Название | Bochumer Häuser - Neue Geschichten von Häusern und Menschen |
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Автор произведения | Rainer Küster |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783898968577 |
In diese Zeit reicht auch die Geburt des Namens Oskar zurück, der sich bis heute gehalten hat. Kreiert, weil benötigt, wurde er auf dem Fußballplatz. Da müssen die Namen kurz sein. Horst Dieter war zu lang, Gölzenleuchter noch länger. Hinzu kam, dass sich der Junge einen Igelschnitt, die damals beliebte Meckifrisur, zugelegt hatte. Nun sah er aus wie der österreichische Filmschauspieler Oskar Sima, der in den Filmkomödien der fünfziger Jahre gern die zwielichtigen Typen spielen durfte. Inwieweit die Wahl dieses Spitznamens Oskars Fußballspiel kommentierte, ist nicht überliefert. Auf jeden Fall brauchte man auch auf dem Fußballplatz, der wohl eher ein Bolzplatz gewesen sein dürfte, ein paar Helden.
Aber der junge Gölzenleuchter, der nach dem Schulabschluss in einer Gärtnerei arbeitete, wollte eigentlich kein Held werden. An seinem Arbeitsplatz rettete er lieber Maikäfer, wenn sie in einen Wasserkübel gefallen waren. Das tat der Seele des Jungen gut. Auch optische Reize gab es schon sehr bald: In der Woolworth, gegenüber der elterlichen Wohnung, konnte der Junge Ölbilder sehen, die es ihm angetan hatten, solche mit glühenden Heiden, plätschernden Bächen, röhrenden Hirschen. So wollte er gerne malen können.
Dann kam so etwas Ähnliches wie eine Erweckungsphase. Der Junge hörte von Aktionen der Gewerkschaftsjugend, die sich gegen die kriegsverklärenden Tendenzen der Landserhefte richteten. Das half ihm, wie er heute sagt, »auf die Sprünge«. Er desertierte vom Landser zum Leser einer sozialistisch-pazifistischen Wochenzeitung, sie hieß »Die Andere Zeitung«. Da entdeckte er zuvor nie Gelesenes, Texte von Tucholsky, Brecht, Ossietzky und von der Seghers, zuvor nie Gesehenes, Bilder von Grosz, Pankok, Dix und von der Kollwitz. Er entdeckte die Kunst und die Literatur »der Verbannten, Verbrannten, der Emigration«.
Vom Trinkgeld, das er fürs Blumenaustragen erhielt, kaufte der junge Gölzenleuchter »nicht immer Trinkbares, sondern auch Linolschnittmesser, Druckfarbe und eine Walze«. Damit besaß er nun sein allererstes Druckwerkzeug. Die anfänglichen Schnitt- und Druckversuche erbrachten eine Hafenlandschaft, Tiere nach Franz Marc, eine Trauernde, dem Stil der Kollwitz nachempfunden. Das Logo der Friedensbewegung schnitt er ins Linol, druckte es auf Tapetenreste und schrieb dazu: »Denkt an Hiroshima – nie wieder Krieg!« Das waren dann seine ersten Plakate, die er an die Bauzäune gegenüber dem Bahnhof klebte.
Es kamen die Ostermärsche, auf denen man neue Freunde gewann. Die »Proletenpresse« wurde gegründet, Asphalt-Hefte publiziert, die ersten »abgenudelt mit Wachsmatrizen«. Die Grafiken zu den Heften wurden mit einem selbstgebauten Siebdruckgerät erstellt, die ersten im Keller der künftigen Ehefrau Renate in Wanne-Eickel. Gölzenleuchter erzählt:
Wir agierten gegen den Kapitalismus, war ja nicht so falsch, gegen die Notstandsgesetze, den aufkommenden Neo-Faschismus im Mantel der NPD. Gegen NSDAP-Mitglieder in der Regierung. Aber auch für Mitbestimmung in den Betrieben, waren für den Sozialismus.
In dieser Sache gab es auch in Bochum viele Fraktionen. In unserer Kneipe in der Innenstadt, der »Krim«, war jeder Tisch eine andere Fraktion. Bis weit in den Morgen hinein wurde hier die Welt revolutioniert, lautstark und hemmungslos.
Gölzenleuchter wirkt mit in Werkstätten verschiedener Werkkreise, so auch im Dortmunder »Werkkreis Literatur der Arbeitswelt«. Er lernt zahlreiche Autorinnen und Autoren aus dem Ruhrrevier kennen, darunter Michael Klaus und Hugo Ernst Käufer. Er selbst arbeitet in der »Wedag«, einer Maschinenfabrik in Bochum. Es kommt die Zeit der K-Gruppen, Wohngemeinschaften, die sich anfangs auch Kommunen nennen, die Zeit der Kinderläden. Der bewaffnete Kampf macht blutig von sich reden, das ist nicht Gölzenleuchters Sache.
