Nightflights. Alan Bangs

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Название Nightflights
Автор произведения Alan Bangs
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862870202



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dass der Sound, den der Zuschauer hört, nicht live ist, sondern kostete diese Tatsache geradezu aus.

      Udo Lindenberg schaffte es, Nanzie das Mikrofon aus der Hand zu reißen, und statt ein Interview zu geben, nahm er die Gelegenheit wahr und hielt eine (politische) Rede, ehe er dann auf die Bühne stieg, auf dem nassglatten Boden ins Rutschen kam und sich beinah das Auge aufgeschlitzt hätte. Am folgenden Tag schmückte er die Titelblätter mehrerer Zeitungen. Ich konnte es nicht übersehen, als ich mich am Flughafen kurz vor dem Start nach Frankfurt und dann weiter nach Nizza mit Lesestoff eindeckte.

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      (Foto: Manfred Becker)

      24. Januar: Scott Fitzgerald, das Mädchen Marise und der Flug nach Nizza

      Heute nachmittag um halb vier stand ich am Ausgang A 15 des Frankfurter Flughafens und wartete darauf, an Bord der Lufthansa-Maschine 150 nach Nizza gehen zu können. Weniger als neunzig Minuten später sah ich dann zum ersten Mal die Alpen von oben. Ihre schneebedeckten Gipfel ragten über die Wolken, die in den Tälern hingen, hinaus - genauso abgehoben wie das Flugzeug selbst. Die Nase ans Fenster gepresst betrachtete ich sie, solange ich konnte. Schließlich flogen wir einen weiten Bogen über das Mittelmeer, und als wir auf die Küste zusteuerten, erkannte ich die Côte d‘Azur unter mir. Die Sonne ging gerade unter, und das vom Wind aufgewühlte Meer spiegelte die Lichter der Häuserreihen auf den Hügeln in der Dämmerung wider. Die Palmen zwischen den Straßenlaternen warfen seltsame Schatten, die sich von Nizza nach Cannes und weiter bis nach Monte Carlo erstreckten.

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      (Foto: Manfred Becker)

      Ich dachte an Scott Fitzgerald und seine Beschreibung der Côte d‘Azur in »Zärtlich wie die Nacht«, der Roman, an dem er wie besessen arbeitete, während seine Frau von Tag zu Tag kränker wurde. Und an die zwanziger und dreißiger Jahre, als hier in Südfrankreich die reichen, abtrünnigen Amerikaner zu überwintern pflegten, während sie sich im Sommer, wenn ihnen die Hitze allzu sehr zusetzte, weiter Richtung Norden zurückzogen. Ich dachte darüber nach, wie die Zeiten sich geändert hatten, und dann fiel mir plötzlich ein Mädchen ein, das ich vor mehr als fünfzehn Jahren kennengelernt hatte, als ich nachts mit dem Zug von Marseille nach Paris unterwegs war ...

      Vor all diesen Jahren war ich mit einem amerikanischen Freund nach Südfrankreich gekommen. Seine Mutter stammte aus Frankreich, und deshalb hatte er eine Menge Verwandte dort unten. Ehe wir noch weiter Richtung Süden fuhren, verbrachten wir ein paar Wochen in einer kleinen Jagdhütte in der Nähe von Orleans. Diese Hütte gehörte der Großmutter meines Freundes, die jedoch in der Stadt wohnte, wo sie mit Hilfe ihrer Schwester eine kleine Privatschule leitete. Sie hatte von morgens bis abends zu tun und schlug uns daher vor, doch lieber raus in die Hütte zu ziehen, statt bei ihr in der Stadt zu wohnen; dort hätten wir wenigstens unsere Ruhe.

      Sie brauchte uns nicht lange zuzureden, und als sie uns außerdem noch zwei Mopeds mitgab, waren wir unabhängig genug, um die ganze Umgebung auf eigene Faust auskundschaften zu können. Nach einer Weile aber kannten wir die Gegend wie unsere Westentasche und überlegten, was wir als nächstes machen sollten. Ich schlug vor, runter nach Bourges zu fahren, und die Landschaft, in der Alain-Foumier als Kind gespielt hatte, unter die Lupe zu nehmen. Vor einem Jahr hatte ich zum ersten Mal seinen Roman »Le grand meaulnes« (dt.: »Der große Kamerad«) gelesen und war hin und weg gewesen. Ich hatte es sogar mit nach Frankreich genommen und abends in der Hütte darin geblättert. Es hatte mich völlig verzaubert. Ich entdeckte immer neue Parallelen zwischen dem Leben Alain-Fourniers und meinem eigenen. Er hatte all seine Kraft in dieses Buch gesteckt und, indem er die Geschichte von Meaulnes und Yvonne wiedergab, sein innerstes Wesen offenbart und die ganze Welt auf den Kopf gestellt.

