Erinnerungen. Maximilien de Robespierre

Читать онлайн.
Название Erinnerungen
Автор произведения Maximilien de Robespierre
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783940621948



Скачать книгу

von der Freigebigkeit, mit der sie sich ihre eigenen Arbeiten vergüteten, die ohnehin schon so freigebig bezahlt wären, während sie in ihrer Großmut 400 Livres für die Armen der Provinz auswürfen! Kurz, ich schonte nichts, mit dem Mute der Rechtlichkeit entlarvte ich die Ränkemacher44), welche sich an die Spitze der öffentlichen Angelegenheiten gestellt hatten, um für ihre eigenen zu sorgen.

      Man kann sich keinen Begriff machen, welche Wirkung diese Schrift hervorbrachte; die gewissenhaften Bürger, die Freunde des Vaterlandes waren erstaunt und dankbar; aus alter Gewohnheit hatten sie die Augen zu den Mißbräuchen zugedrückt, von denen sie umgeben waren; aber die Mißbräuche waren so ungeheuer, daß man sie ihnen nur zu nennen brauchte, um von ihrer Empörung schnelle Gerechtigkeit zu erhalten Einstimmig war das Lob auf dieser Seite für den wichtigen Dienst, den ich der Provinz geleistet hatte; aber von den Herren vom Stande und ihren Anhängern wurde mein Werk nicht so liebevoll aufgenommen; ein Schrei des Hasses, der Wut lief durch ihre Reihen. Ärgere Mißbräuche sind seitdem vernichtet worden; die, welche sich auf Kosten der Provinz und mehr noch auf Kosten des Staates gemästet, haben ihrer ungeheuren Vergeudung und schuldvollen Trägheit entsagen müssen; das Andenken an Opfer, zu denen man sie gezwungen hat, sollte, meint man, sich jetzt in eines verschmelzen und ein Gefühl des Hasses wecken, aber dem ist nicht so: mit Schmerz, mit Verdruß denken sie an die Verordnung, die ihnen das Gestohlene entrissen, aber voller Zorn, mit einer entschiedenen Wut, mit dem festen Wunsche, an diesem Gedanken ihren Rachedurst zu erfrischen, erinnern sie sich noch der Schrift, welche ich gegen die Stände von Artois bekanntmachte. Dieser Haß, mit dem sie mich vor andern ehren, ist ein Anrecht mehr an die Gunst des Volkes; ich danke ihnen dafür. In Tagen, wie die jetzigen, gibt es Feinde, die man gern hat; einen Haß, auf den man stolz ist.

      Seit dem Erscheinen meiner Denkschrift suchten die Gewalthaber der Provinz den Unwillen meiner Mitbürger gegen mich zu richten. Von diesem Tage an begannen die schändlichen Verleumdungen, von denen man noch jetzt nicht gelassen hat, obgleich die Achtung aller guten Bürger mir zeigt, daß sie nicht die gehofften Früchte getragen haben. Schon damals, wie es später in so vielen Schmähschriften geschehen ist, nannte man mich ehrgeizig ohne Scham und Schranke, den Heuchler der Volksliebe, einen aufrührerischen und zerstörungssüchtigen Schriftsteller; und was weiß ich, was für schändliche Eigenschaften jene Feinde meinem Namen noch anzuhängen versuchten! Ehrgeizig? Ja, wie es Brutus45) und Washington waren, wie es nur wenigen Menschen vergönnt ist! Ehrgeizig ohne Eigennutz, mit unüberwindlicher Verachtung eigener Wohlfahrt, aber mit einem unerschütterlichen Eifer, dem Volke die geheiligten, unverjährbaren Rechte zu verschaffen, die man ihm geraubt hatte!

      Heuchler! alle meine Schritte lagen sonnenklar da; alle meine Schriften, alle meine Reden strebten unveränderlich nach einem Ziele, nach einem offenen Ziele! Finde, wer kann, in ihnen einen Widerspruch mit meinem Leben! Aufrührerisch! Zerstörungssüchtig! Ich, der ich in einem zerstörten, aufgelösten, verfaulten Körper die Wiederherstellung der ewigen Ordnung predigte, die der menschlichen Geselligkeit nötig ist; ich, der ich stets nur durch Gesetze zur Herrschaft der Gesetze gelangen wollte! So falsch, so böswillig diese Beschuldigungen auch waren, so machten sie doch einigen Eindruck, da man in den wichtigen Grundsätzen noch nicht erfahren genug, und der Einfluß der Männer, die ich angriff, noch zu mächtig war. Ich bemerkte dies leicht aus der Beziehung, in der ich durch mein Geschäft mit dem Bürgerstander von Artois lebte: das menschliche Herz verschließt so viele Kleinlichkeiten, daß ich mir die Schwierigkeit nicht verhehlte, von Leuten, die höchstens die Güte hatten, mich für ihresgleichen zu nehmen, die gewünschten Stimmen zu erhalten, um zur Generalversammlung der Nation berufen zu werden. Ein Mann, der vor ihren Augen in seiner Hingebung für die allgemeine Sache aufgestanden war, mußte ihren Verdacht erwecken, und eben durch diese Hingebung, mit der er seine eigenen Angelegenheiten, sein Vergnügen, seine Ruhe aufopferte, ihnen ehrgeizig scheinen. Ich sah ein, daß diese guten Leute einen völlig unbedeutenden Mann wählen würden, wenn er nur rechtschaffen und geneigt wäre, dem allgemeinen Schwünge zu folgen, ohne durch einen Schritt diesen zu lenken oder ihm vorzueilen. Schnell war mein Entschluß gefaßt: ich wendete mich zu den Wählern vom Lande, mit denen mein Stand mich häufig in Berührung gebracht hatte, und die mir bei mehr als einer Gelegenheit eine Ehrerbietung, eine Achtung bezeigt hatten, die ich ohne Scheu meiner Rechtlichkeit, meiner Uneigennützigkeit zuschreiben darf. Ihr friedfertiges, arbeitsames Leben verhinderte die Täuschung und die Verführung, ihren gesunden Verstand, ihre vorurteilsfreien Ansichten zu fälschen. Kaum erkannten sie die Wohltaten, die eine neue Ordnung über ihren nützlichen und verkannten Stand verbreiten mußte, so hielten sie sie fest wie ihr Eigentum, und nichts brachte sie mehr von dem Wege ab, den der Wunsch, ihre Menschenwürde wiederherzustellen, ihnen vorgezeichnet hatte.

