Название | Bildung, Erziehung und Wissen der Frauenbewegungen |
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Автор произведения | Barbara Rendtorff |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783170363243 |
Im Übrigen lässt sich die Frage, ob Mono- oder Koedukation die »bessere« Lösung wäre, bis heute nicht beantworten, obwohl das Thema vielfach untersucht wurde. Sowohl in Bezug auf Leistung und Notengebung als auch auf das subjektive Wohlbefinden oder geschlechtstypische Einstellungen sind die Ergebnisse widersprüchlich, wobei sich häufig dezente Hinweise darauf finden lassen, dass Jungen mehr von Koedukation profitieren als Mädchen und dass sich geschlechtstypische Interessen unter Koedukationsbedingungen verstärken – hier scheint sich der Verdacht der feministischen Schulforschung zu bestätigen. Allerdings sind solche Untersuchungen kompliziert, weil monoedukative Schulen eine spezifisch selektierte Elternschaft aufweisen und monoedukativ unterrichtete Klassen oder Fächer in der koedukativen Regelschule von vorneherein einen Sonderstatus bilden, der die Situation möglicherweise verzerrt. Deshalb sind selbst die vergleichsweise gut dokumentierten Studien zum monoedukativen Physikanfangsunterricht, die meistens einen kurzfristigen Vorteil der Mädchen ergeben, nur beschränkt aussagekräftig.
Dennoch lässt sich in Bezug auf Mädchenschulen zeigen, dass diese es Mädchen leichter machen, sich für Physik und teilweise auch für Mathematik zu interessieren und dass ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugung hier höher ist als in koedukativen Schulen (vgl. Schurt/Waburg 2007). Auch wenn die Organisationsform nur einen Teil von Schulkultur ausmacht und obwohl Mädchenschulen aktuell unter einem gewissen Legitimationszwang stehen, können sie dennoch eine Ressource für Mädchen hinsichtlich Interessenentwicklung, Selbstwirksamkeit und Schulerfolg darstellen (vgl. Herwartz-Emden 2007; Herwartz-Emden/Schurt/Waburg 2010).
Die durchschnittlichen Leistungsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen fallen weniger eindeutig aus als oftmals angenommen (vgl. Rendtorff 2016: Kap. 2.3). Zwar sind die Jungen in Physik und Informatik leistungsstärker und die Mädchen in den sprachlichen Fächern, aber der Abstand hat sich in den letzten Jahren deutlich verringert (vor allem in Mathematik). Es zeigt sich aber ein paradoxes Bild: Der Vorsprung der Mädchen in der Lesekompetenz scheint sich im frühen Erwachsenenalter sehr schnell zu verlieren (OECD 2015: 4), während sich ihr Rückstand in den naturwissenschaftlichen Fächern überproportional stark entwickelt. Obwohl sich die Leistungen von Mädchen und Jungen gerade in den unteren Klassenstufen nur noch wenig unterscheiden, steigert sich die Distanz der Mädchen gegenüber Technik und Naturwissenschaften bis zu den geschlechtstypischen Fächerwahlen in der Oberstufe und entsprechenden Studienfachwahlen. Zwar werden Leistungs- und Abiturfächer auch nach den vorangegangenen Noten gewählt, doch scheint dies den Effekt nicht zu erklären. Durchgängig zeigen sich dagegen das geringere Selbstvertrauen der Mädchen in ihre rationalitätsbezogenen Fähigkeiten (auch im deutlichen Widerspruch zu ihren Noten) und die Vorstellung geschlechtstypischer »Passung« als wichtigste Einflussfaktoren.
Dass sich die Diskussion um Ko- oder Monoedukation auf messbare Leistungsunterschiede konzentriert, ist deshalb eher neoliberalen Einflüssen im Bildungswesen zuzuschreiben als der Plausibilität des Faktors selbst. Bedauerlicherweise führt dies aber dazu, dass die Frage nach dem Einfluss des Bildungssystems auf das schwächere intellektuelle und rationalitätsbezogene Selbstbild von Mädchen nach wie vor nicht zufriedenstellend bearbeitet worden ist.
