Название | Ich war ein Roboter |
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Автор произведения | Wolfgang Flür |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870363 |
Zwei Tage hatten wir, um uns an die neue Zeit und das noch kalte Klima zu gewöhnen. So probten wir nachmittags ein wenig in einem angemieteten Rehearsalstudio (Proberaum), wo Ralf von einem Fernsehteam interviewt wurde, das Wind von unserer Anwesenheit bekommen hatte. Noch ‘ne andere Band probte da, Greenslade, die ständig von Ralf abgewimmelt wurden, wenn sie ihn mal sprechen wollten. Ich fand das ganz schön arrogant. Mein Englisch war damals noch ziemlich schlecht, und deshalb wagte ich nicht, sie zu fragen, was sie wollten, aber wahrscheinlich war es nur ein Autogramm. Greenslade wurde jedenfalls für die erste Zeit unser ›Opening Act‹, unser ›Support‹. Bei uns heißt das schlicht Vorgruppe.
Am einem weiteren Nachmittag ließen wir uns vom berühmten New Yorker Starfotografen Maurice Seymour ablichten. Dieses Schwarzweißfoto wurde drei Jahre später unser Plattencover für die deutsche Ausgabe von Trans Europa Express. Bei einem Empfang in Florians Musikverlag ›Famous Music‹, in einem der vielen Wolkenkratzer in Brooklyn, gab es eine kleine Party. Man beäugte uns wie Außerirdische. Am großen Konferenztisch saß eine Mitarbeiterin, die mir sofort auffiel. Eine äußerst aparte junge Frau, die indianisch wirkte mit ihren schwarzen langen Haaren, dem scharf geschnittenem Gesicht, den mandelförmigen Augen und der getönten Haut. Sie sandte intensive Blicke in meine Richtung. Anscheinend war ich ihr sympathisch. Später wurde sie mir als Anne vorgestellt, die rechte Hand des Chefs. Anne plante für den nächsten Tag ein Picknick im Freien, das ich mit der alten Super-8-Kamera von Bell & Howell filmte, die mir mein Vater auf die Reise mitgegeben hatte. Ein paar Decken, ein paar Tüten mit Sandwiches, Kuchen, Kaffee und Donuts waren schnell organisiert, und wir spielten Frisbee im noch kahlen, aber sonnigen Central Park. Wir machten nur Blödsinn an diesem kalten Apriltag und Anne gefiel mir immer besser. Ich hatte noch nie eine so hübsche Frau gesehen. Ihre Schönheit machte mich vollkommen verrückt und unsicher, und das schritt rapide voran. Bald dachte ich nur noch an sie. Sie hatte mir immer wieder Blicke zugeworfen, die absolut unmissverständlich waren. Auf eine Gelegenheit für mehr musste ich aber noch warten.
Eines der ersten Konzerte fand am 3. April 1975 in Rochester, im Norden des Bundesstaates New York statt. Es verlief völlig unspektakulär und fast unbeachtet von der Presse. Das war auch so geplant, da wir uns erst einmal einspielen mussten und uns keine Fehler vor Kameras oder gierigen Reportern leisten wollten. Eine ungemütliche kalte Halle erwartete uns in der Kleinstadt. Das Publikum konnte kaum etwas mit uns anfangen. Dass man dort unsere Musik schon im Radio gehört hatte, würde ich eher bezweifeln. Ich kann mich auch an keinen Höhepunkt erinnern, außer, dass während unseres Auftritts ein eisiger Blizzard übers Land gefegt war, und wir anschließend ziemlich bestürzt in eine stille weiße Winterlandschaft starrten. Ein Kälteeinbruch dieser Kategorie war für uns ebenso fremd wie den Jugendlichen von Rochester unser unterkühlter Elektronensturm. Der kleine Flugplatz des Städtchens musste geschlossen werden, und wir traten die Rückreise am nächsten Tag mit einem gemieteten Kombi an. Es war eine ziemlich abenteuerliche Fahrt über dick zugeschneite Highways, die sich zu einer gewagten Rutschpartie zurück nach New York entwickelte.
Dort war es dann wieder schneefrei, wenn auch sehr kalt. Gut, dass wir alle unsere dicken Wintermäntel und Wolljacken mitgenommen hatten. Nie werde ich das Bild von Ralf vergessen, der mich mit seinem schwarzen Wollcoat mit Pelzkragen eher an einen Großindustriellen oder Banker erinnerte. Er hatte auch ständig einen ledernen Diplomatenkoffer mit goldenem Zahlenschloß bei sich und wirkte mit seiner altmodischen Hornbrille eher konservativ, nicht gerade wie ein Popstar. Florian dagegen hüllte sich in einen langen beigefarbenen Kamelhaarmantel, der, ganz im Stil der 70er Jahre, mit breiten Revers auch durchaus von einem Mafiaboss hätte sein können. Jedenfalls trugen die Gangster in Martin-Scorsese-Filmen immer solche modisch geschnittenen und eng taillierten Mäntel. Mit einer schmalen, gefährlich aussehenden Sonnenbrille aus dünnem Goldmetall verdeckte Florian seine Augen.
