe grüßte ihn, während Kahlberg an ihm vorbeiging. Er war intern schneller bekannt geworden, als ihm lieb war.

      Im Hinausgehen bereits steckte er sich eine Zigarette zwischen die Lippen und zündete sie noch vor dem Überschreiten der Türschwelle an, ein Affront den Kollegen und der Dienstvorschrift gegenüber, den hier allerdings niemand, dessen war er sich sicher, mitbekommen hatte.

      KAPITEL SECHS

      Kahlberg ruhte auf einer der Tropenholzliegen, die fest installiert vor dem Gipfelcafé standen, und rauchte. In der anderen Hand hielt er einen Latte macchiato und kämpfte darum, die Erinnerung an Teds blutende, zitternde Hand über dem Poster der Beatles zu verdrängen. Der Song Helter Skelter inspirierte angeblich Charles Manson zu blutigen Morden.

       Will you won’t you want me to make you?

      I’m coming down fast but don’t let me break you, dröhnte es als Endlosschleife durch Kahlbergs Hirn.

      Er schüttelte sich knurrend und schaffte es schließlich, die Melodie und die Bilder von mit Blut beschriebenen Wänden aus seinem Kopf zu vertreiben.

      Auf der Polizeistation hatte die selbst auferlegte Spitzelrolle einen Abgang als vom Verdacht befreiter Mann nötig gemacht, bevor er in seinen Wagen steigen und auf den weit und breit höchsten Berg fahren konnte. Die klare Luft bot ein außergewöhnliches Panorama. Sanft wellte sich die Heidelandschaft bis zum Ende der flachen, weiten Gipfelkuppe, von der sich eine für ein Mittelgebirge beeindruckende Fernsicht bot. Kein Dunst verwischte den Horizont und gen Südosten reichte die Sicht bis ins Hessische. Etwas weiter Richtung Westen warf sich bei Kahlberg gar die Frage auf, ob dort wohl schon Rheinland-Pfalz lag mit seinem weinbestandenen Rheintal. Ein Wunschdenken, gewiss, aber Kahlberg vertrug abgelegene Orte besser, wenn er sie mit der Welt verband.

      Die Sonne gab noch immer Wärme, obwohl sie nun bereits erheblich tiefer stand und der sich lichtende Strom der Ausflügler Kahlberg an das Verrinnen der Zeit und die Dringlichkeit zu handeln erinnerte.

      Er zog sein Telefon hervor und wählte Hahnes Privatnummer. Sie nahm nach dem dritten Klingelzeichen ab und die Wärme, die in ihrer Stimme bei der formellen Begrüßung mitschwang, ließ die Freude über seinen Anruf erkennen. Er bedauerte sofort, keinen anderen Anlass gefunden zu haben, sie anzurufen, wie zum Beispiel ein Glas rheinland-pfälzischen Weines an einem der sonnigen Plätze am Düsseldorfer Rheinufer.

      »Es tut mir leid, dass ich Sie stören muss«, leitete er sein Anliegen etwas ungelenk ein.

      »Sie stören nicht, Kahlberg«, antwortete die vertraute Stimme und fügte eilig mit beinahe frivol anmutendem Ton hinzu: »Zumindest noch nicht um diese Uhrzeit.«

      Kahlberg vergaß für einen Augenblick den Grund seines Anrufes und dachte darüber nach, was Hahne wohl an diesem Wochenende tun würde und es schwante ihm, dass der Plate ihr gegenüber am Rheinufer wohl bereits vergeben war. Hahne, seine Vorgesetzte, bei der er immer wieder Ausreden fand, es nicht doch einmal zu versuchen. Zu alt, mal wieder vergeben, Kollegin, wird sowieso nichts.

      »Kahlberg? Sind Sie noch da?«, kam es plötzlich durch den Hörer.

      Er riss sich zusammen. »Um es kurz zu machen, ich bin Zeuge gewesen, wie jemand ermordet wurde, den ich kannte. Und ich will diesen Fall haben.«

      Dann erzählte er ihr die bisherigen Ereignisse bis ins kleinste Detail und legte Wert auf seinen nicht sonderlich positiven Eindruck betreffend der Polizeiwache und ihrer Besetzung.

