Der tadellose Herr Taft. Husch Josten

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Название Der tadellose Herr Taft
Автор произведения Husch Josten
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862800759



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allerdings weniger philosophisch … Verehrte Dame, sofern die Fassade des Chalets in Sils Maria nicht denselben Rostton annehmen soll, wie es die Denkmalpflege für Ihr Sommerhaus in Porto Ercole auf dem Monte Argentario vorsieht, muss sich unverzüglich ein Schreiner der Sache annehmen, und ich empfehle den ortsansässigen Franz Kiernberger, dessen Frau, was für Baubesprechungen von Vorteil ist, Inhaberin des Gasthofs Stern am See ist … Liebe Auftraggeberin, da wir heute über Abwasser aus Ihren Toiletten in Porto Ercole zu sprechen haben, ist die vertraulichere Ansprache meines Erachtens geboten, um dem spröden Thema ein wenig Persönlichkeit zu verleihen …

      Als er bei Sandhurst aufhörte, hakte ich nach. Herr Taft? Oh, normalerweise darf ich keine Auskunft geben, aber da Sie so explizit nach ihm fragen … Er nimmt eine längere Auszeit. Er ist durch die Trennung von seiner Frau aus der Bahn geworfen worden. Sie hat ihn verlassen, von jetzt auf gleich, furchtbar, es ist jedenfalls eine Auszeit auf unbestimmte Zeit, plapperte die Mitarbeiterin bei Sandhurst unter dem Siegel der Verschwiegenheit, woraufhin ich Sandhurst kündigte und meiner Sekretärin auftrug, Taft ausfindig zu machen. Vielleicht war er dazu zu bewegen, sich selbstständig um meine Häuser zu kümmern. Ein paar Monate später legte mir Larissa die deutschen Zeitungsausschnitte über Theorie auf den Tisch.

      --- LOVE FOR SALE: Haben Sie eine Karte, auf der ‚Liebe‘ steht? Eine hochgewachsene Frau mit schmalen Schultern und Hüften, weißer Bluse, langen Beinen in olivgrünen, tarngefleckten Hosen und schulterlangen, blonden Haaren, die wild um ihren Kopf lagen. Ihrer Frage wegen kam ihm sofort Jazz in den Kopf. Love for sale. Wer hatte den Song gespielt, gesungen? Also – am besten gespielt, gesungen? Es waren so viele. Ella Fitzgerald. Shirley Bassey. Oscar Peterson. Er hatte Veronika erst lehren müssen, Jazz zu hören. Bis dahin hatte ihr niemand Jazz nahegebracht, und Jazz kann man nicht einfach hören, hatte er Veronika erklärt an ihrem ersten Abend, man muss ihn hören lernen, sich einhören, sich damit vertraut machen. Also hatten sie sich eingehört. Unermüdlich. Leidenschaftlich. Brad Mehldau vor allem, aber auch Charlie Parker, Bill Frisell, John Coltrane. Veronika liebte Gregory Porter, von dessen Album Water sie nicht genug kriegen konnte. Als er im Olympia-Theater live auftrat, standen sie in der ersten Reihe. Illusion, melancholisch, traurig, ihr Lieblingslied, der Text für Taft nun in anderem Licht. I’ve been trying to find reality a grip on the illusion that I lost you when you left me.

      Ich habe mir jedenfalls vorgenommen, gleich kehrtzumachen und zu gehen, wenn Sie eine Karte verkaufen, auf der ‚Liebe‘ steht, fügte die Frau hinzu. Ihr Gesichtsausdruck lausbübisch. Damit war alles gesagt, befand Taft und antwortete nicht. Sie waren allein im Laden, gegen Mittag. Sie stellte ihre Tasche auf dem Boden ab – eine elegante, schwarze Ledertasche mit kurzem Henkel – und studierte Karte für Karte. Taft konzentrierte sich wieder auf den Intelligenztest auf seinem Computerbildschirm. Mathematische Gleichungen. Er hatte sich angewöhnt, in regelmäßigem Abstand seine Fähigkeiten mit einem solchen Test zu überprüfen. Seit Veronikas Verschwinden zweifelte er ab und zu an seiner Geistesverfassung. Eine Karte mit ‚Liebe‘ wäre enttäuschend, sprach die Kundin gedankenverloren in den Verkaufsraum hinein. Ihre Stimme heiter, gewiss, stattlich. Das müssen Sie einsehen. Dann wäre Ihr Laden nichts als ein Postkartengeschäft und man müsste sich fragen, wieso die Medien derart über Sie berichten.

      Taft sah nur kurz auf.

      Sie drehte sich zu ihm: Womit erklären Sie sich eigentlich Ihren außerordentlichen Erfolg? Sind Sie nicht selbst überrascht davon? So etwas kann man nicht planen. Sie hatten einfach Glück, oder? Eine originelle Idee zur richtigen Zeit, schon fressen Ihnen die Zeitungen aus der Hand. Komisches Land. Es ist alles so offensichtlich.

