Название | Der tadellose Herr Taft |
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Автор произведения | Husch Josten |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862800759 |
Kein Wunder, dass ihr später startet, antwortete Veronika angenehm kühl ins Telefon. Es scheint ein gewaltiger Gewittersturm über Europa zu ziehen. Ich habe es eben in den Nachrichten gehört. Schwere Sommergewitter.
Wirklich, ein Sturm?, antwortete er arglos. Hier sieht alles bestens aus, aber das heißt ja nichts.
Die Frau vor ihm drehte sich derart schnell um und griff so zielsicher nach seinem Telefon, dass Daniel Taft nicht wusste, wie ihm geschah.
Sturm?, schrie sie in seinen Apparat zu Veronika. Eine starke Stimme, hell, sie tanzte durch den Tunnel wie eine Königskobra zur Flöte. Sturm? Sie sagen, es gibt Sturm?
Dann hörte sie einen Moment zu, in dem Veronika offenbar aus Reflex antwortete und Daniel zu perplex war, um etwas Vernünftiges gegen diesen Übergriff zu unternehmen. Sein Telefon lag am rechten, roten Ohr des fremden, sonnenhaarigen Kopfes mit aufgeregt rotgeäderten Augen, die an der Tunnelwand einen Fixpunkt suchten. Den Mund halb geöffnet, gewappnet für den Warnschrei vor Schlimmerem, wehte unbekannter, aufgewühlter Atem an seine Sprechmuschel und verursachte ihm Unbehagen. Dann drückte ihm die Fremde wortlos das Telefon zurück in die Hand, drehte sich um und floh. Er konnte sich nicht erinnern, ob der Apparat tatsächlich Schwitzspuren ihrer Hand getragen oder er solche nur befürchtet hatte. Ganz in Rot, aber immerhin anständig gekleidet, ihr Schopf wie eine knallgelbe Mütze, stolperte die Frau fluchend mit ihrem Handgepäck an den Wartenden vorbei zurück zum Flughafengebäude. Ein hüpfender Tennisball im Aus, hysterisch übers Netz in den Sand geschleudert. Nicht mit mir! Mit ihrem grauen Lederkoffer rempelte sie die anderen Passagiere an. Nicht mit mir, mein Lieber! Ein durchdringendes Organ. Glockenhell. Markant. Sie ließ offen, wer „mein Lieber“ war: der Sturm, der Flugkapitän, der Wettergott oder der Wetterdienst. Die anderen Reisenden vermieden sorgfältig, Notiz von ihr zu nehmen. Sogar die, die sie anstieß, wollten von Sturm nichts wissen. Allen war zu heiß für Komplikationen. Taft wischte mit dem Hemdsaum das Telefon sauber und legte es wieder an sein Ohr. Er wollte gerade anheben, seiner Verwunderung Ausdruck zu verleihen, sich zu entschuldigen, da hörte er Veronikas Stimme wie einen Luftzug, leise, beherrscht.
Versuch nicht, mir das zu erklären, Daniel. Und damit legte sie auf.
--- THEY ALL LAUGHED. Seine Kundin schob, gut lesbar, die Karte ‚Koulrophobie‘ vor ihn auf den Tresen. An diesem Tresen hatte der Vormieter Schuhe entgegengenommen und ausgehändigt. Immer noch gab es an der Wand dahinter die Stange mit dem Papier zum Abrollen und Abreißen, Papier, in das der Schuster die Schuhe eingewickelt hatte. Rotweiß kariert, gewachst, fest und glatt und auch ein wenig störrisch, schön und altmodisch. ‚Koulrophobie‘. Schon wieder Jazz in seinem Kopf. They all laughed. Chet Baker? Fred Astaire? Die Angst vor Clowns, sagte die Frau, ihr Blick aufgeweckt. ‚Koulrophobie‘. Wie kommen Sie nur auf diesen Begriff? – Ich lese viel. – Sie legte das Geld auf den Kassentisch: Sieh an, Sie antworten mir, das freut mich. Ich würde mich nämlich gern ein bisschen mit Ihnen unterhalten … Sie haben hier einen schönen und ebenso sonderbaren Laden eröffnet. – Taft nickte dankend, ließ das Geld unangetastet und steckte die Karte in eine weiße Papiertüte. Seine mit Theorie bedruckten Papiertüten trugen erheblich zum Geschäftserfolg bei. Nur in dieser Tüte waren die Karten echt. Alles so simpel. – Mein Name ist Olivia… Ihre Augen groß, schattenblau, frei heraus. Eine Karte mit ‚Liebe‘ habe ich nicht gefunden, sprach sie weiter, finden Sie nicht auch, dass das zu einfach gewesen wäre? Sie hielt einen Moment inne, lachte dann. Ja, natürlich finden Sie das, sonst würden Sie eine solche Karte anbieten. – Taft wusste nichts zu entgegnen. Er brauchte zu