Название | Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm! |
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Автор произведения | Tim Renner |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862871087 |
Bespielbar – das klang in der Tat nicht gut, wenn ich an unsere Rechte dachte. Aber die Kassette war genauso bespielbar und sie hatte die Branche schließlich auch nicht umgebracht. Ich erinnerte mich schmunzelnd an die hilflose »Hometaping is killing Music«-Kampagne der Industrie. Keiner sprach mehr davon, seit die CD ansetzte, das schwächelnde Vinyl zu ersetzen. Die hatte Timmer gegen den anfänglichen Widerstand der restlichen Musikwirtschaft durchgeboxt. Konnte er es dabei nicht bewenden lassen? Wir hatten Kopfschmerzen und wollten heute alles, nur eins nicht: den nächsten Formatwechsel. Denn endlich ging es der Branche wieder gut, der Schrecken von 1979, als der Markt erstmals deutlich einbrach, steckte ihr allerdings noch tief in den Knochen.
Bei PolyGram hatte man ein Jahr zuvor auf spektakuläre Weise die Korken knallen lassen. Saturday Night Fever und andere Platten der ausklingenden Discowelle bescherten 1978 traumhafte Gewinne. Das musste gefeiert werden. Bei der Jahrestagung in Florida ließ man den ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger als Gastredner antreten, per Firmenjet eingeflogene Flamingos staksten durch einen künstlichen, für diesen Abend angelegten See und man gönnte sich Kaviar satt. Ein Jahr später fehlten die Hits, die die Absatzschwäche des Formats Vinyl hätten überdecken können, es drohte die Pleite.
Ich war leider nicht dabei, kenne dieses Fest aber aus der eindringlichen Schilderung des ernst dreinblickenden Personalchefs auf einem Mitarbeiterseminar in Noordweik. Damals, 1990, schüttelten wir nur die Köpfe bei der Betrachtung dieser »Case Study«. Diese Idioten – das dachten und sagten wir. Jedes Kind, das ein Marketing-Proseminar von innen gesehen hat, weiß doch, dass es so etwas wie einen Produktlebenszyklus gibt. Erst kommt die Einführungsphase, dann die Wachstumsphase, die Reifephase, die Sättigungsphase und schlussendlich die Degenerationsphase. Dafür gibt es sogar mathematische Formeln, das ist vorhersehbar. Das Ende des Vinyls war also keine Überraschung, die Naivität unserer Vorgänger hingegen schon.
Jan Timmer und sein Vortrag kamen mir dabei nicht in den Sinn. Nichts anderes war damals schon seine Botschaft gewesen. Und diese galt eben genauso für die nächste Generation von Tonträgern, für die edle CD, die uns gerade ungeahnte Renditen deutlich über 20 Prozent bescherte. Er stellte uns noch keine Prototypen der CD-R vor, zeigte aber, was die logischen und technisch möglichen Schritte seien, an denen der CD-Patentinhaber, unsere holländische Mutterfirma Philips, selbstredend arbeiten würde. Der Tag würde kommen und somit der Anfang vom Ende der CD und des Geschäfts mit ihr, wie wir es kannten.
1990 übernahm Jan Timmer für sechs Jahre den obersten Chefposten des gesamten Philips-Konzerns. Und obwohl er bei dem schwer angeschlagenen holländischen Elektrogiganten ein hartes Sanierungsprogramm namens »Centurio« fuhr, dem mehr als 50.000 Kollegen aus der Hardware-Sparte zum Opfer fielen – das brachte Timmer den Beinamen »der Schlächter von Eindhoven« ein –, wurden die Interessen der Software immer gewahrt, solange er an der Spitze stand. Sein Interesse galt der Neuerfindung von Philips als Medienkonzern mit starker vertikaler Integration – ab einer bestimmten Größenordnung der Firma, der Territorien und der zu vermarktenden Themen ist es immer weniger sinnvoll, Profitmaximierung durch Kostenreduzierung zu suchen. Das geschieht vielmehr durch Absorption von Kosten im Konzern. Wenn eine Firma viele Phasen der Wertschöpfung kontrolliert, kehren viele Kosten als Einnahmen in anderen Bereichen zurück.
Das Zentrum von Timmers Strategie war das Musiksegment PolyGram; damit kannte er sich aus und er sah in Inhalten wie Musik die größten Entwicklungschancen. Sein Ziel: Content mit Hardware-Interessen zu verknüpfen und sich gegenseitig treiben zu lassen. Die Einführung der CD war ein perfektes Beispiel für diese Strategie.
