Название | Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm! |
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Автор произведения | Tim Renner |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862871087 |
Ein ehemaliger Universal Kollege hatte früh genug den Absprung von der Musik zum Film geschafft. »Du wirst auch noch Holzklasse fliegen …«, knurrte der Promotionchef der Universal Music, als er gemeinsam mit mir an dem fröhlich aus dem Business-Sitz grüßenden Ex-Mitarbeiter die Sitzplätze ganz hinten im Flieger suchte. Die Prophezeiung dürfte sich erfüllt haben: Mittlerweile musste die verwöhnte Filmwirtschaft im ersten Halbjahr 2007 erstmals einen Umsatzrückgang bei DVDs vermelden. Die Stückzahlen steigen, aber die Preise erodieren. DVDs geraten unter Druck, die Konkurrenz kommt aus dem Netz und Filme taugen gerade noch als sogenannte »Loss-Leader«, als Verkaufsbeschleuniger der Elektro- und Drogeriemärkte. Ein legales Angebot, das wie die Piraten zum Filmstart im Netz verfügbar ist, sucht man vergebens. Dafür sucht der ehemalige Kollege aus der Business Class bereits einen neuen Job.
Die Umrüstung der Kinos zu digitalen Abspielstätten kommt hierzulande nur langsam voran. In Amerika hingegen hat sie die Mainstreamkinos erreicht und wird dort für die neue, alte Hoffnung des Films genutzt: 3D. Als Real D kommt ein von den Disney Studios entwickeltes digitales 3D in die Kinos (»Chicken Little« war der erste Test im Jahre 2005, in 2009 kommt mit »Horrorween«, »Final Destination 4« und dem Remake »Stewardesses« eine ganze Reihe neuer Produktionen auf die digitale Leinwand) – was den Mitschnitt für das Internet erschweren soll. Dieses Upgrade von Filmen erinnert an den von wenig Erfolg gekrönten Versuch der Musikindustrie, durch Surroundmixes auf Super Audio CDs (SACD) die Kopierleidenschaft ihres Publikums einzudämmen.
Unerlässlich im digitalen Wandel ist es, den möglichen Angreifer zu kennen, um ihn entweder einzubinden oder seinen Angriff umzudrehen und selbst auszuführen. Ich war deshalb überrascht, dass keiner den kleinen, weißen Fon Router erkannte, den ich während eines Vortags vor dem Management des deutschen Marktführers für Hot Spots in die Luft hielt. Das Gerät war zu diesem Zeitpunkt hierzulande bereits 75.000 mal verkauft worden. Wer es anschließt, ist entweder ein »Linus« und lässt andere Foneros per W-LAN umsonst mit ins Netz und kann dafür auch kostenfrei über ihre Fon Hot Spots surfen, oder man verlangt als »Bill« eine Gebühr, die man dann genauso bei anderen Fon Nutzern zu entrichten hat. Am besten bindet man diese »Telephone-Company by the people« (Fon Eigenwerbung) wie die British Telecom oder die französische Cegetel zum Ausbau des eigenen Netzwerkes ein. Wer nicht den Mut hat, das eigene Geschäftsmodell neu zu denken, muss eben später bezahlen: geradeso wie die Mobilfunkunternehmen, die Millionen ausgeben, um Prepaid-Card Unternehmen aufzukaufen (jüngstes Beispiel: die Übernahme von blue durch e-plus), die zuvor auf ihren Netzen ihre Preise unterboten haben.
Man muss Jamba nicht mögen, aber die Zeichen der Zeit wurden dort immer rechtzeitig erkannt. Die meisten Kids generieren mittlerweile ihre Ringtones selbständig und die Klingeltonfirmen haben darauf frühzeitig mit eigenen Copyrights reagiert: ob mit dem Crazy Frog, dem Kuschelsong oder anderen musikalischen Verbrechen wurden sie zu digitalen Schallplattenfirmen für Trash, den sie nun als mobilen Download vertreiben. Ein deutlich kleinerer Markt, aber eine Chance in einem Geschäft zu überleben, welches technisch eigentlich obsolet geworden ist.
Vieles ist so eingetreten, wie man es sich vor vier Jahren schon denken konnte. Deshalb reichen zumeist auch die hier vorgetragenen Änderungen und Ergänzungen, um die späteren Texte zu verstehen. Es gibt nur ein Kapitel, welches von Grund auf überarbeitet werden musste. Peinlicherweise war es ausgerechnet jenes über das World Wide Web ...
