Kahlbergs Talfahrt. Joe Wentrup

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Название Kahlbergs Talfahrt
Автор произведения Joe Wentrup
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783944369693



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auf der Stirn drangen auf ihn ein. Kahlberg biss die Zähne zusammen und geordnete Gedanken kehrten zurück. Hektisch begann sein Gehirn, die Ereignisse zu rekapitulieren. Der Typ mit dem Schnäuzer, schoss es ihm durch den Kopf, während er mit vor Hast zitternden Händen Teds Taschen durchsuchte. Das Telefon war verschwunden.

      Er stürzte aus dem Abstellraum, hechtete die Treppen hinauf, raus auf die Straße, wo die beiden Angestellten standen. In der Ferne heulte die Sirene eines Krankenwagens. Kahlbergs Blick suchte die Straße ab. Von dem Typ mit dem Schnäuzer fehlte jede Spur.

      Der Land Rover stand noch immer dort, wo ihn Ted geparkt hatte. Eilig ging Kahlberg hinüber und prüfte die Fahrertür. Sie war offen. Alarmiert blickte er ins Innere. Im aufgeklappten Handschuhfach lag eine Anhäufung von Straßenkarten und alten Parkscheinen. Dazwischen leuchtete das Orange einer Broschüre von Max-Energie, die man gegenwärtig aufgrund der aggressiven Werbekampagne des Stromanbieters in jedem Briefkasten fand. Weiter oben lag der Hochglanzprospekt eines Automatenkasinos in Himmel. Er schien Kahlberg nicht so recht in das Sammelsurium zu passen und er steckte ihn ein. Hastig durchstöberte er die hintere Sitereihe und den Laderaum. Keine Kamera, kein Notizbuch oder Ähnliches.

      Kahlberg schlug die Tür zu und fluchte. Er hatte es versaut. Er hatte den Mörder seelenruhig die Tat begehen und vor seiner Nasenspitze hinausspazieren lassen. Er schimpfte sich einen gottverdammten, selbstgefälligen Idioten. Zorn flammte in Kahlberg auf mit einer Entschlossenheit, als könne er dadurch die Zeit zurückdrehen und den Fehler ausradieren, aber das Gegenteil war der Fall, die Schuld grub sich in ihn wie ein Brandeisen.

      Er schrie ohnmächtig auf, und hätte der Wagen nicht Ted Jones gehört, er hätte ihn mit seinen bloßen Händen in einen Klumpen Schrott verwandelt, nur um irgendetwas in dieser elenden, gleichgültigen Welt zu bewirken.

      »He, Sie da!«, rief eine ängstliche Stimme.

      Kahlberg drehte sich um. Ein Polizeibeamter kam mit gezogener Dienstwaffe auf ihn zu, so unsicher, als tappte er durch totale Dunkelheit, während ihm sein Kollege mit ebenfalls gezückter Waffe Deckung gab. Hinter ihnen blinkten die Blaulichter ihres Einsatzfahrzeuges.

      »Keine falsche Bewegung, legen Sie die Hände hinter den Kopf und drehen Sie sich zum Fahrzeug!«

      KAPITEL FÜNF

      Der Beamte hatte Kahlberg am Arm gefasst und führte ihn durch den Flur des Polizeireviers.

      Durch eine Tür vor ihnen drang lautes Gebrüll. Dann wurde sie aufgerissen und ein Mann mit gegerbtem Gesicht, halblangen Haaren und abgetragenen Jeans wurde herausgeführt. Als er Kahlberg sah, grinste er und verdrehte kurz die Augen, ein Hinweis unter Leidensgenossen, dass die verhörenden Beamten so scharfsinnig waren wie gut verdaute Mettwurst.

      Eigentlich hätte es bei einem Verhör gar nicht zu so einer Begegnung kommen dürfen, schon gar nicht bei einem Mordfall. Aber hier, das war Kahlberg mittlerweile klar geworden, ging es drunter und drüber.

      Er wurde in das karge, nur mit einem Tisch, zwei Stühlen und einer Überwachungskamera ausgestattete Verhörzimmer geführt.

      Polizeihauptkommissar Wiesenkötter empfing ihn stehend, mit energisch in die Hüften gestemmten Armen. Neben ihm am Verhörtisch saß ein Jungbulle, sein genaues Gegenteil. Nicht rotgesichtig, kein Specknacken, unentschlossen.

      »Da ist er ja endlich, mein Lieblingsverdächtiger. Kriminalhauptkommissar Kahlberg von der Mordkommission Düsseldorf.« Mit einem Kopfnicken scheuchte Wiesenkötter den Beamten, der Kahlberg begleitet hatte, hinaus. Als sich die Tür von außen geschlossen hatte, machte er einen Schritt auf den Kollegen aus der Großstadt zu. »Ich hoffe, das Theater gefällt Ihnen so.«

      »Ganz ausgezeichnet.« Kahlberg zeigte ein Grinsen wie eine gezogene Messerklinge und zog es vor, den freien Stuhl nicht in Anspruch zu nehmen.