      »Der Fall wird sowieso nach oben weitergereicht, da können Sie mich auch gleich drauf ansetzen«, endete er entschlossen.

      Hahne schwieg. Dann sagte sie: »Das kann so nur der Polizeipräsident entscheiden.«

      »Gehen Sie besser gleich zum Innenminister.«

      »Ich bitte Sie, der hat anderes zu tun.«

      »Er ist mir noch was schuldig«, ließ Kahlberg nicht locker.

      Hahnes Schweigen war diesmal wie eine Bestätigung. Kahlbergs Einsatz in Himmel hatte vor einiger Zeit verhindert, dass sich der Innenminister in ein wahres Wespennest an Korruption setzte.

      Schließlich erklang ein Seufzen und: »Eine Beförderung ist dann allerdings wahrscheinlich nicht mehr der Lohn für Ihre Arbeit.«

      »Ist mir egal, ich will diesen Fall haben«, sagte Kahlberg, und mit Nachdruck: »Ich muss ihn haben.«

      Kahlberg hörte Hahne tief Luft holen. »Also gut«, sagte sie dann. »Ich rufe Sie in einer Stunde wieder an.«

      Als sie aufgelegt hatten, trank Kahlberg den Rest seines Latte macchiato, stand auf und brachte das Glas zurück in das Selbstbedienungscafé. Als er wieder ins Freie trat, begann er, einem der ausgeschilderten Wanderwege zu folgen; es galt, etwas Zeit totzuschlagen.

      Noch blühte die Heide nicht, nur vereinzelt leuchteten Blumen als vom Frühsommer hervorgelockte Farbsprenkel über dem dunkelgrünen Grund. Ein schmaler Fußweg wand sich über flache Hügel zwischen einsamen, grotesk verdrehten Bäumen, die es geschafft hatten, den Schafsherden und schroffen Winden der Hochheide zu trotzen.

      Nach wenigen Minuten erreichte Kahlberg am Rand der Heide einen kleinen kreisförmigen Plate mit auf einer niedrigen Trockensteinmauer ruhenden Holzbänken. Mitten durch deren Rund zog sich ein winziges Rinnsal, welches einer Pfütze entsprang, die an der Hangseite zwischen den Bänken schimmerte. Hinter ihr prangte an einem großen Stein ein Messingschild. »Lennequelle« stand darauf.

      Kahlberg musste grinsen. Endlich hatte er eine Quelle gefunden, wenn auch der hier entspringende Fluss sich seinen Weg nicht durch Himmel bahnte.

      Er setzte sich auf eine der Bänke und spürte die Sonne auf seiner Haut. Das Rinnsal schimmerte wie flüssiges Metall, die fichtenbestandene Bergflanke zu seinen Füßen rauschte im Wind.

      Nach und nach wurde er erneut Teil der Welt. In weniger als einer Stunde würde er eine Aufgabe haben.

      KAPITEL SIEBEN

      Auf den ersten Blick wirkte die Polizeistation mit ihrem Satteldach, aus dem ein großer Erker ragte, den weißen Mauern und den unterteilten, kleinen Fenstern wie ein zweckentfremdetes Mehrfamilienhaus, oder vielmehr, dem touristischen Charakter des Ortes entsprechend, wie eine ehemalige Pension. Nicht ganz klar wurde dabei, ob das Gebäude tatsächlich einmal als Herberge diente, oder ob man von vornherein um eine Einbindung in die Umgebung bemüht gewesen war. Jedenfalls machte der den Vorgarten ersetzende Parkplatz mit den drei darauf stehenden Dienstfahrzeugen diese Absicht, wenn man sie denn je verfolgt hatte, zu einem Gutteil zunichte. Was blieb, war der Mief kleinbürgerlich kaschierter Staatsgewalt.

      Kahlberg hatte seinen Quattro auf den schmalen Besucherparkplatz neben den in Silber und Blau lackierten Kombis manövriert, sich gekonnt aus dem engen Türspalt gezwängt – eine der Fähigkeiten jahrelangen Großstadtlebens – und die Personenschleuse betreten, in welcher er sich nicht lange aufhalten musste. Er wünschte sich beim Durchschreiten beinahe, jemand würde seine Dienstwaffe ziehen