Название | Ich war ein Roboter |
---|---|
Автор произведения | Wolfgang Flür |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870363 |
Ralfs Schwester sollte einige von uns mit dem VW ihres Bruders zum Flughafen fahren; die anderen wollten mit dem Taxi folgen. Als dieses draußen wartete, rannte ich noch schnell auf die Straße, weil ich meinen roten Kadett auf einen sicheren Parkplatz ohne Parkuhr stellen wollte. Es war höchste Zeit, loszufahren, und wir waren wegen unseres ersten gemeinsamen Überseefluges ganz schön aufgeregt. Nach dem Einparken meines Autos schmiss ich die Fahrertür fest zu und spürte im selben Moment einen hammerartigen Schlag auf meinen linken Daumen. Es war so heftig, dass ich fast in die Knie ging. Blass vor Schmerz sah ich, was passiert war: Mein Daumen steckte noch in der Tür. Genau gesagt, zwischen der Karosserie und dem Rahmen der zugeschlagenen Tür. Ich wollte es einfach nicht glauben, was ich da sah. Wie flach musste mein Finger sein, dass er dort noch dazwischen passte? Ich schrie laut auf vor Schmerz, so dass Emil und Florian sorgenvoll angerannt kamen und die Tür wieder aufrissen. Da stand ich nun mitten auf der Berger Allee, und mein Daumen wurde dunkelrot und schwoll heftig an. Eigentlich hätte ich sofort zu einem Arzt gemusst, aber dazu war keine Zeit mehr. Die Jungs hakten mich einfach unter und schleppten mich zum Taxi. Den Tränen nahe schmiss ich mich in den Fond, und es ging ab zum Flughafen. Ich war völlig beherrscht vom pochenden Schmerz, nahm alles um mich herum kaum noch wahr und trottete einfach hinter meinen Kollegen her, die mir mein Gepäck abgenommen hatten.
Es dauerte noch unendlich lange, bis wir im Jumbo der Pan Am Platz nehmen konnten. Sofort kümmerte sich Emil um mich und sprach mit der Stewardess. Sie hatte die grandiose Idee für meine schmerzliche Lage: Eiswasser! Ja, das war es. Die Flugbegleiterin brachte mir aus der Bordküche ein Glas mit kaltem Wasser, welches sie zusätzlich noch mit Eiswürfeln aufgefüllt hatte. Ich hielt also meinen Daumen da hinein und es dauerte nur Sekunden, bis sich der Schmerz verzog. Er wurde allerdings durch einen neuen, wenn auch weniger schlimmen ersetzt. Die eisige Kälte tat nämlich auch schnell weh. Ich hatte nun die Wahl und es wurde ein Wechselbad der Pein. Quälende neun Flugstunden lang musste ich meinen lädierten Daumen immer wieder in Eiswasser tauchen und rechtzeitig wieder herausnehmen, damit es keine Erfrierungen gab. Ich hatte also alle Daumen voll zu tun und an Schlaf war kaum zu denken. Die Kollegen waren rührend um mich besorgt und trösteten mich. Emil half mir beim Essen, ein anderer holte neue Eiswürfel aus der Bordküche, wenn die alten geschmolzen waren. So dramatisch hatte ich mir den Beginn unserer Amerika-Tournee wirklich nicht vorgestellt.
Irgendwann war der Flug dann doch vorbei, und die Maschine landete spätnachmittags Ortszeit in New York. Wir brachten die umständliche Einreiseprozedur gehorsam hinter uns - und zwar als Touristen. Für den eigentlichen Zweck unserer Reise hätten wir nicht so schnell eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Mr. Ira Blacker, ein fetter Manager, nahm uns in der Halle des Kennedy Airports in Empfang und fuhr uns mit einer schwarzen langen Limousine und ebenfalls langem, schwarzem Chauffeur in die Stadt. Alles, was ich auf der Fahrt in die City wahrnehmen konnte, war groß und ebenfalls sehr lang. Und hoch. Es war schon dämmrig draußen, und die Highways waren dicht gefüllt mit vor Chrom strotzenden Straßenkreuzern mit langen, potenzerigierten Kühlerhauben dieser 70er Jahre. Entsprechend lang dauerte die Fahrt in die City. Ohne mein Glas mit Eiswasser wurde das schmerzhafte Pochen in meinem Daumen wieder schlimm. Ich quälte mich schließlich seit gut zwölf Stunden damit herum. Blacker versprach, er werde sich sofort um einen Arzt kümmern, sobald wir im Hotel wären. Das ›Goreham‹ in der 55. Straße war für Karl, Emil und mich gebucht. Ralf und Florian wohnten ganz in der Nähe im feineren ›Mayflower‹ am Central Park West. Nachdem Karl und ich unser komfortables Zimmer gemütlich gemacht hatte, nahmen wir erst einmal unsere neue Umgebung in Augenschein. Der Liftboy, der unsere Koffer nach oben gebracht und uns das Zimmer aufgeschlossen hatte, schaltete sogleich überall das Licht und die Gebläse ein, die ich sofort hinter ihm wieder ausschaltete. Es war ja kalt um diese Jahreszeit, und für den Serviceman gehörte es wohl zu seiner Pflicht, alles einzuschalten, was den Komfort des Zimmers demonstrieren konnte. Ich blickte aus dem geöffneten Schiebefenster in die Tiefe der Straßenschlucht. Wir befanden uns immerhin im 27. Stockwerk. Da konnte man die Menschen und Autos unten nur als kleine, bewegliche Punkte erkennen. Eine Klangwolke aus Straßenlärm und Polizeisirenen, die ich bisher nur aus amerikanischen Krimis kannte, drang in unseren Raum. Hier war all dies real und ich empfand es wirklich ziemlich amerikanisch. Der Blick über New York am Abend und über die umliegenden Gebäude mit ihren altmodischen hölzernen Wassertanks und riesigen Neonreklamen auf den Dächern gefiel mir gut, obwohl ich das alles gar nicht so schrecklich modern fand. Es war nur so aufregend anders als bei uns, und die Stadt sprudelte trotz der abendlichen Stunde vor Energie und Licht. Der Boy wollte uns einfach nicht verlassen. Er stand da mit erwartungsvollem Blick im Zimmer herum, bis wir ihm ein paar Dollar Trinkgeld gaben. Für uns sah ein grüner Schein wie der andere aus, weshalb wir ihm vermutlich eine ziemlich fürstliche Summe überreichten. Jedenfalls bedankte sich der junge Mann überschwenglich und las uns vortrefflicherweise in den kommenden Tagen jeden Wunsch von den Augen ab.