      Schnell war am Tatort Kahlbergs Identität geklärt worden, jedoch hatte er dafür gesorgt, dass er trotzdem unter den Augen der Schaulustigen wie ein Verdächtiger abgeführt und auf die Wache gebracht worden war.

      »Ich frage mich allerdings, was Ihr Inkognitoauftritt hier bringen soll«, knurrte Wiesenkötter.

      Kahlberg war klar, den lokalen Befehlshaber mehr oder weniger zum Mitspielen genötigt zu haben, und offensichtlich gefiel diesem nicht, zu etwas gedrängt zu werden. »Machen Sie einfach weiter, als gäbe es mich nicht, ich werde Ihnen nicht im Weg stehen.«

      »Ob Sie es wollen oder nicht, das tun Sie bereits oder meinen Sie, die Beamten, von denen Sie hier herumgeführt werden, sind Statisten?«

      »Das können Sie besser beurteilen«, entgegnete Kahlberg trocken. »Es sind Ihre Männer.«

      »Kommen Sie, Kahlberg«, machte Wiesenkötter nun auf versöhnlich und wies auf das Phantombild, das hinter ihm an der Wand hing. »Schließlich sind Sie ja auch noch unser bester Zeuge.«

      Das Erste, was Kahlberg getan hatte, solange er die Erinnerung an den Täter noch unverfälscht abrufen konnte, war das Anfertigen eines Phantombildes am Computer. Doch weder das noch das eintönige Blättern in der lokalen Verbrecherdatei hatte bisher irgendeine Spur erbracht.

      »Was ist mit dem Fahrer des Mustangs, den Ted gegrüßt hat?«, fragte Kahlberg.

      Wiesenkötter grinste überlegen. »War leicht ausfindig zu machen. Sein Name ist Klaus Nolte. Er wird gerade hierhereskortiert.«

      »Ist außerdem noch irgendjemand oder irgendetwas aufgetaucht?«

      Der Polizeihauptkommissar schüttelte bedauernd den Kopf. Dann fixierte er Kahlberg mit einem bemüht entschlossenen Gesichtsausdruck. »Und Sie haben wirklich keine Ahnung, was MA bedeuten könnte?«

      »Nicht die Geringste.«

      Vor Kahlbergs innerem Auge tauchte Ted auf, wie er mit immer lebloser werdenden Augen seine blutverschmierte Hand hob und die Buchstaben auf das Poster schrieb.

      »Sie kommen also hierher, weil Ihr Freund von der Presse eine kochend heiße Geschichte hat, und dann wird er direkt vor Ihrer Nase abgestochen«, sagte Wiesenkötter mit leicht ungläubigem Ton.

      In seinem Blick konnte Kahlberg so etwas wie Verachtung dafür lesen, dass er, der Bulle aus der Großstadt, bei der Tat so tölpelhaft zugegen gewesen war.

      »Der Mörder kannte den Ort, an dem wir uns treffen wollten. Er hat dort auf uns gewartet«, zischte Kahlberg durch zusammengebissene Zähne.

      »Woher sollte er das gewusst haben?«, fragte Wiesenkötter und legte die Hand in derart übertriebener Denkerpose ans Kinn, dass Kahlberg ihm gerne deren Finger gebrochen hätte.

      Stattdessen entgegnete er: »Der Club war womöglich Teds Stammlokal. Oder er hat sein Vorhaben, mich dort zu treffen, noch jemandem erzählt.«

      »Vielleicht wurde sein Telefon abgehört!«, meldete sich der junge Beamte zu Wort und zog den Kopf ein, als sich die Blicke auf ihn richteten.

      »Abgehört?« Wiesenkötter lächelte herablassend. Auch für seinen Nachwuchs hatte er kein besseres Mienenspiel übrig.

      »Eine heimlich aufs Telefon geladene App würde reichen«, rechtfertigte sich der junge Beamte.

      »Nur leider haben wir kein Handy, das wir auf eine App hin überprüfen könnten«, stellte Wiesenkötter fest und warf als Seitenhieb einen Blick auf Kahlberg.

      Der gab sich ungerührt. »Ich glaube nicht, dass man darauf etwas Derartiges gefunden hätte. Er hat sein Telefon gehütet wie seinen Augapfel.«

      »Irgendeine Spur wird vielleicht bei seinen Sicherungskopien zu finden sein, sein Redaktionscomputer ist bereits sichergestellt«, beeilte sich der junge Beamte. Anscheinend wollte er sich im Bereich Cyberkriminalität profilieren.

      Kahlberg schüttelte den Kopf. »Ted hat mir gesagt, dass er alle Informationen bei sich trug. Ohne Kopien und Backups.«

      »Wer macht denn so was?« Wiesenkötter zeigte sich redlich überrascht, ganz ohne die Pose des Tatort-Kommissars.

      »Jemand,