Название | Bildung, Erziehung und Wissen der Frauenbewegungen |
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Автор произведения | Barbara Rendtorff |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783170363243 |
Zu den Gemeinsamkeiten der Auseinandersetzungen um das Frauenstudium im internationalen Vergleich gehören insbesondere zwei Aspekte. Übereinstimmend ist zum einen die enge Verbindung von Aktivistinnen, die für die Zulassung stritten, mit der Frauenbewegung (vgl. Maurer 2010: 20). Zum anderen wurden in allen Ländern bei der Diskussion um das Frauenstudium die Auswirkungen auf die männlichen Geschlechtsgenossen diskutiert (ebd.: 19). Dies macht deutlich, dass die Universitäten nicht nur Räume der Bildung und Wissenschaft, sondern auch der männlichen Sozialisation waren (ebd.: 10). So stellte etwa der Alkoholkonsum wie auch andere Rituale der männlichen Studentenverbindungen für die erste Generation von Studentinnen ein Thema dar. Diese trafen an der Universität entweder auf Galanterie und Kavaliershaltung seitens der männlichen Studenten (vgl. Baader 1992: 227) – oder auch auf ein feindseliges Klima: Nicht nur von Seiten der Lehrenden, denn auch die männlichen Kommilitonen würden den Studentinnen gerne »›unabsichtlich‹ aufs Kleid treten, ihnen beim Besetzen der Plätze Knüffe beibringen, ihnen Kleckse in die Hefte machen, sie an den Kleiderhaken und beim Aufsuchen der Sitze wegdrängen«, schreibt ein Anonymus 1911 in der Münsteraner Universitätszeitung (Brinkschulte 2005: 111).
Ein Thema der frühen Studentinnen war aber auch das Verhältnis zur älteren Generation der frauenbewegten Kämpferinnen für das Frauenstudium. So wollte beispielsweise der Verein »Frauenstudium-Frauenbildung«, der sich für die Zulassung von Frauen eingesetzt hatte und dem in Heidelberg unter anderen die Protagonistin der bürgerlichen Frauenbewegung Marianne Weber (1870–1954) angehörte, die erste Generation von Studentinnen zu ihrer Jugendgruppe machen. Diese aber rebellierte gegen die Generation ihrer kollektiven Mütter. »Wir waren jung und wollten unabhängig sein, wir wollten keine alten Tanten und wollten nicht gegängelt werden«, so die erste Medizinstudentin in Heidelberg, Rahel Straus (1880–1963) (Straus 1961: 94). Sie hatte am ersten Mädchengymnasium in Deutschland, das auf Betreiben des Vereins »Frauenstudium-Frauenbildung« 1893 in Karlsruhe gegründet wurde, 1899 Abitur gemacht und in der ersten Abiturrede einer Frau in Deutschland über die Bildungschancen von jungen Mädchen und das akademische Studium gesprochen. Um ihre Freiheit und Unabhängigkeit zu wahren, gründeten die ersten Studentinnen eine eigene Studentinnengruppe, die »Vereinigung studierender Frauen«, den Verein von Marianne Weber und anderen nannten sie spöttisch »Frauentugend-Frauenmilde« (vgl. Baader 1992: 221ff.).
Mit dem skizzierten Generationenkonflikt ist zugleich eine Konstellation angesprochen, die sowohl die alte als auch die neue Frauenbewegung immer wieder beschäftigte: die Jüngeren wollten mit den Älteren, die Rechte erkämpft hatten, nichts mehr zu tun haben, sie wollten unabhängig sein und den Älteren nichts verdanken, auch wenn sie sich unter Umständen selbst als Frauenrechtlerinnen verstanden, wie es bei Rahel Straus dezidiert der Fall war. Aber diese Konflikte weisen auch noch eine andere Dimension auf, die mit dem Verhältnis zwischen Kultur- und Naturwissenschaften zu tun haben. Denn der von Marianne Weber und anderen geführte Verein »Frauenstudium-Frauenbildung« hatte ein distanziertes Verhältnis zu den Naturwissenschaften. Marianne Weber entfaltete in ihrem Text »Die Beteiligung der Frau an der Wissenschaft« aus dem Jahre 1904 ganz in der Logik von der spezifischen »Kulturaufgabe der Frau«, dass die Frauen in den Kulturwissenschaften aufgrund ihrer »Gabe, sich in die Gefühlswelt anderer zu versetzen« und »einer spezifischen Stoffauswahl nach besonderen weiblichen ›Gesichtspunkten‹ der Wissenschaft weibliche Werte hinzuzufügen würden« (Weber 1919: 5). Diese Möglichkeit sah Weber in der Naturwissenschaft mit ihrer Orientierung an »Objektivität« nicht (ebd.). Sie wertete in ihren Überlegungen zur »Kulturbedeutung geistiger Frauenarbeit«, bei der es nicht um die »Förderung des objektiven Kosmos unseres Wissens« gehe (ebd.: 7), zum einen die Naturwissenschaft und zum anderen ökonomische Aspekte ab, denn sie zielte vorrangig auf die »geistige Emanzipation« (Weber 1948: 446). Naturwissenschaftlerinnen wie die erste habilitierte Frau an der Universität Heidelberg, Gerta von Ubisch, die die Gymnasialkurse von Helene Lange besucht hatte, kritisierten die stark idealistisch ausgerichtete Bildungsauffassung Langes und der bürgerlichen Frauenbewegung (vgl. Baader 1995: 450).