Die Geschichte der CD begann 1969, als der holländische Physiker Klaas Compaan die Idee einer laserabgetasteten Platte hatte. Ein Jahr später arbeitete er zusammen mit seinem Kollegen Piet Kramer am Prototypen. Mitte der siebziger Jahre setzte sich dann das Kapital in Bewegung – Lou Ottens, damaliger Direktor von Philips, vertrat die Meinung, dass kompakte Abmessungen Grundbedingung für eine erfolgreiche Vermarktung seien. Er nannte das Projekt »Compact Disc« und wurde so zum Namensgeber. 1979 stellte Philips den Prototyp des CD-Players vor und ging mit Sony eine strategische Partnerschaft ein. Die Kooperation sollte sich als brillanter Doppelschlag herausstellen. Einerseits technologisch, denn Sonys Know-how bei der Digitalumwandlung ergänzte sich mit Philips CD-Entwicklung ideal. Andererseits besaß Sony bereits Anteile an CBS und konnte so dabei helfen, die ursprüngliche Ablehnung sämtlicher Plattenfirmen gegenüber dem neuen Format zumindest bei einem der großen Player zu durchbrechen. Philips hatte zu diesem Zeitpunkt bereits 60 Millionen US-Dollar in die Entwicklung der CD gesteckt und teilte das auf unmissverständliche Weise der Konzern-Tochter PolyGram mit – her mit dem Repertoire, hieß die Devise. Am 17. August 1982 präsentierte Philips dann gemeinsam mit PolyGram der Öffentlichkeit den ersten Player samt CD: Walzer von Frédéric Chopin, in einer Einspielung des Pianisten Claudio Arrau. Kurze Zeit später erschien das erste Popalbum: The Visitors von ABBA.
Die Entwicklung der CD und des dazugehörigen Players zeigt beispielhaft, wie entscheidend Bequemlichkeit und Emotionalität für den Konsumenten und damit für den Erfolg einer Markteinführung sind: Gerade weil sich in der einfachen äußeren Benutzbarkeit des CD-Systems die zugrunde liegende technische Komplexität nicht spiegelte, gelang die extrem schnelle Markteinführung mit gewaltigen Verkaufserfolgen. Im ersten Jahr produzierte PolyGram 376.000 CDs – dann explodierte die Nachfrage. 950 Millionen CD-Player und Milliarden bespielter CDs wurden bis heute verkauft.
Das Phänomen Digitalisierung erreichte durch die CD zum ersten Mal massiv den Massenmarkt; aber nicht als Furcht einflößender Datenmoloch, sondern als hörbarer, spürbarer Qualitätssprung für den Nutzer. Die CD war unempfindlicher als Vinyl, die Titel ließen sich einfach anwählen – eigentlich konnte man kaum noch etwas falsch machen. Die CD war zwar eine technische Innovation, eine »kalte« Entwicklung, eigentlich nur die Umwandlung von Musik in zahllose Nullen und Einsen, aber sie wurde »warm«, also emotional verkauft. Ihr Inhalt – Musik – war dabei entscheidend. Und die Künstler: Herbert von Karajan gab auf zweifache Weise den Standard vor. Bereits im Frühjahr 1981 hatte der Dirigent der Berliner Philharmoniker als erster Künstler eine CD-Demonstration erhalten. Er liebte das neue Format. Und er erzählte bereitwillig jedem von seiner jungen Liebe. »Eine technologische Errungenschaft«, schwärmte von Karajan, »vergleichbar dem Übergang von der Gaslampe zu elektrischem Licht.«
Gleichzeitig gab es zwischen Philips und Sony Diskussionen über die Größe der CD. Ursprünglich war der Disc-Durchmesser von Philips auf 115 Millimeter festgelegt worden – das entsprach einer Spielzeit von 66 Minuten. Doch auf Betreiben von Sony wurde er auf 120 Millimeter und 78 Minuten Maximalspielzeit nach oben korrigiert. Der Grund: Sony-Präsident Norio Ahga, ein ehemaliger Opernsänger und Klassikfanatiker, verlangte, dass Beethovens Neunte, seine Lieblingssymphonie, in der Einspielung von Karajan auf der CD Platz finden müsse. Und diese Einspielung dauerte nun mal 72 Minuten. Die Auswirkungen waren dramatisch: Sony-Mitarbeiter hatten bisher ihre Demo-CDs bei Vorführungen locker aus der Brusttasche gezogen, um die praktischen Ausmaße der neuen Schallplatte zu verdeutlichen. Die vergrößerte CD passte nun aber nicht mehr in normale Brusttaschen. Also erhielten alle Sony-Mitarbeiter Hemden mit größeren Brusttaschen. Und dieses neue Maß wurde dann wiederum als Herrenhemden-Standard in Japan eingeführt.
Nur die Plattenfirmen weigerten sich, die CD als neues Speichermedium für Musik zu akzeptieren und als Chance zu begreifen. Und das, obwohl ihnen bereits das Wasser bis zum Hals stand, weil die Umsätze mit Vinyl wegbrachen. PolyGram-Chef Jan Timmer reagierte, übernahm die Führung und kündigte ein 500-Tage-Programm an, innerhalb dessen er für sämtliche Territorien CD-Fabriken bauen ließ und damit den Markt vor sich hertrieb.
Gleichzeitig entwickelte der damalige Chef von Philips, Cor van der Klugt, gemeinsam mit Sony-Präsident Akio Morita eine bauernschlaue Verhandlungstaktik: Auf einem US-Meeting mit den Chefs der großen Musikfirmen, denen 3 US-Cent Lizenz pro CD zu hoch erschienen und die einen Boykott planten, sollte das weitere Vorgehen besprochen werden. Als alle Manager zusammensaßen, erklärte van der Klugt: »PolyGram