Название | Nightflights |
---|---|
Автор произведения | Alan Bangs |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870202 |
Ich versuche eher, solche Situationen zu akzeptieren (was mir gewöhnlich nicht gelingt), indem ich mir bei jedem Schnitzer resigniert vornehme, es beim nächsten Mal besser zu machen (oder auch beim übernächsten Mal).
Es gibt jedoch auch subtilere Methoden, mehr zu sagen, als es scheint - man muss nicht unbedingt über die Situation sprechen, in der man eine bestimmte Platte zum ersten Mal hörte. Joseph Conrad, der als Kind zuerst Polnisch und dann Französisch lernte, hat einmal gesagt, dass er vielleicht nie Schriftsteller geworden wäre, wenn er nicht irgendwann dann auch die englische Sprache entdeckt hätte. Er fand, dass die Unbestimmtheiten des Englischen, seine Vagheiten, dieser Sprache eine immense Macht zur bloßen Andeutung verleihen, und meinte damit, dass es genau diese Unbestimmtheit ist, die sie so beschwörend wirken lässt. Wenn man etwas Englisches liest, sagte er, kann man nie ganz sicher sein, ob man verstanden hat, was der Autor eigentlich meint, denn die simpelsten Begriffe können in der englischen Sprache auf hunderterlei Arten benutzt werden und jedes Mal eine andere Bedeutung haben. Man muss also beim Lesen jedem Wort die Möglichkeit geben zu »vibrieren«, bis die Bedeutung, die es in dem jeweiligen Zusammenhang hat, klar wird. Conrad war davon überzeugt, dass Englisch sich perfekt dafür eignet, beispielsweise einen Dschungel zu beschreiben, wo nichts jemals das ist, als was es erscheint, und alles permanenter Veränderung durch Licht und Hitze unterworfen ist.
Genauso ist es möglich, auch im Radio zu sprechen - Vibrationen auszusenden, ohne sie beim Namen zu nennen, sich unvollständig oder vage auszudrücken, ohne genau zu sagen (oder auch zu wissen), was man meint. Am Ende hängt alles davon ab, ob man es schafft, eine Spannung zu erzeugen - Spannung zwischen dem, was gesagt und was gemeint ist, Spannung zwischen der Präsentation und der Musik und natürlich auch Spannung zwischen den einzelnen Musikstücken. Um das zu verdeutlichen, möchte ich ein Beispiel aus der Malerei benutzen. In seinem Buch »Ways of Seeing« demonstriert John Berger an van Goghs berühmtem Gemälde »Weizenfeld mit Krähen«, wie uns Sprache, oder auch wissen, beim Betrachten eines Bildes beeinflussen kann.
Das Bild »Weizenfeld mit Krähen« ist bei Berger auf einer rechten Seite unten abgedruckt. Darüber steht: »Dies ist die Ansicht eines Kornfeldes mit Vögeln, die aus ihm herausfliegen. Schauen Sie es sich in Ruhe an. Dann blättern Sie um.« Wenn man weiterblättert, erscheint das Bild noch einmal, diesmal aber mit folgendem Text: »Dies ist das letzte Bild, das van Gogh malte, ehe er Selbstmord beging.« Die Wirkung dieses Textes ist geradezu unheimlich. Wie Berger selbst sagt: »Es ist nicht leicht, genau zu definieren, wie die Worte das Bild verändert haben, aber sie haben es verändert. Nun illustriert das Bild den Satz.«
Wenn man van Gogh durch Johnny Ace und sein Bild »Weizenfeld mit Krähen« durch Aces Song »Pledging My Love« ersetzt, kann man fast die gleiche Wirkung erzielen. Dies ist der letzte Song, den Johnny Ace aufnahm, ehe er am Weihnachtsabend 1954 in Houston, Texas, russisches Roulette spielte und dabei umkam. Auch hier erhellt der Song das Gesagte. Es ist jedoch immer noch eine vergleichsweise direkte Form der Präsentation, die sich auf den Menschen, und nicht auf die Platte, gründet.