      Sie setzte die Lektüre der Karten an der schmalen Wand links der Tür fort. ‚Harakiri‘. Er wusste, dass dieses Wort dort hing, irgendwo, erinnerte sich nicht mehr, wie er darauf gekommen war. Er konnte nicht rechnen oder Zahlenreihen fortsetzen, während sie las. Sie bearbeitete das Kartengelände wie ein Pflug das Feld. Saubere, schnurgerade Reihen. Ihr Gesicht fein gezeichnet, weiblich. Unordentliche, freche Frisur. Zarte Gestalt. Sie amüsierte sich beim Lesen hier und da, kicherte leise. Taft wusste genau: Es gab keine Karte mit ‚Liebe‘. No love for sale. Es gab ‚Anziehungsmacht‘ und ‚Kopulation‘, ehrlich und unfeierlich. Selbstverständlich war ihm ‚Liebe‘ in den Sinn gekommen. Daraufhin hatte er eine andere Karte geschrieben. Eine mit dem Wort ‚Bündnis‘. ---

      Schon als junger Mann hatte sich Daniel Taft in Anbetracht des desaströsen Miteinanders seiner Eltern vorgenommen, eine vernünftige Ehe zu führen. Eine, in der einander zugehört und ernst genommen wurde, keine jener Beziehungen, in denen die Beteiligten zum Abziehbild der Vor- oder Unterstellungen des anderen wurden. Zum Abguss der Klischees, an denen man sich – schlimmstenfalls für den Rest des Lebens – abarbeitete. „Du kennst das ja“, fingen solche Unterhaltungen mit beliebigen Koalitionspartnern oft an. Am Ende dann ein „Männer eben“. Oder „Frauen halt“. Möglichst hoffnungslos intoniert. Taft hatte sich lange vor seiner Eheschließung, lange, bevor er seine Frau überhaupt kannte, geschworen, es so weit nie kommen zu lassen. Und es war auch nie so weit gekommen. Stattdessen war sie weg. Verschwunden. Das Warum unablässig in seinem Kopf, lauter, schriller als seine Selbstbeherrschung und alles Selbstvertrauen. Nachts fiel er von Hochhäusern und Klippen, abwärts, immer abwärts. Statt des Aufpralls das Aufwachen. Atemlos. Verschwitzt. Durstig. Er hatte sich der Illusion hingegeben, sie zu kennen, angenommen, dass er aufmerksam gewesen war, verinnerlicht hatte, was sie gesagt, gewünscht, beklagt hatte. Er hatte geglaubt, dass sie glücklich war. Keine Erklärung. Das trieb ihn um, machte alles andere nichtig und unmöglich. Nichts war erheblich. Das Warum schleifte sein Gehirn. Manchmal glaubte er, die Ursache gefunden zu haben. Dann war es, als passe plötzlich alles zusammen, das vorher keinen Sinn ergeben hatte. Als fügten sich ihre Sätze, Gesten, Handlungen zu einer unmissverständlichen Aussage, zu dem einen klaren Hinweis, den er nur früher hätte erkennen müssen. Doch eine schlaflose Nacht später war das Trugbild wieder entlarvt, passte nichts mehr zusammen, blieb alles unordentlich. Er wachte auf aus seinen Alpträumen, schenkte sich aus dem Hahn in der Küche ein Glas kaltes Wasser ein, setzte bedächtig und mühsam wie ein alter Mann einen Fuß vor den anderen, um zurück ins Bett zu gelangen, wo er sich an einem kleinen, tröstlichen Gedanken festhielt: Sie hatte ihn wegen einer anderen Frau verlassen.

      Dies zumindest war, woran er sich klammern konnte – an diese Frau, die der Anlass gewesen war, diese Frau, die Veronika so wenig kannte wie er. Keiner von beiden hatte die Person – gelbblond und kurzhaarig, beleibt, puppengesichtig – jemals zuvor gesehen oder gesprochen. Trotzdem radierte sie einer Naturgewalt gleich aus, was nur ein paar Monate zuvor für haltbar und gut erklärt worden war. Zwischen Veronika und Daniel war alles so grundlegend in Ordnung, ja vielversprechend gewesen, dass sie damit einen Priester behelligt, Schwüre geleistet, Zeugen, Freunde und Verwandte zu einem größeren Fest gebeten hatten, das organisatorisch aufwendig und finanziell nicht unerheblich war. Sie hatten das Café Marly im Louvre gemietet, dessen geräumige, beheizte Terrasse den Blick auf die gläserne Pyramide im Innenhof des alten Königshofes freigab. Als Ehepaar überstrahlten sie ihren winterlichen Hochzeitstag. Sie tanzten und tranken, lauschten dankbar oder respektvoll mehr und weniger talentierten Rednern und nahmen die üblichen Geschenke entgegen: Blumenvasen, Silberschalen, Espressotassen. Sie bedankten sich bei Tanten und Onkeln und Kollegen und Freunden, zwinkerten sich dabei zu; sie gingen früher als alle anderen und fuhren in die Normandie, in Marcel Prousts Lieblingshotel Le Grand Hotel Cabourg, wo sie ihr Zimmer mit Meerblick drei Tage lang nicht verließen und sich so sehr liebten, dass Taft angenommen hatte, es wäre die Besiegelung der Ewigkeit.

      Keiner ihrer Hochzeitsgäste, weder das Hotelpersonal in Cabourg noch der Bräutigam wäre auf die Idee gekommen, ein paar Monate später könnte alles vorbei sein. Natürlich war Taft klar: Die prägnante Stimme der Fremden konnte für Veronika nur der Anlass gewesen sein. Mit der Stimme allein, so bemerkenswert sie war, ließ sich ihr Verschwinden unmöglich begründen. Trotzdem war die Erinnerung an ihren Klang für ihn die Apokalypse. Aus heiterem Himmel – und heiter kam ihm sein Himmel zu diesem Zeitpunkt durchaus vor – zerbarst seine Ehe. Einer Nichtigkeit wegen, eines einzigen Wortes wegen.

      ‚Sturm‘.

      Taft hatte die Dummheit begangen, in der Fluggastbrücke, diesem