Resümee und Ausblick
Jede soziale oder politische Bewegung, die sich in Opposition zu den gesellschaftlichen Institutionen begibt und deren Veränderung anstrebt, steht vor derselben dilemmatischen Entscheidung: Verharrt sie in der Opposition, kann sie ihre Argumente weiter schärfen, aber nur wenig konkret bewirken, begibt sie sich auf den »Weg durch die Institutionen«, gewinnt sie an Einflussmöglichkeit, muss sich aber in gewissem Maße den Gegebenheiten anpassen und Teile ihrer Ideen und Wünsche opfern. Die mittel- und langfristigen Folgen jedoch, die ein revolutionärer oder reformerischer Diskurs möglicherweise in Gang setzen kann, lassen sich überhaupt nicht vorhersehen und auch im Nachhinein nur schwer ermessen. Gegenüber den beiden vorangegangenen Jahrhunderten hat die Erste Frauenbewegung eine enorme Umwälzung in Gang gesetzt, indem sie den Frauen eine (wenn auch nicht gleichberechtigte) Teilhabe an Öffentlichkeit, Politik, an Bildungs- und Berufsmöglichkeiten eröffnete. Auf deren Schultern stehend hat dann die Zweite Frauenbewegung genauer hinterfragt, wie es dazu kommen kann, dass trotz gleicher Möglichkeiten Unterschiedliches gelehrt und gelernt wird, dass Selbstbilder und Selbstvertrauen von Mädchen und Jungen sich dennoch so sehr voneinander unterscheiden. Dass aus feministischer Schulforschung und Frauenforschung dann »Geschlechterforschung« wurde, zeigt eine Verschiebung der Perspektive an, die nicht mehr vorrangig das »Mehr« (der Männer) und das »Weniger« (der Frauen) vergleichend in den Blick nimmt, sondern die Dynamik, mit der die Strukturen der Geschlechterordnung auf beide Genusgruppen wirken. Hierin liegt allerdings auch das Risiko, nun aus dem Impuls heraus, beide als »Opfer der Verhältnisse« zu betrachten, weiterhin vorhandene androzentrische, die Genusgruppe der Frauen benachteiligende Strukturen weniger genau zu beobachten.
Herausgearbeitet wurde zudem in diesem Kapitel der enorme Bildungsoptimismus der ersten und der zweiten Frauenbewegung. Historisch betrachtet haben die damit verbundenen Anstrengungen und Kämpfe Früchte getragen, und gegen Ende des 20. Jahrhunderts hat die Partizipation der Mädchen an der höheren schulischen Bildung in der Bundesrepublik die der Jungen überholt. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre besuchten 25 % der Jungen und 30 % der Mädchen das Gymnasium, 1999 lagen die Mädchen um 6 % vor den Jungen (vgl. Hopf 2010: 41f.), 2017 um 4 % (Statistisches Bundesamt 2018, S. 16). Auch die schulischen Leistungen der Mädchen sind insgesamt besser, was seit etwa 2000 zur Diskussion über die »Jungen als Bildungsverlierer« beigetragen hat. Allerdings, und darin besteht das aktuelle Dilemma, nehmen die Frauen diesen Vorsprung nicht mit auf den Arbeitsmarkt und in ihr Erwerbsleben. Ihr Leistungsvorsprung geht bei der Einmündung in den Arbeitsmarkt bezogen auf Positionen und Bezahlungen sukzessive und über die Zeit hin aufgeschichtet verloren, was sich unter anderem im Gender-Pay-Gap zeigt. Hierin liegen aktuell die Herausforderungen einerseits für die politischen Aktivitäten und andererseits für die Forschung und die Analyse der Ursachen. Diese sind multifaktoriell und hängen mit komplexen Dynamiken und offenen wie mit verdeckten Strukturen zusammen. Eine Rolle spielen dabei die Verknüpfung von Geschlechterverhältnissen mit Organisationen und ihren verschiedenen Ebenen (vgl. Krell/Rastetter/Reichel 2012), mit sozialem Kapital und Netzwerken, aber auch Fragen von Anerkennung, Wertschätzung und Autorisierung. Entscheidende Faktoren sind zudem Teilzeitarbeit und die gesellschaftliche Ordnung der Sorgeverhältnisse. Etwas provokativ gefragt: Haben wir es bei diesen aktuellen Konstellationen, dass Frauen ihre guten Bildungsabschlüsse und Leistungen nicht in die gleiche Bezahlung wie Männer übersetzen können, auch mit den Spätfolgen einer hohen Wertschätzung von Bildung, wie sie sie die Frauenbewegungen akzentuiert haben, bei gleichzeitiger Geringschätzung von ökonomischen Fragen zu tun?
Es scheint, dass der Bildungsoptimismus sich auch bei heutigen jüngeren Frauen fortschreibt und ein damit verbundener Glaube, »dass Frauen alle Möglichkeiten hätten« weit verbreitet ist (Hensel/Raether 2008: 67). In einem viel beachteten Buch aus dem Jahre 2008 beschreiben zwei um 1980 geborene Frauen, wie auch sie dieser Vorstellung für ihr Leben gefolgt seien. Feminismus habe sie nicht besonders interessiert. Dabei benennen sie auch eine Generationendifferenz gegenüber der Generation ihrer feministischen Mütter. Dies zeigt, dass die zweite Frauenbewegung »im Wandel der Generationen« in den jeweiligen biographischen Selbstentwürfen eine Rolle spielt (Thon 2015) – und sei es über Abgrenzung. Diese Erfahrung der Distanzierung der folgenden Generation hatten bereits, wie vorne erwähnt, die frauenbewegten Vorkämpferinnen für das Frauenstudium zu Beginn des 20. Jahunderst gemacht. Die beiden Autorinnen der 2000er Jahre dachten über den Feminismus, wie eine der beiden schreibt, dass »die Generation meiner Mutter das für mich abgehandelt habe« (ebd.). »Mitglied einer ausgegrenzten Minderheit zu sein« (ebd.) habe nicht zu ihrem Lebensgefühl gepasst.
»Dass keine der Vorlesungen, in die ich mich eintrug, von einer Frau gehalten wurde, bemerkte ich nicht. Als ich im Hörsaal saß,