Der Glaube an die Kulturaufgabe der Frau und ihre besondere Zuständigkeit für den sozialen Sektor durchzog auch die Bildungsbemühungen der Frauenbewegung bei dem Ziel, für Berufstätigkeiten von bürgerlichen Mädchen und Frauen im Bereich der Fürsorge und des Sozialen auszubilden. »Aus diesem Grund«, so Alice Salomon, ab 1900 im Vorstand des BDF, »fordert die Frauenbewegung die Vertiefung der Mädchenbildung nicht nur, um den Frauen volle Entfaltungsfreiheit zu sichern, sondern auch um der Eigenart der Frauen Raum zur Anteilnahme am Kulturleben, am öffentlichen und sozialen Leben zu schaffen. So unterstützt sie ihre Forderung nach wissenschaftlicher Bildung durch den Glauben an die soziale Mission der Frau« (Salomon 1904). Bei der Eröffnung der von Salomon gegründeten Sozialen Frauenschule in Berlin im Jahre 1908 erklärte sie, dass es ihr um eine »moderne Bildung« gehe, die kein Luxuswissen darstelle, sondern die eine Grundlage für Beruf und Erwerbstätigkeit in der sozialen Arbeit bilde und die Frauen befähige, »zu handeln, etwas zu leisten« und »der Menschheit in irgendeiner Form – in der Familie oder im größeren Kreis – zu dienen« (Salomon 1908).
Zwar bezogen sich diese Bildungsaktivitäten der Frauenbewegung wesentlich auf Mädchen und Frauen des Bürgertums, doch wurde die Notwendigkeit von »Bildung zur Selbstbildung« auch von Aktivistinnen der Arbeiterinnenbewegung gesehen. Bildung sei ja nichts anderes als »Regsamkeit des Geistes, die uns befähigt, einen neuen Gedanken voll in uns aufzunehmen«, schrieb die sozialdemokratische Aktivistin Wally Zepler (1866–1940), und nur das »gebildete«, also: zu freier, von Sachkompetenz getragener Einschätzung und Entscheidung fähige Individuum sei dazu in der Lage, das Gegebene zu prüfen und zu hinterfragen – und erst damit verfügt es auch über die Voraussetzung, politisch-gesellschaftliche Entscheidungen zu treffen oder den Staat zu lenken. Damit begründete sie 1899 die Einrichtung von Arbeiterinnen-Bildungsvereinen: Den Mädchen und Frauen Bildung vorzuenthalten, begrenze ihre individuelle Entwicklung ebenso wie ihre Fähigkeit zu einer guten Erziehung – denn diese sei »eine Kunst, über die man auch etwas nachgedacht und von der man etwas gelernt haben muss« (Zepler 1899/1989: 284). Den Arbeiterinnen Bildung vorzuenthalten beschränke sie deshalb in doppelter Weise – als Frauen und als Angehörige des Proletariats – und schade damit auch der Gesellschaft insgesamt, zu deren Fortentwicklung diese Frauen nicht das ihrem Vermögen Entsprechende beitragen könnten. Stattdessen gelte es, den Hebel an dem anzusetzen, was »die Möglichkeit zur Verwirklichung in sich trägt« (Zepler 1916: 20). Da die »niedrige Entlohnung der Frauenarbeit« letztlich auf die geringere Bildung von Frauen zurückzuführen sei, votierte die sozialistische Frauenrechtlerin Lily Braun für die Einrichtung spezieller »Fortbildungsschulen« (Braun 1901/1981) und begründete damit nicht zuletzt das sozialistische genossenschaftliche Modell des »Einküchenhauses«3 – hier würden die Frauen Zeit gewinnen, um zu lesen, zu lernen und sich weiterzubilden.
Frauenbewegte Frauen haben also trotz der in jeder Hinsicht erschwerten Umstände in der Zeit um die Jahrhundertwende viele kluge, differenzierte, ja sogar kühne pädagogische Überlegungen veröffentlicht, in denen sie sich gegen die Geringschätzung des Weiblichen und der Frauen zur Wehr setzten – teilweise indem sie deren Benachteiligung aufdeckten, und teilweise indem sie den Spieß umdrehten: So schreibt Mathilde Vaerting4:
»Der Mann hat zu allen Zeiten die Verstellungskunst als eine weibliche Kunst bezeichnet. Weshalb ist er nie auf den Gedanken gekommen, dass auch in der Emotionalität des Weibes ein Teil Verstellungskunst enthalten sein könnte? Wahrscheinlich deshalb nicht, weil er die Emotionalität beim Weibe wünscht, nicht aber bei seinem eigenen Geschlecht, solange er die Vorherrschaft hat. Denn dieser Unterschied ist für die Herrschaft günstig: Wer sich gehen lässt, wer seinen Gefühlen stets Ausdruck verleiht, kann leichter beherrscht werden. […] In diesem Zusammenhang ist auch interessant, dass die Gewaltgefühle, obschon sie eine stärkere Emotionalität voraussetzen als weiche Gefühle, überhaupt nicht als Emotionalität gewertet werden.« (Vaerting 1923: 188)
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