Название | Ich war ein Roboter |
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Автор произведения | Wolfgang Flür |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870363 |
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WIR ELEKTRISCHEN VIER
Düsseldorf, Januar 1974 +++ Wir hatten uns von Röder auch aus dem Grund getrennt, weil er sich mit seinen langen Haaren und seinem Bart nicht so recht in unser neu gewähltes Erscheinungsbild einfügen wollte und weil unsere Popmusik einfach nicht seine Sache zu sein schien. Die Gründer hatten für Kraftwerk ein strenges, sehr deutsches Erscheinungsbild gewählt. Ich selbst hatte bei meinem Eintritt in die Band ja noch eine Hippie-Frisur und trug einen Schnurrbart. Und auch Ralf trug Anfang der 70er Jahre noch schulterlange Haare. In der Zeit ihrer musikalischen Experimente mit Organisation, ihrer ersten Gruppe und Kraftwerk I und Kraftwerk II mochte das ja noch gepasst haben. Ich bin mir aber sicher, dass wir uns auf Veranlassung von Florian, der damals den Modestil der 50er Jahre liebte, mit dem Erscheinen des Albums Autobahn, diesem typisch deutschen Thema, ein ebenfalls deutsches Image zulegten, so wie die Beach Boys mit ihrem ›All American Dream‹ den amerikanischen Prototypus repräsentierten. Das fand ich auch sofort gut. Ich kann mich noch daran erinnern, dass wir uns alle die Haare schneiden ließen und in der Stadt Anzüge kauften. Ralf und Florian hatten sich sogar bei einem Düsseldorfer Maßschneider Anzüge auf den Leib nähen lassen. Immerhin bezahlten sie auch unsere Konfektionsware, da es sich ja sozusagen um Arbeitskleidung handelte. Wir wollten einfach nicht mehr mit der englischen Pop-Szene oder mit Bluejeans tragenden, amerikanischen Rockbands verglichen werden.
Musikalisch ging das ja sowieso schon nicht mehr. Wir wollten zeigen, dass es auch in Deutschland eine stilistisch eigenständige moderne Unterhaltungsmusik gab, die ihre Ursprünge in unserer eigenen Kultur hatte. Diese Musik war Ralfs und Florians Erfindung. Gemeinsam mit anderen und mir entwickelten sie ein intellektuelles und zugleich unterhaltsames Musikkonzept auf der Basis unserer romantischen Volksmusikmelodien in Kombination mit modernen naturwissenschaftlich-technischen Themen, zeitgemäß elektronischen Instrumenten und einer selbstbewussten, eigenständigen Form. In zunehmendem Maße verstand ich, was sie wollten, und ich war froh, diese Musik mit aufführen zu dürfen.
Aber gerade für diese Präsentation waren wir auf der Bühne immer noch zu wenig Darsteller. Wir hatten ja in der Zwischenzeit bei Auftritten festgestellt, dass wir mehr Männer für unsere Live-Shows brauchten. An eine Frau haben wir damals nie gedacht - wie dumm, denke ich heute. Vom Konservatorium her kannte Florian einen Musikprofessor, den er um Rat fragte. Dieser legte ihm den talentierten Musikus Karl Bartos ans Herz. Der Student hatte am Düsseldorfer Institut Schlagzeug, Klavier und Vibraphon gelernt und stand bald vor seinem Examen. Florian brachte ihn eines Tages mit ins Studio. Karl wirkte äußerlich noch sehr studentisch mit seinem Dufflecoat-Mantel, Turnschuhen, Bluejeans und dunkelrotem Nicki, den er ständig trug. Auch war er um einige Jahre jünger als wir, aber recht forsch und selbstbewußt, das spürte ich mit einigem Neid.
Für einige Zeit spielte Karl bei uns zuerst sein konventionelles Vibraphon, welches damals sein Lieblingsinstrument war. Das schwere Teil wurde sogar auf unserer gesamten ersten Amerikatournee mitgeschleppt und verursachte hohe Transportkosten. Aber in erster Linie sollte Karl ebenfalls Schlagzeug spielen. Er war schließlich ausgebildeter Konzerttrommler und konnte Figuren spielen, zu denen ich selbst gar nicht fähig war. Auf jeden Fall war er eine kolossale Bereicherung für uns. Zu Beginn hatte ich allerdings etwas Angst, dass er mich eventuell ersetzen könnte. Aber diese Bedenken stellten sich bald als unberechtigt heraus, weil ich mittlerweile mit weiteren Fähigkeiten wichtig geworden war.
Mit Karl kam ich Gott sei Dank schnell in einen herzlichen Kontakt, kam er doch aus einem ähnlichen Elternhaus wie ich. Von nun an hatten wir beide denselben Status, auch wenn ich schon ein Jahr länger dabei war. Wir waren zunächst feste Honorar-Musiker in der intellektuellsten und elektrischsten Pop-Band überhaupt. Für Karl baute ich ein Plattenschlagzeug aus einer zweiten Beatbox und einem kleineren Spielbrett. Das Prinzip war komplett dasselbe, nur die Klänge aus seinem Kasten waren anders. Mit metallenen ›Stricknadeln‹ wurden auch sie manuell zu Rhythmen geschlagen oder einzelne Sounds ausgelöst. Wir gaben beim alten Portraitfotografen in der Blumenstraße neue Autogrammkarten in Auftrag, auf denen man zum ersten Mal das Erscheinungsbild von Kraftwerk sah, wie es sich für die kommenden zwölf Jahre und die beste Schaffensperiode der Band nicht mehr ändern sollte.
