The Family (Deutsche Edition). Ed Sanders

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Название The Family (Deutsche Edition)
Автор произведения Ed Sanders
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862871469



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aufnahm. Wer kann sich schon an einzelne Ereignisse in einer bestimmten Woche Anfang 1967 erinnern?

      Manson unternahm mehrere ernsthafte Versuche, seine Mutter Kathleen ausfindig zu machen. Er ließ sich von seinem Bewährungshelfer verschiedene Male die Erlaubnis geben, aus dem Staat auszureisen. Einmal fuhr er nordwärts, nach Washington, um sie dort zu suchen. Ein anderes Mal reiste er nach Osten, nach West Virginia.

      Eine junge Rothaarige namens Lynette Fromme gesellte sich zu Mary Brunner als Nummer zwei des »Inneren Kreises« von Mädchen. Charlie hatte sie in der Nähe des Strandes von Venice, Kalifornien aufgelesen; sie hatte heulend am Straßenrand gesessen, und er hatte sie überredet mitzukommen. Es heißt, sie sei kurz zuvor in Redondo-Beach nach einem Streit mit ihrem Vater aus dem Haus geworfen worden.

      Sie wurde initiiert. »Ich bin der Gott des Ficks«, soll er zu ihr anschließend gesagt haben. Im Frühjahr und Sommer 1967 lebten Manson und die Mädchen vorübergehend in 636 Cole, zusammen mit einer hübschen ehemaligen Nonne namens Mary Ann. Manson verbrachte einige Zeit auf den Straßen von Haight-Ashbury, wo er zwischen den Blumenkindern ziellos umherstreifte. Ein sechzehnjähriges, von zu Hause ausgerissenes Blumenkind, vielleicht ein Junge, vielleicht ein Mädchen, das ist nicht so wichtig, allein und ohne Bleibe, bot Charlie seine oder ihre Freundschaft an. Den Mann, der seine Jugend im Gefängnis verbracht hatte, setzte es in Erstaunen, wie dieses junge Wesen da so einfach im Golden Gate Park im Freien übernachtete.

      Es sind Hunderte von Anekdoten im Umlauf über den Manson von Haight-Ashbury – die meisten davon sind Glorifizierungen. Die Wirklichkeit war anders; er war ein kleiner, redegewandter, schmieriger Kerl, der sich mit seiner Gitarre an junge Mädchen heranmachte, die er mit Gurugeschwätz und Mystizismen zu beeindrucken versuchte – eine Taktik, die damals in Haight-Ashbury durchaus Erfolg versprechend war.

      Laut eigenen Aussagen wurde Manson eine Art Quartiermacher für jugendliche Ausreißer. Ganz zu Anfang begegnete er einem von zu Hause weggelaufenen Mädchen, das er bei einem Freund unterbrachte, und als er die Wohnung seines Freundes verließ, stieß er auf ein weiteres junges Mädchen mit Blumen im Haar: Sie wurde sein Housekeeper.

      Als Manson das erste Mal LSD nahm, änderte das sein Leben insofern, als er einen mühseligen Kreuzwegtrip machte, auf dem er die Kreuzigung Jesu Christi erfuhr – eine ziemlich weitverbreitete LSD-Erfahrung, die ihn jedoch wirklich prägte, weil sie dem Chaos in ihm Form und Gestalt gab. Charlie Man Son – der Menschensohn. Ganz klar.

      Der Jesus-Tick der Family stützte sich vor allem auf ihre Überzeugung, dass Jesus und seine Jünger Manson und den Mädchen sehr ähnlich gewesen sein müssten. Sie meinten, neunzig Jahre nach Christus hätten duckmäuserische Priester die liebenden, sinnlich-sexuellen Christen abgetötet und so den ursprünglichen christlichen Impuls vernichtet. Das Vorbild aber hätten diese Priester durch ihren eigenen schwarz gewandeten, sexlosen Todeshauch ersetzt.

      In Haight-Ashbury begegnete Manson wirklich allen Strömungen, die die Subkultur während des letzten Jahrzehnts in den Vereinigten Staaten hervorgebracht hatte. LSD-Musik. Drogen. Sexuelle Freiheit. Turn on, tune in, drop out. Freiheitsbewegungen. Friedensmärsche. Provos. Guerillatheater. Kommunen. Lange Haare. Die Vorstellung vom Underground-Superstar. Astrologie. Okkultismus. Underground-Zeitungen. Pennlager. Psychedelische Kunst. Bei einem Konzert der Grateful Dead im Avalon Ballroom legte sich Manson in Fetushaltung mitten auf die Tanzfläche und ließ sich vom Blitzen der Stroboskoplampen in Trance versetzen.

      In Haight-Ashbury schien er eine vertraute, überall aufkreuzende Gestalt zu sein. Er behauptete, mit den Diggers zusammen gewesen zu sein, als sie damals ihre täglichen Freimahlzeiten im Panhandle Park austeilten. Vielleicht hat er sogar einige Zeit in einem Haus hinter dem Pennlager der Digger in der Waller Street gelebt. Dieses Haus in der Waller Street sollte später, in der Ära des psychedelischen Satanismus, in »The Devil House« umgetauft werden.