      Am 1. Juni 1905 war Fournier einem Mädchen, das er noch nie zuvor gesehen hatte, bis nach Hause gefolgt. Sie hatte offenbar in Begleitung einer älteren Dame eine Ausstellung im Salon de la Nationale im Grand Palais besucht. Am selben Tag noch versuchte er, in sein Zimmer zurückgekehrt, fieberhaft den Eindruck, den das Mädchen auf ihn gemacht hatte, zu schildern. Die Zeilen, die er damals zu Papier brachte, waren der Anfang zu »Le grande meaulnes«. In den folgenden Tagen schlich er oft um das Haus herum und hielt die Augen auf, bis er schließlich tatsächlich für seine Beharrlichkeit belohnt wurde. Am Sonntag, den 11. Juni sah er sie wieder, und diesmal sprach er sie an. Anfangs zögerte sie, sich auf ein Gespräch mit ihm einzulassen, doch irgendwann erzählte sie ihm dann doch, dass sie Yvonne de Quiévrecourt hieß, aus einer Seefahrerfamilie in Südfrankreich stammte und am nächsten Tag Paris verlassen würde, um zu ihrer Familie nach Südfrankreich zurückzukehren. Er erzählte ihr von seinen literarischen Ambitionen, und sie sagte immer wieder: »A quoi bon? A quoi bon?« (Wofür soll das gut sein?) - eine Frage, die ihn sein ganzes Leben lang verfolgen und die er später auch in seinen Roman einbauen sollte. Am nächsten Tag brach Yvonne tatsächlich nach Toulon auf, wo, wie Fournier erst zwei Jahre später erfuhr, ihr zukünftiger Mann, ein Marineoffizier, schon auf sie wartete ...

      Mehr als sechzig Jahre später, wenige Wochen, nachdem ich mit meinem amerikanischen Freund an einem regnerischen Nachmittag im Mai schweigend vor dem Château de Loroy gestanden hatte, das Fourniers »verlorene Domäne« inspiriert hatte, nahm ich den Nachtzug von Marseille nach Paris. Er war total überfüllt, und mir blieb nichts anderes übrig, als mich im Korridor auf meinen Rucksack zu setzen. Ich war todmüde, konnte aber wegen der unbequemen Lage nicht schlafen. Da ich schon lange keine Zeitung mehr gelesen hatte, zog ich das Blatt, das ich kurz vorher auf dem Bahnhof gekauft hatte, aus dem Rucksack und fing an zu lesen. Nach einer Weile fielen mir ein paar französische Jungs auf, die gerade dabei waren, ein Mädchen anzumachen, das mir gegenübersaß, das ich aber über meiner Zeitung gar nicht bemerkt hatte. Offensichtlich in der Hoffnung, die beiden loszuwerden, bot sie mir eine Zigarette an. Die beiden Typen guckten dumm aus der Wäsche und verzogen sich. Ich legte die Zeitung weg und schaute mir das Mädchen genauer an. Mehr als alles andere waren es wahrscheinlich die Umstände, die uns zusammengebracht hatten, die uns einander immer näher brachten, während der Zug Paris entgegendonnerte. Wie zwei Menschen, die aufeinanderprallen und genau wissen, dass sie sich nie wiedersehen werden, sprachen wir offen und ohne Umschweife von uns selbst. Sie erzählte mir, dass sie auf dem Weg zu Freunden war, bald aber wieder in den Süden zurückkehren würde. Und dann sagte sie etwas, was mir die Sprache verschlug. Sie hatte schon vorher erwähnt, dass sie verlobt war und heiraten wollte; jetzt eröffnete sie mir, dass ihr zukünftiger Mann ein Marineoffizier war, in Toulon stationiert ...

      Kurz nach Anbruch der Dämmerung, etwa hundert Kilometer vor Paris verließ sie den Zug. Ich half ihr beim Aussteigen. Zum Abschied küssten wir uns. Dann stieg ich wieder ein, und als der Zug aus dem Bahnhof rollte, fiel mir ein, dass ich vergessen hatte, sie nach ihrem Namen zu fragen. Da ich sie nicht Yvonne nennen wollte, gab ich ihr den Namen Marise ...

      Wir landeten. Ich ging durch den Zoll und schaute mir die Gesichter der Leute an, die auf die ankommenden Passagiere warteten. Dann fuhr ich mit dem Bus vom Flughafen zum Hotel in Cannes, dem Solhotel in der Avenue du Docteur Picaud. Später ging ich mit Manfred Schmidt und David Knopfler in einem russischen Lokal essen, gleich um die Ecke vom Hotel Martinez, in dem die meisten Geschäftsleute, die zum MIDEM-Festival gekommen waren, sich einquartiert hatten.

      Danach ging ich mit Peter und Christian zu der Halle, in der am Donnerstag die Rockpalast-Show mit Van Morrison und Richard Thompson stattfinden sollte. Das Gebäude ist ziemlich neu und nennt sich Palais des Festivals. Am frühen Abend hatte es hier eine Galaveranstaltung gegeben, bei der unter anderem auch Nena und Greg Kihn aufgetreten waren. Als wir dort ankamen, waren die Bühnenarbeiter gerade dabei, die Dekoration auszuwechseln. Schließlich gingen wir noch in eine Bar auf der anderen Straßenseite und tranken zu dritt eine Flasche Rotwein.

      25. Januar: Cannes, schüchterne Musiker und ein Turnschuhmensch

      Obwohl ich mich heute morgen nicht besonders fühlte, stand ich zeitig auf, denn ich wollte mir die Gelegenheit nicht nehmen lassen, ein bisschen am Strand spazierenzugehen. Es war ein herrlicher Tag und der Strand fast menschenleer. Nach etwa einer Stunde kehrte ich ins Hotel zurück, frühstückte und fuhr dann mit Peter und