Ich selbst war damals noch ziemlich farbig drauf. Eine dreiviertellange knallbunte Wolljacke mit großen Karos und Knöpfen, wie sie die Holzfäller in Canada tragen, hatte ich mir vor der Abreise zugelegt. Auch trug ich meine Haare noch länger als meine Kollegen und ich umwickelte meinen Hals mit einem weichen, leuchtend roten Wollschal. Karl wärmte sich - immer noch ganz studentisch - mit seinem dunkelbraunen Dufflecoat. Jeans und ehemals weiße Turnschuhe bildeten geradezu eine Künstlerphilosophie für ihn.
Die nächsten Tage blieben wir noch einmal in New York und vertrieben uns die Zeit mit Schaufensterbummeln und nachmittäglichen Proben. Ralf hatte ein sonderbares Gerät aufgetrieben - das ›Vaco Orchestron‹. Ganz neu auf dem Markt, war es eine modernere Version des ätherischen Mellotron. Man konnte mittels dünner Cellophanscheiben, auf die Lichttonlinien gedruckt waren, original aufgenommene Instrumente und menschliche Chöre wiedergeben. Die transparenten Scheiben waren so groß wie Schallplatten und ebenfalls mit einem Loch in der Mitte versehen, die Linien verliefen nicht wie Rillen bei Schallplatten spiralförmig von außen nach innen, sondern bildeten in sich geschlossene Ringe. Jeder Ring erzeugte eine einzige Stimme und Tonhöhe. Da alle Linien parallel und gleichzeitig von einer Fotozellenreihe abgetastet wurden, konnte man sie mittels einer üblichen Tastatur polyphon abspielen. Der Klang war einfach toll. Das markante Gerät klappte ganz vorzüglich, und es war eine attraktive klangliche Bereicherung für unsere Musik. Bereits auf der Tournee setzte Ralf es schon in unseren Songs ein. Vor allem die Chöre und Streicher hatten etwas Faszinierendes. Sie klangen ein bißchen leiernd und melancholisch. Es lag am instabilen Antrieb über Gummibänder; Gleichlaufschwankungen waren die Folge. Aber das schadete dem Charme dieser Klänge überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil, gerade das leichte Leiern war charakteristisch für das Vaco-Orchestron, ein unförmig schwerer Holzkasten in Wohnzimmerdesign. Später wurde es durch ein zweimanualiges und mit zwei Laufwerken ausgestatteten Modell ersetzt, auf dem man verschiedene Instrumente oder Chöre gleichzeitig spielen konnte.
Eines Abends kamen Ralf und Florian, die tagsüber ständig irgendwelche geschäftlichen Termine ohne uns andere wahrnahmen, wieder einmal in unser Hotel. Wir waren, wie meistens abends, zum Essen verabredet und fuhren mit unserem Manager zusammen in der sehr langen Limousine, immer noch gefahren vom sehr langen schwarzen Chauffeur, in ein elegantes Restaurant. Ralf und Florian zeigten uns neue Armbanduhren, die sie am Nachmittag in einem teuren Schmuckgeschäft am Broadway von ihrem Musikverlag als Bonus für die erfolgreiche Platte geschenkt bekommen hatten, von der mittlerweile um die 450 000 Einheiten verkauft worden waren. Die Chronometer, so berichtete Ralf stolz, hatten sie sich selbst aussuchen dürfen. Er hatte sich für eine elegante Weltzeit-Armbanduhr entschieden, die ganz aus Gold gefertigt war. Die Kontinente der Erde waren in verschiedenen Farbtönen des Edelmetalls gearbeitet. Das Ziffernblatt stellte den Globus dar, welcher von vertikalen Linien in die Weltzeitzonen unterteilt wurde. Ein winzig kleines Flugzeug, das in Sekundenschritten um die Erde tickte, bildete die Spitze des langen Sekundenzeigers. Ein wunderschönes und bestimmt sehr teures Kunsthandwerk hatte sich Ralf da ausgewählt. Florian dagegen hatte eine schwere Rolex-Armbanduhr ausgewählt. Ein protziges Stück Platinmetall in Techniklook mit einer fetten Aufziehkrone und dicken Knöpfen für die Kurzzeitmessung. Die Wahl beider Uhren sprach für die Künstler selbst. Ralf und Florian waren so unterschiedlich in ihrem persönlichen Geschmack wie in ihren musikalischen Talenten. Diese Tatsache bildete aber gerade ihre kreative Besonderheit. Mich selbst berührte es jedoch seltsam, wie sehr sie sich von uns anderen absonderten, und dass sie uns nun auch noch ihre wertvollen Geschenke vorführten.
Ihr Verhalten hatte mich nicht zum ersten Mal nachdenklich gestimmt. Der Umgang mit uns Freunden war Ralf und Florian nicht immer leicht gefallen. Wie wir uns fühlten, darüber dachten die beiden wohl kaum nach. Das war aber keine böse Absicht von ihnen, sondern fehlende Empathie - die mangelhafte Wahrnehmung der Gefühle ihrer Kollegen, wie ich es mir später