      Charlie machte einen ungeheuer nachhaltigen Eindruck auf viele der Leute, die ihm begegneten. Er wirkte offen. Er besaß ein unglaubliches Talent, einen Teil seiner Persönlichkeit gegen einen anderen auszuspielen, Schwächen aufzudecken – um so Verwirrung zu stiften und sich anschließend als echter Führer ins Licht zu rücken. Auf alles hatte er eine rasche, gewandte, aber scheinbar komplizierte Antwort parat. Obgleich er allen sagte, sie sollten nur das tun, was sie von sich aus tun müssten, und sie sollten sie selbst sein, zog seine persönliche magnetische Kraft – in Verbindung mit einem ständigen Ausleseprozess – all jene an, die nach einem Führer dürsteten. Herrschaft war das, worauf es Charles bei allem anlegte, auch wenn er der Befreiung und Freiheit das Wort redete.

      »Ich bin eine sehr positive Kraft. Ich bin ein sehr positives Feld. Ich sammle Negative«, sagte er später zu einem befreundeten Rechtsanwalt.

      Gern erzählte Manson von seiner frühen Jugend, scheußliche Jahre, in denen er nur Zurückweisung, Gefängnis und Armut erlebt hatte. Einmal hätte seine Mutter ihn für ein Glas Bier verkauft, behauptete er. Nun konnte er über ein eigenes Universum verfügen. Dennoch war er schrecklich unsicher und das Lob seiner Anhänger war ihm kein Trost.

      Mary Brunner behielt ihren Job in der Bibliothek, und ihre Adresse in Berkeley blieb dieselbe. Unter dieser Adresse war auch Manson bei seinem Bewährungshelfer gemeldet. Manson gefiel es, mit seiner Gitarre durch die Gegend zu ziehen. Per Autostop pendelte er zwischen Haight-Ashbury und Berkeley hin und her. Im Juli 1967 wurde er von einem Geistlichen namens Dean Morehouse aufgelesen, der ihn nach Hause mitnahm, nach San Jose, wo er dessen Frau und die vierzehnjährige Tochter Ruth Ann alias Ouisch kennenlernte. Später, während seines Mordprozesses, schilderte Manson einem Anwalt diese Begegnung so: Reverend Morehouse habe ihn in seinem kleinen Lieferwagen mitgenommen, und das sei der Beginn einer sehr dauerhaften Freundschaft gewesen – bis Morehouse ungefähr ein Jahr später ins Gefängnis geschickt wurde, weil er einer Dreizehnjährigen LSD angedreht hatte.

      Manson bewunderte ein Klavier in der Wohnung des Reverends, und Morehouse schenkte es ihm. Doch Manson tauschte es gleich wieder ein gegen einen VW-Bus, den er in der Gegend gesehen hatte. Morehouse selbst brachte das Klavier mit seinem Lieferwagen dorthin, und Manson war nun im Besitz eines VW-Busses, Baujahr1961, mit dem Nummernschild CSY 087.

      Ende Juli 1967 fuhr die Truppe an die Küste von Mendocino, nördlich von Frisco, wo Mary Brunner schwanger wurde. Mary Brunners Schwangerschaft scheint in der Geschichte der Family der einzige belegbare Fall einer von Manson verursachten Schwangerschaft zu sein. Was sehr merkwürdig ist. Denn wenn man nach den Aussagen von Mansons Vertrauten einen Durchschnitt von drei Orgasmen pro Tag annimmt, was, auf zweieinhalb Jahre umgerechnet, ungefähr dreitausendmal Geschlechtsverkehr ergibt, dann wäre schon eine größere Anzahl von Schwangerschaften zu erwarten gewesen.

      Am 28. Juli wurde Manson in Mendocino-County verhaftet, weil er versucht hatte, einer von der Polizei aufgegriffenen jugendlichen Ausreißerin zu Hilfe zu kommen. Diese Ausreißerin war Ouisch, Tochter von Mr. und Mrs. Morehouse, die Manson auf seine Reise mitgenommen hatte. Die Eltern schickten ihm die Bullen hinterher, und er erhielt ein Urteil, das aber ausgesetzt wurde.

      Man hätte in San Francisco leben müssen, um die Raserei zu begreifen, die im Frühjahr und Sommer 1967 über Haight-Ashbury brandete. In ganz Amerika verbreitete sich die Botschaft, um der Liebe und der Blumen willen nach San Francisco zu kommen. Kalifornien wurde überflutet von dem, was die New York Times als »Hippies« etikettierte.

      Aber überall in den USA, in Hunderten von Städten, gab es in diesem Frühjahr und Sommer 1967 Love-ins, Be-ins, Share-ins und Blumen. Allerdings war auch diesmal – wie für die Beat-Generation der späten Fünfziger Jahre – San Francisco das Nervenzentrum. Potentiell war die Flower-Power-Bewegung eine der machtvollsten verändernden Kräfte, die es in der jüngsten Geschichte gegeben hat. Durch die Arbeit der San Francisco Diggers, der Free Clinic in San Francisco, durch die Musikszene von San Francisco, das San Francisco Oracle, durch San Franciscos Underground-Zeitungen aus jener Zeit – durch all diese und noch andere Unternehmungen rückten die Dinge in San Francisco in den Brennpunkt. Es war ein großartiges Experiment. Es war die Politik der Freiheit. Die Digger gaben jeden Tag im Panhandle Park freies Essen aus. Die Haight-Ashbury Medical Clinic gewährte freie ärztliche Behandlung.