Tim Berner’s Lee, der Begründer des Internet, träumte im Jahr 2004 noch von dem »Semantic Web«. Zusammen mit der »Netzregierung« vom W3C suchte er nach einer Sprache, die es den Maschinen ermöglichen sollte, Zusammenhänge zu erkennen und auf komplexe Fragen Antworten geben zu können. Getrieben wurde er dabei von einer Einstellung, mit der er dem Netz bereits im Jahr 1989 eine Oberfläche gegeben hatte: ein von Wissenschaftlern entwickeltes System braucht Modifizierungen aus der Wissenschaft, damit es für Jedermann nutzbar wird. Genau das hatte er aber bereits im ersten Schritt so gründlich erledigt, dass die Jedermanns da draußen in der ganzen Welt sich mit seinem Netz so gut verlinken konnten, dass ihre kollektive Intelligenz jeder singulären Überlegung überlegen war. Während Tim und seine Freunde also noch an der Syntax des Resource Description Frameworks (RDF) und der Web Ontology Language (OWL) arbeiteten, tagten und bloggten die Nutzer des Internets längst drauf los und schufen so fast spielerisch die Netzintelligenz, nach der die Wissenschaft verzweifelt suchte. Nun ja ...
All unsere Vermutungen in Sachen Musik sind in der ersten Ausgabe dieses Buchs noch vom Gedanken geprägt, dass das Schlimmste für die Labels vielleicht schon überstanden sei. Deutlich zu optimistisch: die Erosion der Industrie schritt schneller voran als gedacht. Das betraf insbesondere die beiden Majors Warner und EMI. Wenn die Regeln der Börse für Musik schon schwierig sind, da Kreativität sich nicht in Quartalen abbilden und steuern lässt, ist das absolut kurzfristige Gewinnstreben von Venture Capital, also den sogenannten Heuschrecken, nicht mit ihr vereinbar. Genau solche Unternehmen sind mittlerweile aber die Mehrheitseigentümer der beiden Traditionshäuser. In dem jetzigen Marktumfeld riecht das nach ihrer Zerschlagung und dem Verkauf in Einzelteilen; an wen auch immer. Auf Dauer wird es wohl deshalb nur noch zwei Majors geben – Universal und SonyBMG.
Der Eintritt von Finanzinvestoren in die Musikwirtschaft hatte aber auch seine guten Seiten: Realismus bis zur Selbstverachtung. Die EMI, damals noch mit einem ehemaligen Keksproduzenten an der Spitze, hat als erste das für Branchenfremde schwer nachvollziehbare Dogma des DRM (Kopierschutz auf Downloads) in Frage gestellt und für ihren Katalog gänzlich abgeschafft. Universal Music zog zunächst in den USA und Warner gleich weltweit nach. Dort kam mit Jim Griffith zudem ein Mann in führende Position, die er bei Universal verloren hatte, als er für deren Label Geffen die Suche nach einem Geschäftsmodel mit Tauschbörsen propagierte. Als Verantwortlicher für das digitale Geschäft der Warner Gruppe setzt er diesen Gedanken jetzt um. Auf Dauer führen alle Wege Richtung Flatrates: der Konsument zahlt eine Grundgebühr, hat dafür aber die Möglichkeit, herunterzuladen was und wieviel er will. Flatrates sind von allen Labels mit dem japanischen Mobilanbieter DoCoMo vereinbart worden. In Europa bietet sie das skandinavische Telekommunikationsunternehmen TKS für alle Firmen bis auf Universal an, alles von Universal ist wiederum mit Geräten von Nokia für eine Pauschale zu beziehen. Der Haken im Vergleich zum Piraten: Der Besitz ist nur temporär. Erlischt das Abo, verschwindet auch die Datei. Und ein globaler Flatrate-Standard bleibt weiterhin ein Traum ...
Springt die Musikindustrie über diese letzte Hürde, die sie sich da selbst aufgebaut hat, bietet sie für 5 bis 10 Euro pro Monat (soviel zahlt ein Filesharer auch für ein gutes Administrationssystem) den dauerhaften Download, dann ist sie schnell dort, wo man sie vor vier Jahren bereits gewähnt hat. Sie ist dann nicht mehr dieselbe, aber eine in ihrer Wiedergeburt rundum erneuerte Branche.
Wenn es hilft, die unterschiedlichen Industrien zu gewagten aber konsequenten Schritten wie diesen zu ermutigen, tingele ich gerne noch eine Weile als Onkel Konstantin über die Bühnen der Konzernzentralen und Unternehmensverbände und erfreue mich am digitalen Leben nach dem analogen Tod.
Einleitung
Dies ist die Geschichte eines Scheiterns. Meines Scheiterns. Schließlich trat ich vor 18 Jahren nicht an, um in der Musikindustrie Karriere zu machen. Im Gegenteil, ich wollte sie entlarven. Mein Job als sogenannter Junior A&R und Produktmanager des Musikkonzerns PolyGram (also als ein Scout, der Künstler findet, deren Produktionen organisiert, diese überwacht und die Veröffentlichung