Bochumer Häuser - Neue Geschichten von Häusern und Menschen. Rainer Küster

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Название Bochumer Häuser - Neue Geschichten von Häusern und Menschen
Автор произведения Rainer Küster
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783898968577



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gleichermaßen vom Wohnzimmerofen, das war so eine Art Dauerbrandofen im Wohnzimmer – ja, hier saß der Vatter nach der Arbeit und wärmte sich, das hab ich noch in Erinnerung, die Füße angezogen. Mein Platz war auf dem Sofa, das war ein Ledersofa, war nicht so bequem, ich mag auch heute noch kein Leder. Ich weiß nicht, was das für ’ne Lederart war, da klebte man richtig dran fest.

       Eine Waschküche gab’s nicht. In der Küche musste auch die Wäsche gemacht werden. Und das ging ja nur auf dem Waschbrett. Hier war der Spülstein, also ein Waschbecken im weitesten Sinne. Da bin ich als Baby reingesteckt worden. Und dann war da ja der Stöpsel, man machte ihn auf, dann lief das Wasser frei nach draußen in die Gosse. Bei der großen Wäsche durchsuchte die Mutter regelmäßig das Arbeitszeug des Vaters, seinen Püngel, um herauszukriegen, ob er etwa auf der Arbeit einen Priem genommen hatte.

      Das Schlafzimmer war genauso groß wie das Wohnzimmer, also auch 4 × 4 Meter. Das Ehebett und die Schränke waren aus Eiche und auf Abzahlung gekauft. Hier schlief die ganze Familie, denn im Raum befand sich auch ein großes Kinderbett.

      Im Keller lag die Deputatkohle, in den Regalen standen die Gläser mit dem Eingemachten. Strom und Wasser gab es schon im Haus. Das Abwasser lief durch ein Rohr von der Küche in eine Wasserrinne hinter dem Haus. Von dort führte die Rinne um das Gebäude herum bis hin zur Gosse an der Castroper Straße, die war kanalisiert. Direkt neben dem Haus befand sich der Doppelstall mit dem Plumpsklo für jede Familie. Das Klo bestand aus einer runden Holzklappe mit einem Holzgriff, an der Wand hing das Zeitungspapier. Für das kleine Geschäft ging man nachts nicht nach draußen, da hatte man seine Hilfsmittel. Aber wer ein großes Bedürfnis hatte, der musste raus, bei jedem Wetter ums Haus herum. Neben dem Plumpsklo wohnten die Schweine, ein paar Kaninchen und Hühner. Die Mistkuhle war nach beiden Seiten offen, gewissermaßen zu Mensch und Tier; der Inhalt mischte sich harmonisch und wurde naturnah verarbeitet, und zwar auf dem Acker im Grabeland hinter dem Grundstück, dort, wo die Kartoffeln für die Schweine angebaut wurden. Der Kreislauf war gesichert.

      »Hat es nicht eine Menge Abfall gegeben, wenn Schweine da waren? Was habt ihr damit gemacht?«, will ich wissen. Heinz Esken sagt:

       Was wir an Abfall hatten, das wurde in dem großen Küchenofen verbrannt. Da blieb also nichts über. Die Kartoffelschalen kamen in den Schweinetrog und wurden verfüttert. Die Kartoffeln wurden ja extra gezüchtet, die Schweine kriegten sogar gekochte Kartoffeln und eben Essensreste. Die waren bestens im Fleisch. Da blieb dann nur noch die Asche übrig. Und dafür wurde gesorgt, denn einmal im Monat kam eine zweirädrige Pferdekarre von der Zeche, die die Asche abholte.

      »Wie kam es, dass eines Tages die Schweine ausbrechen konnten?«

      Hier [Heinz Esken zeigt auf den Plan] war der Stall offen, da war der Sitz, und genau hier war der Schweinetrog. Da gab es eine Klappe, so dass man den Mist von den Schweinen rausschmeißen konnte. In der Mistkuhle wurden zwei, drei Bretter abgedeckt, aufgenommen, und dann konnte hier der Schweinemist entsorgt werden. Und diese Klappe hatte eine Kette, die ist dann eines Tages ab gewesen. Da sind die Schweine ausgebrochen, bei uns raus, die Castroper Straße entlang, an der Schule vorbei und dann wieder in den nächsten Eingang rein, da ist ja die Kirche – und plötzlich waren sie beim Pastor auf dem Hof. Das passierte auch noch an einem Sonntagmorgen. Ein Nachbar hat bei uns geklingelt, hat gesagt, dass unsere Schweine auf dem Kirchplatz herumlaufen.

      Vor dem Haus lag der Gemüsegarten. Hier wurde im Zirkel des Jahres angebaut, was man für den Haushalt brauchte. Aber spielen durften die Kinder nicht im Garten, sondern sie gingen auf die Castroper Straße; so hieß damals auch noch der Teil der Kolonie, der seit 1953 Wichernstraße genannt wird.

       Die war mitten in der Kolonie, die Straße. Das war ja eine reine Aschenstraße, da haben wir natürlich auch Fußball gespielt. Aber wir hatten keinen richtigen Ball, sondern irgendwas Zusammengebasteltes aus Stoff; das Ding war zwar weich, flog aber nicht weit, Gott sei Dank. Man durfte ja auch nicht hinfallen. Wenn es doch passierte, dann führte das zu bösen Verletzungen.