Bald darauf klopften auch schon unsere Kollegen bei uns an. Angesichts der vielen Riegel und Schlösser der Türe unserer Suite, erahnte ich, dass es wohl nicht die sicherste Gegend war, in der man uns untergebracht hatte. Ralf stellte uns Henry Israel vor, einen Mitarbeiter von Ira Blacker, der in den nächsten Wochen unser Tourmanager sein sollte. Der gutaussehende Mann mit schwarzem Dreitagebart und funkelnd schwarzen Augen, fuhr sofort mit mir zu einem Hospital, wo es nächtlichen Notdienst gab, um meinen Daumen versorgen zu lassen. Im Krankenhaus angekommen, fiel mir sofort die Unordnung dort auf. Es war ziemlich anders als in einer deutschen Klinik. Vielleicht war es aber auch nur eine simple Notstation für ausgeflippte Fälle. Ich muss gestehen, dass ich nicht viel Vertrauen zu den Leuten dort hatte. Ein Arzt bat mich und Henry Israel nach kurzer Wartezeit in sein Behandlungszimmer. Er sah sich meinen maträtierten Daumen genau an und wunderte sich, dass ich dessen Verwundung so lange hatte aushalten können. Ich schilderte ihm meine Ungeschicklichkeit mit meinem Auto in Deutschland und die Behandlung mit Eis während des Fluges und er war sichtlich erfreut über den cleveren Rat der Stewardess. ›Ein schlimmer Bluterguß unter dem Daumennagel‹, so lautete seine Diagnose, nachdem er durch eine Röntgenaufnahme festgestellt hatte, dass kein Bruch vorlag. Der Schmerz kam vom Druck des angestauten Blutes, das sich wegen des begrenzenden Daumennagels nicht ausbreiten konnte. Der Arzt nahm eine gewöhnliche Büroklammer, bog sie auseinander und erhitzte ein Ende über einem Bunsenbrenner bis zur Rotglut. Dann schmolz er mit dem heißen Drahtende ein kleines Loch in meinen Daumennagel. Das gestaute Blut lief sofort heraus, worauf der Druck in meinem Finger augenblicklich nachließ. Ich hätte den Mediziner umarmen können. Wie clever, wie schmerzlos, wie schnell hatte der Mann mir geholfen! Ich dachte noch, wenn ich nur gewusst hätte, wie, hätte ich das in der Flugzeugtoilette vielleicht sogar selbst machen können. Jedenfalls war ich gewaltig erleichtert. Ein kleiner Verband noch um den Sorgenträger, und mit dem Taxi und Mr. Israel ging es wieder zurück ins ›Goreham‹. Jetzt endlich konnte auch ich unseren Aufenthalt genießen und mich auf die ausgedehnte Reise freuen.
Am nächsten Vormittag sahen wir zusammen amerikanisches Fernsehen. Eine Life-Übertragung aus Rom. Der Papst hatte gerade sein ›Urbi et Orbi‹ verkündet, denn es war ja Ostern, da entdeckte ich auf einem anderen Kanal eine halbstündige US-Soup - völliger Blödsinn - wie es sie in Deutschland noch nicht gab. Eine der beliebtesten, wie mir später gesagt wurde, war in Amerika eine Dritte-Reich-Serie mit der vollkommenen Verarschung der Nazi-Soldateska. Ich fand das erst mal miese, weil mir unsere beschissene politische Vergangenheit zu Hause denn doch zu ernst war, als dass man hier seine Späßchen darüber machen sollte. Aber auf diesen zackig lauten ›sälbsverrrrstänndlich - jawollll - auf, nieder, auf, nieder - strammmmsteh‘n - zu Befähl Herr Majorrr‹-Befehlstondrill, mit dem die Amerikaner uns Deutsche verbinden, bin ich doch ganz schön abgefahren, das muss ich gestehen. Ich brauchte halt meine Zeit, um den verarschenden Witz daran zu empfinden - als Deutscher eben. Und dann ständig