lange, um eine geeignete Antwort überhaupt zu denken. Ich werde jedenfalls gern wiederkommen, fuhr Olivia unbeirrt fort, ich werde wiederkommen und nachsehen, welche Begriffe Sie dann im Sortiment haben. Ich bin gespannt, mir sind beim Lesen einige eingefallen, die ich vermisst habe. – Taft reichte ihr die Tüte mit der Karte: Natürlich, gab er behäbig zur Antwort. – Jetzt haben Sie schon wieder gesprochen. – Und ich mache es noch einmal: Auf Wiedersehen, Olivia. – Auf Wiedersehen, Herr … Sie blieb an der Tür stehen. Wartete. Ihr Gesicht zeigte die Frage, ihre Herzlichkeit war staunenswert. – Daniel Taft, antwortete er also. Aber das wissen Sie doch längst. Aus den Zeitungsberichten, die Sie eben erwähnten. – Aber so ist es verdammt noch mal höflicher. Auf Wiedersehen, Taft. ---
In den anderthalb Stunden im Flugzeug bemühte sich Taft tatsächlich nicht, Veronika über das Bordtelefon zu erreichen, um etwas zu erklären. Er hielt das Ganze abwechselnd für einen Witz und ein Missverständnis, das nach seiner Ankunft in Paris, sofern überhaupt nötig, leicht genug aus der Welt zu räumen war. Sie würden sich, wie verabredet, am Pariser Flughafen Charles de Gaulle treffen. Von dort würden sie, weil Ticketpreis und Flugzeit günstig waren, bereits drei Stunden später ihren Nachtflug nach Amerika antreten und zwei Wochen durch Kalifornien reisen. Im Halbschlaf zwischen Sicherheitshinweisen und Getränkeservice sah er den Tennisball vor sich durch den Tunnel springen wie eine im Zeitraffer auf- und untergehende Sonne, die einprägsame Stimme – eine Mischung aus dramatischem Sopran und E-Gitarre – noch im Ohr. Nicht mit mir, mein Lieber, nicht mit mir! Dann dachte er Veronika dazu. Ja, sagte sie ins Telefon zu der Fremden, vielleicht stand sie in der Küche oder lag auf dem Sofa, die langen, tiefroten Haare über der Lehne, neben ihr der gepackte Koffer für die Ferien, es wird Sturm geben, wo genau, das kann man natürlich schlecht voraussagen bei derartigen Gewitterwelten über dem Kontinent. Aber Unwetter sind vorhergesagt. Eine schöne Phantasie: Worte der Beruhigung aus Veronikas Mund … Flugzeuge sind stabil, sehen Sie, mein Mann ist auch in der Maschine, ich würde ihn doch nicht einsteigen lassen, wenn ich es für gefährlich hielte oder die Wetterprognose wirklich besorgniserregend wäre, meinen Sie nicht? Taft saß mit einem Glas neuseeländischem Grauburgunder in klimatisierter Flugzeugluft. Der Gewittersturm mit seinen stummen Blitzen und stammelnden Luftlöchern, dieser gramgefüllte Himmel konnte ihm nichts anhaben. Der Tennisball … Dieser Auftritt im grauen Schlauch am Flugzeug – ein Witz! Wie sich die Frau ihren Gefühlen hingegeben hatte ohne Rücksicht auf ihn und sein Telefongespräch, ohne Beachtung von Mitreisenden und ohne Sorge, sich zum Gespött der hartgesotteneren Passagiere zu machen, die eine Schlechtwetterfront nicht fürchteten. Was für ein bedauernswertes, ausgeliefertes Geschöpf! Machtlos gegen innere Gewalten, unfähig jeder Selbstkontrolle.
Später jedoch, als er am Flughafen vergeblich auf Veronika gewartet und schließlich, statt nach Kalifornien zu fliegen, beunruhigt nach Hause in die Rue de la Tour im Sechzehnten Arrondissement gefahren war, sah sich Taft dem Gefühl zum ersten Mal in seinem Leben ebenso bedingungslos ausgeliefert. Die wilde Entschlossenheit der Frau am Flughafen, da war sie wieder, in anderem Gewand, und sie hüllte ihn kalt ein. Eine Entschlossenheit, die er bis dahin für eine literarische, jedenfalls nicht wirklich mögliche gehalten hatte. Die Kommoden und Bücherregale zu Hause leer. Veronikas Kleiderschrank ausgeräumt. Nichts mehr von ihr im Bad, auf dem Schreibtisch, in der Diele. Die grauen Wolken rasten von draußen in jede Leerstelle seiner Wohnung wie Feuer an einer Zündschnur, unter den Türen hindurch, durchs Küchenfenster, hüllten ihn in Rauch und Nebel, nahmen ihm die Luft. Dabei hörte er die bestürzende Stimme wieder, ihren unverschämt vertraulichen Ton, ihre aggressive Unbeherrschtheit, den lichten Aufschrei