Ich möchte jetzt ein Beispiel für verstecktere Zusammenhänge erzählen. Als ich zum ersten Mal John Fantes Roman »Ask The Dust« las, war ich sehr beeindruckt. Mir gefiel die Story und die einfache, unverfälschte Form des Romans. Eines Nachts nahm ich das Buch mit ins BFBS-Studio und beschloss so ziemlich gegen Ende der Sendung, als ich schon eine Platte von Rupert Hine auf dem Plattenteller liegen hatte, einen Abschnitt daraus vorzulesen. Da ich nichts vorbereitet hatte, blätterte ich einfach so lange, bis ich an eine Stelle kam, die mir geeignet erschien. Sie handelte von Leuten, die nach Kalifornien kommen, auf der Suche nach dem »amerikanischen Traum«, und schließlich als Benzinzapfer in irgendeiner gottverlassenen Tankstelle enden. Sie »sind dazu bestimmt, in der Sonne zu sterben, mit ein paar Dollars auf der hohen Kante, einem Abonnement der Los Angeles Times und genug Illusionen, um sich vorzumachen, dass das das Paradies war und ihre kleinen Häuschen aus Pappmache Schlösser...«
Wenn ich besser vorbereitet gewesen wäre, hätte ich danach wahrscheinlich Steve Forberts Song »It Isn‘t Gonna Be That Way« gespielt. So aber hatte ich schon eine Platte aufliegen, die ich dann auch einfach spielte: die Rückseite einer Single von Rupert Hine mit dem Titel »Scratching At Success«. Um es noch einmal mit Berger zu sagen: Der Song war eine Illustration des Buches. Dies ist im wesentlichen das, was ich im Radio erreichen will - eine Synthese meiner eigenen und fremder Erfahrungen, von Leuten, mit denen ich in irgendeiner Form Kontakt habe, sei es persönlich oder durch Bücher beziehungsweise Schallplatten.
Dieses Ziel spiegelt sich auch im Titel meiner neuen Radiosendung, die ich seit Januar dieses Jahres einmal in der Woche für den WDR II mache. Sie heißt CONNECTION und wird jeden Dienstag zwischen halb elf und Mitternacht live gesendet. NIGHT FLIGHT begann dagegen am 25. Mai 1975, einem Sonntag, und seitdem habe ich mehr als vierhundert-fünfundsiebzig Sendungen für den BFBS gemacht.
Der Titel dieses Buches hat also mit dieser Sendung zu tun, obgleich die Absicht, die dahintersteckt, hier eine andere ist. Ursprünglich hatte ich vor, ein Tagebuch für das Jahr 1984 zu schreiben. So wie es jetzt aussieht, ist es sowohl mehr als auch weniger als das geworden. Vieles entstand spät abends, und wenn ich diese nächtlichen Sitzungen auch meistens damit anfing, dass ich mir Notizen zu dem machte, was tagsüber geschehen war, so ertappte ich mich doch oft dabei, dass ich abschweifte und von etwas ganz anderem erzählte. Wenn ich sage »ertappte ich mich dabei«, dann durchaus mit Absicht: Ich hatte eine vage Vorstellung von dem, was ich schreiben wollte, aber ich war nie ganz sicher, welche Form es annehmen würde, bis ich mich an die Maschine setzte und anfing, meine Gedanken zu ordnen. In diesem Sinne könnte man meine Vorgehensweise damit vergleichen, wie ich normalerweise NIGHT FLIGHT konzipiere. Wenn ich versucht hätte, alles aufzuschreiben, was mir 1984 passiert ist, wäre ich vermutlich nie fertig geworden. Ich war also mehr oder weniger gezwungen, mindestens ebenso viel auszulassen, wie ich reingenommen habe.
NIGHT FLIGHT ist eine Mischung aus Reportage und persönlichen Erfahrungen. Ich hatte das Glück, im Lauf der Zeit eine Menge Leute kennenzulernen, die in irgendeiner Form mit dem Musikbusiness zu tun haben. Ein paar davon kenne ich mittlerweile so gut, dass ich sie als Freunde bezeichnen kann, andere traf ich nur flüchtig. Einige dieser Begegnungen sind in diesem Buch beschrieben, sehr persönlich zwar, aber, wie ich hoffe, nicht allzu langatmig.
Bei Wolfgang Drescher möchte ich mich dafür bedanken, dass er mit der Idee, dieses Buch zu machen, an mich herangetreten ist. Ohne seine Initiative und seinen unerschütterlichen Glauben an dieses Projekt hätte das Buch vielleicht niemals vollendet werden können.
Bei Pociao und Roberto, meinen geduldigen Übersetzern, möchte ich mich dafür bedanken, dass sie mein mehrmaliges plötzliches Verschwinden und meine gelegentliche Orientierungslosigkeit auf sich genommen haben.
Vor allem möchte ich mich aber bei meiner Freundin Elisabeth bedanken, und zwar dafür, dass sie nie aufgehört hat, an mich zu glauben, selbst dann nicht, wenn ich angefangen habe, an mir zu zweifeln. Ohne sie würde ich nicht da sein, wo ich jetzt bin. Sie hat es - mehr als jede andere Person - geschafft, mich immer wieder zum Weitermachen zu bewegen.
Foto: Manfred Becker
Termine 1984 Unvollständige Auswahl
9.1. Rockpalast/Studio C/8.30-17.30
Moderation: Jack Bruce/Telephone/Alexis Korner
10.1. Rockpalast/Studio C/8.30-13.00
Moderation: John Hiatt/Nick Lowe/Paul Carrack
12.1. WWF-Pressekonferenz
Manfred Schmidt‘s Birthday Party