Im Jahre 1971 verlässt er die Fabrik und wird freischaffender Künstler, will etwas bewegen, schließt sich der Forderung für eine »Kultur für alle« an. »Ob das gelang«, sagt er heute, »ist die Frage.« Das Postulat einer »Kultur für alle« richtet sich auch, wie er resümiert, gegen eine »immer rabiatere Züge annehmende Konsumgesellschaft. Wir sprachen sogar von Konsumterror. Na ja, wir hatten viele Parolen.«
Eng an Gölzenleuchters Seite wirkt Freundin und Ehefrau Renate. Sie ermutigt ihn, die riskante freiberufliche Laufbahn einzuschlagen, hilft über finanzielle Engpässe hinweg, wirkt mit bei der Produktion von Texten, tippt auf der Schreibmaschine, beschreibt Wachsmatrizen. Heute ist sie es, die den Computer bedient, die ihren Mann in Fragen der Typografie berät, gerade wenn es um den Abdruck von Gedichten geht. Ohne Frau Renate geht im Grunde gar nichts, da hat der Künstler richtig Glück gehabt.
Noch in die sechziger Jahre reicht die Begegnung mit den Arbeiten von HAP Grieshaber zurück; irgendwann bei einer Bochumer Grieshaber-Ausstellung springt der Funke über. Gölzenleuchter ist so beeindruckt, dass er einmal sogar von Grieshaber träumt, und zwar trifft er ihn im eigenen Treppenhaus, und auf die Frage, wohin er denn des Wegs sei, bedeutet Grieshaber dem beglückten Gölzenleuchter, er wolle zu ihm. Aber das ist eben nur ein schöner Traum, im richtigen Leben lernen sie sich persönlich nicht kennen. Vielleicht hätte es die Möglichkeit gegeben, aber die Ehrfurcht, die dem Bochumer Künstler zugleich Zurückhaltung gebietet, ist wohl zu groß. Im Jahre 1976 schneidet er das Porträt des verehrten und bewunderten Künstlers ins Holz, nämlich in ein kleines Stück Tischlerplattenabfall. Stolz ist er, als die Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik »die horen« sein Grieshaber-Porträt in der Ausgabe zu dessen 70. Geburtstag veröffentlicht. Ein kleines Gedicht von Gölzenleuchter ergänzt und kommentiert das Porträt:
Wie der ausholt mit seinem Messer
noch immer
heilsame Wunden schneidendübers Holz
in unsere Köpfe
in unsere Herzen
entwirft er
grob und zart
Träume für uns
die nicht locker lassen
im Alltag der Gewalt
Gölzenleuchter räumt ein, seine Vision von einer gerechteren, sozialeren Gesellschaft sei nicht immer ohne Widersprüche gewesen. Aber das Falsche stecke eben manchmal auch im scheinbar Richtigen. Und tröstlicherweise entwickele sich ohne das Falsche selten das Richtige. Das Bedürfnis nach Zwischentönen, von denen »Väterchen« Franz Josef Degenhardt in merkwürdiger Selbstverleugnung noch behauptet hatte, sie seien nur »Krampf im Klassenkampf«, bildet sich bei dem Künstler Gölzenleuchter heraus, feine Unterschiede werden ihm immer wichtiger. Er verabschiedet sich von der proletkulthaften Geste, die noch für die »Proletenpresse« richtungsweisend gewesen ist, und gründet im Jahre 1979 die »Edition Wort und Bild«. Ort des Geschehens ist noch das frühere Atelier in Bochum-Langendreer.
Der erste Titel heißt »Nicht mit den Wölfen heulen« und ist durchaus programmatisch gemeint. Es ist gewissermaßen ein literarisches Bilderbuch mit etwa hundert Zeichnungen des Künstlers und Herausgebers, in die er Texte und Textauszüge von Autorinnen und Autoren aus zwei Jahrhunderten integriert hat. Das Vorwort schreibt Josef Reding; Autoren wie Fried, Kunert und Kahlauf stellen ihre Texte zur Verfügung. Der Anfang ist gemacht.
Das war vor dreiunddreißig Jahren. Eine beachtliche Reihe von Publikationen liegt inzwischen auf den Tischen des Ateliers im Kulturrat, unverwechselbar in ihrem künstlerischen Anspruch, auch und immer noch in ihrer inhaltlichen Prägung. Joachim Wittkowski schreibt in dem kleinen Jubiläumsband »30 Jahre Edition Wort und Bild«:
In der »Edition Wort und Bild« ist es dem Buchkünstler H. D. Gölzenleuchter möglich, sein ihm eigenes Konzept vom Buch ins Werk zu setzen. In keinem anderen Verlag wäre es ihm vergönnt, Wort und Bild so kompromisslos nach seinen eigenen Vorstellungen in Einklang zu