Название | Die Beatles, Marx und warme Kuhmilch |
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Автор произведения | H.J. Perrey |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783947373444 |
»Was studieren Sie?«
Rosalie rief: »Aber das hat er doch schon erzählt! Germanistik bei Professor Fischer. Hörst du denn gar nicht zu!«
»Mir hat er das noch nicht erzählt, Mama, und ich habe ebenfalls ein Anrecht darauf, so wichtige Dinge zu erfahren.«
Traugott lächelte. »Geschichte und Deutsch, und zusätzlich noch Latein und Philosophie im Nebenfach. Aber angesichts der vielen gefallenen, verwundeten oder mit Berufsverboten belegten Lehrer wird es schwer sein, den Bedarf an Kollegen zu decken. Hinzu kommt die schlechte Bezahlung. Sie lässt die Gründung einer Familie kaum zu.«
»Um Gottes willen!«, rief Brenda, und Traugott musste davon ausgehen, dass die Empörung nicht gespielt war. »Da wird man ja zum Hungerleider. Wo arbeiten Sie denn richtig?«
»In einer Druckerei, Fräulein Adelstorff.«
Brenda sah ihn erstaunt an. »Und das geht mit diesem Dingsda?« Sie führte ihre rechte Hand zu ihrem linken Oberarm, etwa dahin, wo bei Busch der Armstumpf nur mühsam vom kurzärmligen Hemd verdeckt wurde. »Da laufen Sie ja nur mit halber Kraft.«
»Ich arbeite in einer Druckerei«, erklärte Traugott leicht gereizt. »Und zwar in der Redaktion. Meine Arbeit als Korrektor wird sehr geschätzt.«
»Interessant«, sagte Brenda, »alles sehr interessant, was Sie sagen. Ich glaube, ich zeige Ihnen mal den Garten. Wenn das Wetter besser wird, dürfen Sie sich gern einen Liegestuhl ausleihen. Ich habe früher fünfzig Pfennig dafür genommen. Man muss immer sehen, dass etwas in die Kasse kommt.« Sie sah ihn freundlich an. »Ich fahre heute Abend noch in die Stadt. Wenn ich Sie mitnehmen soll, sagen Sie nur Bescheid.«
»Sie haben einen Führerschein?«
»Wenn man einen Wagen besitzt, ist das durchaus sinnvoll.«
»Aber ist es überhaupt erlaubt, dass Sie als Frau, ich meine …«
»Onkel Tiberius hat mir eine besondere Fahrerlaubnis besorgt. In solchen Sachen ist er unschlagbar.«
»Entschuldigen Sie mein Erstaunen. Aber dass eine Frau mit einem Auto durch die Gegend fährt, ist doch ziemlich ungewöhnlich.«
»Da mögen Sie recht haben. Aber haben Sie bei der Wehrmacht keinen Führerschein gemacht?«
»Ich stand kurz vor der Fahrprüfung, als dieses Dingsda mein Leben gründlich veränderte.«
Beide lachten, und Traugott nahm an, das Eis sei nun gebrochen. Er sollte sich irren. Brenda erklärte ein wenig umständlich: »Nicht, dass ich Ihnen zu nahe treten möchte, aber als Frau – nehmen Sie das bitte nicht persönlich – könnte ich mich niemals an so ein Dingsda gewöhnen. Wenn Mann und Frau zusammen sind, ich meine richtig zusammen, im dunklen Schlafzimmer … Sie wissen, was ich meine … ich würde jedes Mal einen gehörigen Schreck kriegen, wenn der Dingsda mir zu nahe käme. Bitte nehmen Sie mir das nicht übel. Ich kenne Frauen, denen das gar nichts ausmacht und die auch keinen Aufschlag verlangen. Aber bei mir ist das anders.«
Traugott schluckte mehrere Male und sah Brenda tief in die Augen. »Sie haben einen sehr schönen Garten. Bitte teilen Sie Ihrer Frau Mutter mit, dass ich das Zimmer sofort mieten möchte. Ich zahle im Voraus. Ihr Angebot, mich im Auto mitzunehmen, nehme ich ebenfalls gern an, da ich den Bus nach Wandsbek nicht mehr bekommen werde.«
Mit einer gewissen Kälte fügte Brenda hinzu: »Sie können mir die Miete bar bezahlen. Sie erhalten umgehend eine Quittung. Oder Sie überweisen den Betrag auf mein Konto. Mutter besitzt sowas nicht.«
»Haben Sie denn ein eigenes Konto?«
»Ich habe freie Verfügungsgewalt über mein Konto, auch wenn es offiziell auf Onkel Tiberius’ Namen eingerichtet ist.«
Traugott sah die junge Frau länger an, als es geboten war. Sie hatte unglaublich flinke Augen, war überhaupt drahtig und machte einen sportlichen Eindruck. Dazu das Mädchengesicht, der schlanke, elastische Körper, und trotzdem diese volle Brust, die wie ein optischer Magnet wirkte.