      Für drei Jungen, Heinz Esken, Paul Vierhok und Heinz Brandau, die in der Kolonie eine verschworene Gemeinschaft bildeten, gab es noch andere Spielplätze. Das Grabeland reichte etwa bis zum Fußgängertunnel, der heute unter dem Ruhrschnellweg hindurch von der Matthias-Claudius-Straße zur Josephinenstraße führt. Da hatte jeder sein Stückchen, da war nichts eingezäunt, sondern die Bergleute aus der Kolonie bauten alle ihre Kartoffeln an und manchmal auch ein paar Bohnen. Dahin wurde auch das, was sich in der Aalkuhle angesammelt hatte, transportiert. Irgendeiner der Nachbarn hatte eine Karre mit einem runden Behälter drauf; in diesen Behälter wurde der ganze Schlamassel hineingeschöpft, dann die Straße entlang geschoben und auf dem Acker verteilt. Aber für die drei Jungen war wichtig, was jenseits lag, denn hinter dem Grabeland gab es ein wildes Feld, und mitten auf dem Feld stand eine Ziegelei, umgeben von Lehmbergen, die dort abgebaut wurden. Das war eine Spielecke, von der die Kinder glaubten, dass sie in die Zeit passte. Wo man sich in den Lehmbergen vergraben, sich vor dem Feind verbarrikadieren, Unterstände bauen konnte.

       Damals war das ja bei Jungen so üblich. So wurden wir auch erzogen. Wir haben da alle ein bisschen Krieg gespielt, im Dritten Reich.

      Ernster wurde die Sache schon beim Jungvolk. In der NS-Zeit wurden Jungen und Mädchen vom neunten oder zehnten Lebensjahr an uniformiert. Das machte anfangs sogar Spaß. Exerzieren und sportliche Übungen waren an der Tagesordnung. Die Aufmärsche und Versammlungen fanden nebenan auf dem Schulhof statt, wo sich auch die Hitlerjugend traf. Heinz Esken war beim Jungvolk zum Jungenschaftsführer ernannt worden, trug eine rot-weiße Kordel und durfte eine kleinere Gruppe kommandieren. Da er von einem Nachbarjungen gelernt hatte, mit dem Kleinkalibergewehr zu schießen, bewies er auch beim Jungvolk in dieser Sparte eine große Treffsicherheit. Er wurde gefördert und errang als erster Pimpf in Bochum das »Jungvolk-Schießabzeichen«. Heinz war stolz, denn die Zeremonie, in der ihm die Nadel mit dem Abzeichen an die Brust gesteckt wurde, fand auf dem Sportplatz an der Castroper Straße statt, und der gesamte Bann Bochum mit Jungvolk und Hitlerjugend war angetreten.

      »Die Schule, zu der du gegangen bist, war die nebenan? Dieselbe, auf der ihr auch exerzieren musstet?«

       Nein, erst als die Zusammenlegung kam, als die Konfessionsschulen wegfielen. Wir waren katholisch, und ich besuchte zunächst die Schule an der Ecke Rottmannstraße/Ruhrschnellweg. Das ist etwa da, wo heute die Hauptschule am Lenneplatz steht. Woran ich mich erinnere, ist, dass zwischen Lenneplatz und Ruhrschnellweg eine Müllkippe war. Da wurde gekippt, und wir Schüler wurden direkt nebenan in einem alten, verkommenen Schulgebäude unterrichtet. Als i-Männchen saß ich in einer Doppelbaracke. Dahin sind wir am ersten Tag noch von den Müttern begleitet worden. Und dann hieß es nur noch: ›Lauf mal!‹ Da war ja noch nicht so viel Verkehr auf dem Ruhrschnellweg, der war damals noch dreispurig. Jede Fahrtrichtung eine Spur, und auf der mittleren Spur konnte man von beiden Seiten aus überholen.

      »Und da musstest du rüber, über den Ruhrschnellweg?«

       Ja, sicher. Ich bin also die Castroper Straße ein Stück raufgegangen, und dann in die Rottmannstraße rein, wo heute noch der Friseur Ungetüm ist – das ist immer noch derselbe Name, wo mir immer ein Kurzhaarschnitt verpasst wurde, mit schrägem Scheitel natürlich – und dann über den Ruhrschnellweg. Das war mein Schulweg.

      Heute ist diese Schule samt angrenzender Müllkippe vom Erdboden verschwunden. Der ganze Bereich ist nach dem Kriege siedlungsmäßig bebaut worden, bis hinüber zum Gewerbegebiet. Im Jahre 1939 kam Heinz Esken dann auf die Schule neben seinem Elternhaus. Nach der Zusammenlegung gab es keine Konfessionsschulen mehr. Das war für ihn sehr bequem; er brauchte nur über die Straße zu laufen. Stolz war man, weil die Schule inzwischen auch einen Namen bekommen hatte. Bis dahin gab es viele namenlose Schulen. Nun hieß man plötzlich »Kaiser-Otto-Schule«.

      Die Schulmauer war niedrig. Da konnte die Mutter dem Jungen jeden Morgen sein Bütterken rüberbringen. Und weil er so ein schlechter Esser war, stand sie an der Mauer und rief: »Junge, iss doch!«, aber er kriegte nichts runter. Geleitet wurde die Schule vom Rektor Aufderheide, einem strengen Mann, der auch den elfjährigen Heinz Esken unterrichtete. Der Rektor besaß einen kleinen Stock, der