Und bald ergab es sich auch für Karl, dass in unserer Wohnung in der Berger Allee zwei Zimmer frei wurden, die er beziehen konnte. Bis dahin hatte dort der Grieche Platon Kostiz gewohnt, ein Kollege von Ralf aus dessen Studentenzeit. Wie ich hatten die Beiden Architektur studiert, doch im Gegensatz zu Ralf und mir hatte Platon sein Examen gemacht und er war nun mit seiner deutschen Freundin auf dem Weg zurück nach Griechenland. Die beiden Zimmer im hinteren Anbau, die er bewohnt hatte, waren somit frei, und wir boten sie Karl als Wohnung an. Der war auch sofort begeistert, dass er aus seiner Dachwohnung ohne Bad und Heizung im Stadtteil Oberkassel ausziehen konnte. Unser neuer Kollege lebte von nun an ebenfalls bei uns in der Berger Allee 9 mit Bad und mit Heizung – eine echte Männer WG - und wir genossen es.
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ZU SCHNELL AM BROADWAY - AMERIKA ENDLOS
Düsseldorf, April 1975 +++ Kollege Karl hatte viel Arbeit mit seinem Musikstudium und oft wenig Zeit fürs Proben. Das war aber weiter nicht schlimm, weil Autobahn die letzte Platte war, die noch für den Philips-Vertrag abgegeben werden musste. Jetzt hieß es erst einmal abwarten, wie die Medien und unser Publikum das neue Werk annehmen würden.
In der Zwischenzeit genossen wir unser Leben in vollen Zügen. Mit Emil wanderte ich oft in die umliegende Natur. Ich hatte einen roten Opel Kadett, und so konnten wir leicht an den Niederrhein fahren. Emil zeigte mir seine Geburtsstadt, den Wallfahrtsort Kevelaer und dessen flache ländliche Umgebung. Es gab eine wunderbare Verbindung zwischen ihm und mir. Beide liebten wir Ausflüge in die Natur. Wir hatten mittlerweile einige gemeinsame Freunde und Freundinnen aus anderen Kreisen. Emil war damals noch Kunstlehrer am Düsseldorfer Rethel-Gymnasium. Oft hatte er in der Berger Allee Besuch von seinen Schülern. Dort traf man sich dann in unserer gemeinsamen Küche bei Kaffee und selbstgebackenem Kuchen. Wir hatten eine echte Lebensgemeinschaft - auch wenn ich ihm des Öfteren Mädchen ausspannte, die er was weiß ich woher holte und die ich dann zu mir nach nebenan lockte und ›verarbeitete‹. Emil war nie nachtragend, war immer ein souveräner und großzügiger Mensch, wie ich noch nie einen anderen kennengelernt hatte.
Man kann sich vorstellen, dass bei uns immer viel los war - vor allem, nachdem jetzt auch Karl bei uns wohnte. Langeweile kannten wir nicht. Partys gab‘s so oft wie möglich, Frauen Abstauben war obligatorisch; Küche aufräumen bedeutete jedesmal Kampf, die monatliche Telefonrechnung auf jeden Fall Krieg. Es war eine herrliche Zeit und ich fühlte mich wohl in meiner jungen Haut und meiner neuen Rolle.
Eines Tages riefen Ralf und Florian an und luden uns zum Gespräch in ein auswärtiges Café ein. Sie taten sehr geheimnisvoll und wollten am Telefon keinen Grund dafür nennen. Mit Ralfs grauem VW fuhren wir hinaus aufs Land. Es war im Frühjahr 1975 schön warm und wir konnten schon im Freien sitzen.
Ralf räusperte sich in seiner speziellen Manier und sagte: »Was haltet ihr von Amerika, Jungs?« Wir hatten keine Ahnung, was er damit meinte. Ralf berichtete weiter: »Unsere Platte ist in den USA in den Charts und bewegt sich schnell nach oben. Sie hat gerade einen hohen Platz erreicht und wir haben ein tolles Angebot für eine Tournee durch die gesamten Staaten erhalten.«
Das haute uns vielleicht um. Ein Taumel, ein Wahnsinn! Wir nach Amerika? Es war nicht zu fassen! Was hatten wir gemacht? Wie konnte das so schnell passieren? Völlig aus dem Häuschen überlegten wir, wie wir uns im Land des kreischenden Gitarrenrock präsentieren könnten. Natürlich wollten wir mit. Die Ideen und Spinnereien flogen nur so hin und her und setzten sich auf der gesamten Heimfahrt fort. Es war einfach zu spannend. Die Tournee war schon für den April angesetzt. Zunächst sollten laut dem amerikanischen Manager Ira Blacker von ›Mouse Ltd.‹ zweiundzwanzig Konzerte stattfinden.