Eine Woche nach seinem Besuch zog Traugott um. Zwei Kommilitonen halfen ihm, was bei zwei gesunden Armen kaum nötig gewesen wäre, sieht man einmal von dem Bücherkarton ab, der bereits ausgeliehene Werke aus der Staatsbibliothek enthielt, weil das Datum, an dem sich Busch zum ersten Staatsexamen anmelden musste, immer näher rückte. Brenda bot an, einige Kartons mit dem Auto zu transportieren. Doch die beiden Freunde hatten auch daran gedacht und einen alten Tempo organisiert.
Notgedrungen musste Traugott Bemerkungen über die schöne Vermieterin über sich ergehen lassen. Das konnte nicht ausbleiben, zumal die jungen Studenten entzückt waren über Brendas ungezwungene Art, mit der sie ihnen in kürzester Zeit die Köpfe verdreht hatte. So meinte der eine, wenn es hier solche Exemplare weiblicher Schönheit gebe, werde er in die Provinz ziehen.
Sooft es das Wetter erlaubte, saß Traugott im Garten und fertigte Exzerpte für seine Examensschrift an, soweit die Umstände es zuließen. Kam Brenda beispielsweise nach draußen, um Wäsche aufzuhängen, war es vorbei mit der Konzentration. Die reizende Frau war schon Grund genug, die Gedanken schweifen zu lassen.
Warf sie überdies noch Wäsche in der Weise über die Leine, die Hildegard Knef in ihren gewagtesten Filmrollen nicht überbot und die man der Jugend aus sittlichen Gründen nicht zumutete, geriet Traugott ins Grübeln. Eine solche Frau könne man nicht halten, brummelte er und spürte zugleich ein quälendes Verlangen nach einer Lebensgefährtin.
Irgendetwas stimmte mit der schönen Frau nicht – eine Vermutung, die sich erhärtete, als Traugott durch Neustadt schlenderte und in der vollbesetzten Schlachterei vom Chef des Hauses ungeniert angesprochen wurde. Er hatte sich nur ein wenig von den Strapazen der deutschen Literaturgeschichte seit Grimmelshausen erholen wollen, als Schlachtermeister Röhricht durch den Laden tönte, ob seine Vermieterin – gemeint war natürlich die junge Frau – noch in Hamburg beschäftigt sei, in jenem zwielichtigen Etablissement, das Hanseatischer Hof genannt wurde. Den Laden habe es nämlich schon vor dem Krieg gegeben, und damals hing draußen nicht nur eine rote Laterne, sondern die ganze Nacht über glühten solche Lampen, wie man sie von den Etablissements der Reeperbahn her kannte. Da rief eine andere Stimme durch den Laden: »Du kennst dich ja gut aus, Wilhelm!«
Die versammelte Kundschaft lachte laut, doch Röhricht ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. Auch von roten Telefonen, die auf kleinen Tischen platziert waren und von wo aus man Kontakte zum anderen Geschlecht anbahnen konnte, war die Rede. Die rundliche Schlachterfrau wollte wissen, ob Onkel Tiberius noch ab und zu vorbeischaue. Der sei ja auch so einer …
Traugott, der sein letztes Geld zusammengekratzt hatte, weil er einen regelrechten Heißhunger auf Knackwurst mit Brötchen und Senf verspürte, war froh, als er sich unter den neugierigen Blicken davonstehlen konnte.
An allem schien etwas dran zu sein, auch besagter Herr Tiberius stand eines Tages im Wohnzimmer. Brenda hatte sich gerade Bismarck und die deutsche Außenpolitik erklären lassen, als Tiberius sich in die Unterhaltung einmischte. Brenda schaltete blitzschnell um und erschien Traugott in allem, was sie sagte, frostig: »Es ist noch Kaffee da, auch Kekse kannst du dir nehmen, ansonsten befinden wir uns gerade in der Vorbereitung zum mündlichen Examen, und zwar bei Professor Fischer, der den Kandidaten viel abverlangt.«
»Ich will nicht lange stören«, sagte Tiberius, der immer ein Lächeln im Gesicht hatte, mal ein freundliches – dann kniff er die Augen eigenartig zusammen –, mal ein zum Grinsen abfallendes, wodurch das ganze Gesicht in eine Schieflage geriet. Ohne Traugott eines Blickes zu würdigen, sagte er mit leiser, klarer Stimme: »Ich wollte nur Rosalie sprechen. Richte ihr aus, dass es nichts wird mit der Rolle.«
Er verabschiedete sich, draußen heulte ein Motor auf, und Brenda sah ihren Mieter gutgelaunt an. »Das ist schon ein toller Kerl!«
Traugott stutzte. »Der Herr Tiberius?«
Brenda