Название | Der Duft der Bücher |
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Автор произведения | Jenny Schon |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783947373512 |
Das Tagebuch eins
Zu meinem Geburtstag und zu Weihnachten habe ich zu meinen Märchenbüchern endlich auch Bücher für junge Mädchen geschenkt bekommen, Trotzkopf und Nesthäkchen.
Auf einem steht in Goldbuchstaben Tagebuch, von Tante Marie aus Bayern geschickt.
Ich frage Tante Änne, was das ist, ich kenne nur das Poesiealbum, worin die Schulfreundinnen sich Gedichte widmeten. Ich hab bei der Jutta mal reingeschrieben:
Gerede und Zank
machen krank.
Da hat mir niemand mehr in der Klasse ein Poesiealbum gezeigt.
Die Tante meint, ein Tagebuch ist doch gerade richtig für dich, wo du so oft Stubenarrest hast. Da kannst du alle deine Gedanken, Geschichten und Geheimnisse reinschreiben. Dafür brauchst du aber einen Künstlernamen.
Künstlername, warum?
Nun, es muss ja nicht jeder wissen, wer das schreibt. Die Tante überlegt. Der Dichter Novalis, der hat schöne Gedichte geschrieben, fällt mir ein, der war in Wirklichkeit ein Prinz, du hast es doch auch mit Prinzen und Prinzessinnen, die sich verstecken müssen, damit sie unerkannt bleiben.
Ich kenne Novalis nicht, aber Verstecken, denk ich, das will ich auch. Mein Bruder, mit dem ich das Zimmer teile, ist nämlich neugierig und petzt.
Ich muss dich also erst mal kennenlernen, liebes Tagebuch, weil ich ja nicht weiß, wie du bist. Also nenn mich Betty. Den Namen von früher musst du nicht kennen, von der, die nur Märchenbücher und kein Tagebuch hatte, wenngleich ich mich manchmal schon verschreiben werde, denn an einen neuen Namen gewöhnt man sich ja nicht so schnell.
Sonntagmorgen.
In der letzten Zeit habe ich immer Ärger mit meiner Schulfreundin Sonja.
Ich habe ihr den Trotzkopf ausgeliehen, den mir Tante Änne geschenkt hat. Eigentlich gefällt mir das Buch nicht, aber ins Internat, wie die Ilse Macket, möchte ich schon. Endlich weg von zu Hause, schon weil ich für jedes Bisschen Stubenarrest bekomme.
Zu Neujahr hat Vati zwar gesagt, jetzt kannste widder frei rumloofe, aber ich muss immer auf der Lauer sein, besonders vor meinem Bruder, weil der sofort alles Vati erzählt und wenn der sieht, dass ich schreibe, will der das lesen. Ich verstecke dich, liebes Tagebuch, am besten unter meinen Schlüpfern, da haben Männer nichts zu suchen. Bitte entschuldige.
Auch Mutti ist neugierig, zeig mal, und schwupp, hat sie es mir aus den Händen geraubt und liest. Ich will ja auch mal was schreiben, was nicht für andere bestimmt ist, meine Gedichte zum Beispiel. Da hat es auch immer Ärger gegeben in der Schule.
Der Verrat
Das Thema war: Was willst du mal werden?
Ich hab in Gedichtform geschrieben.
Voller Fehler, sagt die Lehrerin. Solche Wörter, die du erfindest, gibt es nicht. Der erste Satz hat schon mal kein Tuwort. Lies es vor.
Der Winter ein Schattenwurf.
Die Geworfenen, seine Kinder,
hinter den düsteren Bäumen im Grabennebel,
morgens, wenn ein Ahnen von Licht sich aufmachte
in den Tag.
Kleine Gespenster von lila,
ein wenig farbiger als das sie umgebende Grau.
Ich sah sie reiten mit dem Wind,
auf meinem Schulweg durch den Park,
ein lichtes Flattern der Äste
Das ist der Wind, mein Kind,
war das erste Gedicht, das ich auswendig lernte.