      Es gelang mir leicht, mich ihnen begreiflich zu machen, und bald hatte ich die Gewißheit, die Mehrheit der Stimmen auf meiner Seite zu haben. Es fand sich eine Gelegenheit, die mich von dem Einflusse überzeugte, welchen ich auf diese wackern Landleute hatte. Die Bezirksversammlungen traten zusammen; dazu mußten die Vorschriften aufgesetzt werden, an welche die Abgeordneten bei ihrem Verfahren sich halten sollten. Ich wurde von meinem Bezirk beauftragt, dies abzufassen; ich machte mich dieses ehrenvollen Berufes würdig, sprach die ersten Grundsätze der Oberherrlichkeit des Volkes aus und bezeichnete im Kreise dieser Schranken die Vollmachten, welche es seinen Abgeordneten erteilte. Ich verlangte freie, jährliche Abstimmung für die Abgaben; gleiche Beisteuer aller Bürger zu den öffentlichen Lasten; unbegrenzte Freiheit für die Person, den Glauben, die Presse; Einschränkung der zu großen Macht, welche dem erblichen Vertreter der Oberherrschaft verliehen worden war; strenge Verantwortlichkeit der Beamten, welche er einsetzt usw.

      Meine Arbeit wurde hier gelobt, dort verleumdet; denn wer in der Öffentlichkeit steht, kann nun einmal nicht jeder Meinung nachgeben, jede Leidenschaft besänftigen, jedermanns Interesse fesseln. Er darf nur seinem Gewissen folgen und muß sich selbst genug sein. So habe ich es gehalten und hin dabei wohl gefahren!

      Einige Monate vor der Eröffnung der Generalstaaten hatte die Akademie von Arras mich zu ihrem Präsidenten erwählt: ich würde dieser nichtigen Ehrenbezeigung nicht erwähnen, wenn sie mir nicht die Achtung bewiesen hätte, welche, trotz den widersprechenden Gerüchten, an deren Verbreitung man seither ein Vergnügen gefunden, trotz den Verleumdungen, mit denen man mich verfolgt hat, die ausgezeichnetsten und aufgeklärtesten Männer der Provinz für mich fühlten. Gewiß gab es unter ihnen mehr als einen, der mich nicht für seinen politischen Freund halten konnte, der, infolge meines Charakters, der mich nichts, was ich der Wohlfahrt des Vaterlandes ersprießlich hielt, zurückhalten ließ, sich sogar über mich beschweren zu können glaubte, und doch erhielt ich bei der freien Wahl für die Besetzung einer friedlichen Ehrenstelle unserer Akademie die Mehrheit der Stimmen.

      Ich widmete damals den Wissenschaften nur sehr wenige Zeit und beschäftigte mich, einige kleine Gelegenheitsgedichte ausgenommen, die ich weil es die Mode verlangte, von Zeit zu Zeit meinen Freunden mitteilte, nur mit den großen Interessen, welche alle Gemüter in Bewegung setzten. — Das Gericht gab mir noch einen Prozeß in die Hand, welcher dem glücklichen Erfolge, der mir in diesem Fache zuteil geworden war, das Siegel aufdrücken und die allgemeine Aufmerksamkeit auf mich richten sollte. Ich muß diesen Handel näher beschreiben, da das Aufsehen, welches er in der ganzen Provinz erregte, mehr als mein früheres Leben dazu beitrug, meine Wahl zum Abgeordneten zu befördern. Die Sache war folgende: Ein Einwohner von Ilesdin, namens Dupont, war das Opfer der schmählichsten Beraubung geworden; Bruder, Schwager, Verwandte, Freunde, kleine Dorfrichter und große Herren, alles schien sich vereinigt zu haben, dem Unglücklichen Freiheit und Vermögen zu entziehen. Nach einer Abwesenheit von 26 Jahren wollte er bei seiner Rückkehr sich wieder in den Besitz seiner Güter setzen. Seine gerechten Anforderungen wurden zuerst mit Stillschweigen, Ausflüchten, endlich mit einer Eingabe um seine bürgerliche Totsprechung aufgenommen; aber da die Verwandten vor der heilsamen Langsamkeit, welche die Gesetze in die Einleitung eines solchen Prozesses legen, mehr aber noch vor der Unzulänglichkeit ihrer Hilfsmittel erschraken, so hielten sie es für zweckmäßiger, um eine Lettre de cachet46) gegen den unglücklichen Ankömmling einzukommen. Von einem Gönner gelangten sie zu einem andern und endlich zum Minister, der, wie gewöhnlich, lieber den zudringlichen vornehmen Leuten in seiner Nähe glaubte, als daß er sich