Der tadellose Herr Taft. Husch Josten

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Название Der tadellose Herr Taft
Автор произведения Husch Josten
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862800759



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nicht nur Distanz schuf, sondern gleichsam Unsicherheit in den Schrittfolgen des Alltags nach sich zog. Er funktionierte kaum mehr, hatte sich selbst verlernt. Doch einmal entschlossen, kein verblödeter Ignorant zu werden, begann er behutsam, sich wieder einzufädeln. Gegen Ostern. Mit kleinen Notwendigkeiten. Besuchen der Gaststätte am Ende der Alten Straße etwa, die Tütensuppe hieß und von hausgemachtem Erbsen- über Linsen- bis hin zu Kartoffeleintopf alles Dickflüssige servierte. Die Wirtin, Rosalinde, war alterslos, recht korpulent und trug Röcke und Kleider im Stil der 1970er-Jahre, was an ihr eigenartigerweise schick und zeitlos aussah. Sie war ein warmherziges, unbefangenes Geschöpf mit einer Nase für gute Weine, sodass sich Taft bald auf ihre Empfehlungen verließ. Im Tessin hatte sie einen weißen Merlot aufgetan, der ihm besonders gefiel, und nach seinem dritten Besuch stellte Rosalinde, wann immer er kam, zur Begrüßung ungefragt ein Glas davon auf seinen Tisch. In diesen Augenblicken fühlte er sich beinahe beheimatet in der Alten Straße. Es war nicht die Vertraulichkeit der Geste, dem wiederkehrenden Gast sein Getränk zu kredenzen, es war auch nicht der Anblick Rosalindes, die er insgeheim seine Teutonin nannte. Es war das Zusammenspiel des fruchtigen Weinaromas mit dem salzigen Eintopf und die Anschmiegsamkeit der Lärchenholztischplatte unter seinen Fingern, die allabendlich mit Schmierseifenlauge blankgescheuert wurde. All das eine wunderliche, einzigartige Kombination, ungekannt, tröstlich; ein Kontrapunkt in seinem Leben, der nichts mit den Restaurants zu tun hatte, die Veronika zu Hause in Paris oder auf ihren Reisen ausgewählt hatte.

      Mitte April, auf Verkehrsinseln und Grünstreifen erste Maiglöckchen, Iris und Azaleen, wagte sich Taft dann auch in einige Museen. Er zwang sich, die Dinge nicht mit Veronikas Augen zu sehen, verfluchte sich, wenn er, was immer wieder vorkam, ihre Anwesenheit zu wittern, ihre Augen auf sich glaubte, wenn er dann reflexartig den Kopf herumwarf und nach ihr suchte. Erfolglos natürlich. Entwürdigend. Er ging am Fluss spazieren, der vielmehr ein Strom war, ein breiter, stattlicher Metropolenstrom von beeindruckender Schnelligkeit und Gefahr, eine braune Schneise durch die Stadthälften, die mit sieben Brücken zusammengenäht waren. Er durchwanderte Parkanlagen, die wie ein Gürtel um die Stadt lagen. Beachtlich. Weit. Er beobachtete Fahrradfahrer, Jogger, Hundebesitzer, die, eine Karikatur ihrer selbst, mit ihren Tieren sprachen, als erwarteten sie Antwort. Er saß auf Parkbänken, atmete ein und aus, schloss die Augen und hörte der Stadt zu – Autos, Straßenbahnen, Vogelgezwitscher, Stimmen, Wind und Schritte –, freute sich über den Duft von Grün und erstem Flieder und rechtfertigte seine Ausflüge wie zuvor die Restaurantbesuche damit, dass es um Veronikas willen wichtig war, bei Kräften und bei der Sache zu bleiben, dass er nicht ewig Konserven essen konnte, seinen Kopf trainieren, ab und zu an die frische Luft musste. Es ließ sich nicht vermeiden, bei diesen Unternehmungen mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Trotzdem hatte er den Eindruck, Verrat an Veronika zu begehen, wenn er anderen Dingen seine Zeit schenkte, etwa in einem Lokal von einer Speisekarte auswählte, mit einer Gastwirtin über Weine plauderte oder das Wetter schön fand, aufs Rad stieg und zum Museum fuhr.

       Verrat.

      Irgendwann war sich Taft nicht mehr im Klaren darüber, wer wen verraten hatte. Veronika ihn. Oder er sie mit jedem weiteren Tag, den er ungebeten in ihrer Heimat, in ihrem Revier, auf ihren Spuren verbrachte. Er wollte sich weder für das eine noch das andere entscheiden. Denn nur auf diese Weise konnte er der bleiben, der er in den zurückliegenden Wochen geworden war: ein dreißigjähriger, einsamer Mann, der seine Frau zur Flucht getrieben und seine Karriere verspielt hatte, der seine Frau vielleicht sogar – schrecklichster aller Gedanken – an einen anderen Mann verloren hatte. Und zwar an einen ganz anderen Typ Mann. Keinen Taft, keinen Hausmeister, keinen Atheisten und Nichtswisser, keinen fraglos Liebenden. Dabei hatte er sich nichts vorzuwerfen, soweit er es überblicken konnte. Er hatte nichts getan, das unredlich oder unverzeihlich oder unaufmerksam gewesen war. Nichts, das ihre Flucht begreiflich machte. Doch egal, was sie von ihm weggebracht hatte: Wenn sie zurückkam, würde sie keinen anderen als ihn wiederfinden. Daniel Taft. Ihn, wie er gewesen war, bevor sie ihn hatte sitzen lassen. Ihn. Keinen verblödeten Ignoranten. Also war er gezwungen, zu einem gewissen Grad von Normalität zurückzukehren. Er musste sich in Bezug zur Welt verhalten, um derselbe zu bleiben, sein Gehirn beschäftigen, seine Stimmbänder nutzen, eine Unterhaltung führen, seine Wohnung verlassen, seine Muskeln bewegen, um derselbe zu bleiben. Eintopf essen. Merlot trinken. Im Park sitzen.

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