Wir besaßen keine Bücher,
nur eine Tafel, an die die Lehrerin den Erlkönig schrieb,
jede Stunde eine Strophe,
die sie in der nächsten Stunde abfragte,
bis es saß, bei allen!
Wir waren in der sechsten Klasse
und hatten das erste Mal in Deutsch Literatur.
Langsam vergaß ich die Schatten,
die meine Kindheit verfolgten.
Ich bettete sie in Märchen,
sie verloren ihren Schrecken.
Ich möchte Märchenerzählerin werden.
Gut, ich gebe zu, als Märchen ist es schön, dafür würde ich eine Eins geben, sagte Frau Schmitz, aber ansonsten ist nicht nur das Thema verfehlt, sondern auch die Form. Deshalb kann es als Aufsatz nicht bewertet werden. Schon was Thema verfehlt heißt, weißt du. Und was meint ihr? Die Lehrerin fragt die Klasse.
Ich musste die ganze Zeit vorne stehen und über das Gedicht sprechen, das heißt: verteidigen.
Ich muss am Sportplatz vorbei zur Schule, stammelte ich, da ist es morgens noch dunkel. Früher kamen die Jungs, die in die katholische Schule gehen, und verprügelten mich, evangelischer Rattenfänger, riefen sie, Pimock, Fusselumpzigarrenstump, da habe ich Angst. Ich habe Angst, zu spät in die Schule zu kommen, weil ich ja noch einen weiten Weg habe.
Und deshalb siehst du Gespenster? fragt die Lehrerin, die Schülerinnen gackern, besonders hässlich sind die hämischen Gesichter der dicken Töchter aus gutem Haus, die eine vom Eisen- und Elektrowaren-Kaufhaus, die durch den Schwarzen Markt reich wurden, und die von der Baufirma, die vom Bauen der Nachkriegsjahre reich wurden. Und ausgerechnet diese Schülerinnen, die schon eh Langeweile haben, sind vom Turnen befreit, weil sie was haben, was die anderen Mädchen noch nicht haben, wird getuschelt.
Ihr habt ja keine Heimat verloren, schreie ich sie an, ihr hattet zu essen, und seid zu faul zu turnen!
Da blieb ihnen das Lachen im Halse stecken, damit hatten sie nicht gerechnet, dass ich mich wehre.
Geld habt ihr, ja, das haben wir anderen Mädchen nicht, die wir flüchten mussten. Aber keinen Funken Fantasie habt ihr!
Nun kommt es! Statt mich zu unterstützen, sehe ich Sonja grinsen, und sie meldet sich und sagt, ich hab gesehen, wie sie das Gedicht abgeschrieben hat.
Das ist nicht wahr, Sonja, schreie ich. Nein, das ist nicht wahr, ich habe doch gar keine Bücher, das weißt du doch, Sonja, außer Grimms Märchen, und diese Märchen kennt ihr alle.
Nein, ich heule nicht, aber ich bin puterrot und darf mich wieder auf den Platz setzen.
Zu einem späteren Zeitpunkt wird Vati in die Schule geladen, der kann aber nicht, weil er in der Fabrik arbeitet und dafür keinen freien Tag kriegt, da müsste er sich Urlaub nehmen, aber das bin ich ihm nicht wert.
Frau Schmitz sagt, ich würde dir jetzt bei den Nachmeldungen doch noch mal eine Chance geben und eine Empfehlung für die höhere Schule schreiben.
Mutti geht zur Lehrerin.
Sie sind aber nicht erziehungsberechtigt, Frau Pütz.
Lassen Sie den Versuch, Frau Schmitz, sagt sie, mein Mann will es nicht, die Schule kostet Schulgeld, das haben wir nicht, und er ist der Meinung, dass ein Mädchen eh heiratet.
Ihre Tochter ist ja gut, aber in Deutsch bräuchte sie Nachhilfe und dann könnte