Liebe würde helfen. Claudia Brendler

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Название Liebe würde helfen
Автор произведения Claudia Brendler
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783311702122



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Profile, bis er schließlich doch bei Laura landet, eine Routine, die er sich abgewöhnen muss, aber es ist, als behielte er eine Art Verbindung zu ihr, wenn er ihre Postings kennt. Dann sieht er das Bild. Ein verschwommener, abstrakter Fächer in Schwarzweiß, und etwas in ihm klappt zusammen. Threesome, 12. Woche, hat sie daruntergeschrieben, und einen vor Begeisterung berstenden Emoji dazugesetzt. Ihm wird schlagartig schlecht. Für einen Moment ist er versucht, den Computer zuzuklappen, einfach nicht hinschauen, aber dafür ist es zu spät. »Zu spät«, sagt er halblaut, und dann wühlt er in ihren Bildern nach dem dazugehörigen Mann. Er hat ihn schnell identifiziert, Jan heißt er, dunkle Haare, Koteletten, einer, der auf cool macht. Postet Links zu irgendwelchen Design-Awards und hippen Animationsseiten, na wunderbar, denkt er bitter, so einen hat sie also gewollt. Keinen biederen Juristen wie ihn, einen Lebensversicherungsfuzzi mit Aktenkoffer, so hat sie ihn genannt, erst liebevoll, dann spöttisch und schließlich so abfällig, dass er nicht mehr gewusst hat, wie er weitermachen soll. Jetzt also das Lifestyle-Modell. Jan hat coole Freunde, steht demonstrativ auf Designermöbel und ein futuristisches Sushi-Restaurant. Und auf eine Frau namens Hanne. Zumindest laut seinem Beziehungsstatus. In einer Beziehung mit Hanne Martini. Hanne ist blass, schlank und mindestens fünfzehn Jahre älter als Laura. Das letzte Bild, das sie als Partnerin von Jan ausweist, ist keine drei Monate alt. Er spürt, wie er unkontrolliert zittert, als verselbstständige sein Körper sich. Klick es weg, denkt er, es geht dich nichts an, was sie schon wieder für eine Scheiße fabriziert, aber er kann nicht wegschauen, sondern nur noch genauer hinsehen, auf die Details in Lauras Bildern, seit wann kennt sie diesen Jan? Auf einem Bild sind sie Arm in Arm zu sehen, wahrscheinlich hat der Typ einfach vergessen, seinen Beziehungsstatus zu aktualisieren. Er klickt auf den verschwommenen Fächer, auf die hellen Flecken in der Mitte, und bekommt für einen Moment keine Luft. Am liebsten würde er sofort nach unten rennen, in den Drugstore, aber Conan macht erst um fünf auf, und überhaupt, was sollte er ihm erzählen? Dass er seit einem Jahr Zustände bekommt, wenn er irgendwo Babys sieht, oder Frauen mit Kinderwagen? Dass er Albträume hat und nachts wach liegt, dass er sich nicht erinnern kann, seither nur ein einziges Mal gelacht zu haben? Conan würde ihn anschauen und den Kopf schütteln, sich vielleicht an die Stirn tippen. Is echt ne Schlampe, würde er wahrscheinlich sagen, vergiss sie einfach.

      Er steht auf, geht in die Küche, trinkt ein Glas Wasser. Plötzlich sieht er sie wieder dort auf der Spülmaschine sitzen, das Weinglas in der Hand, und er muss schlucken, damit er nicht zu heulen anfängt. Ob er diesen Jan warnen sollte? Männersolidarität, weißt du eigentlich, was geschehen ist? Aber was würde das ändern? Dieser Jan würde ihm vielleicht einfach auf die Schulter klopfen, tut mir leid für dich, Kumpel, bei uns ist das etwas anderes. Und er stellt sich Laura vor, wie sie Jan die Arme um den Hals legt, genau wie ihm damals, und »Weißt du was?« in sein Ohr flüstert. »Ich will ein Kind!« Er hatte sich bemüht, seinen Schreck zu verbergen: Ein Kind, so früh, sie kannten sich erst ein halbes Jahr. »Bist du sicher?«

      »Ja, ganz sicher. Du bist mein Traummann, und ich will eine Familie. Jetzt.« Sie schien wirklich sehr verliebt, auf eine fast manische Art, aber damals dachte er, das gehöre zu ihrem Wesen, auch der Sex mit ihr war manisch, das hat er irgendwie genossen.

      Er fährt sich mit den Händen übers Gesicht, als könnte er die Gedanken wegwischen. Du musst hier raus. Er putzt sich die Zähne, kämmt sich die Haare, nimmt seine Jacke. Draußen ist es sonnig und schon fast warm, ohne nachzudenken, geht er los, Richtung Innenstadt, erst nach einer Weile wird ihm klar, dass er ein Ziel hat. Kurz bevor er die Markthalle erreicht, spürt er sein Herz klopfen: Was, wenn sie wirklich da ist? Er betritt die Halle von der hinteren Seite, schlendert zwischen den Ständen umher, so gleichmütig er kann, überlegt, ob er Käse kaufen soll, aber er hat das Gefühl, nie im Leben wieder etwas essen zu können. Wie jeden Samstag um diese Zeit drängen sich Menschen am Austern-Stand, Beklemmung schnürt ihm die Kehle zu, er stellt sie sich zwischen ihnen vor, mit einem Glas in der Hand, den Kopf in den Nacken gelegt, lachend. Langsam schiebt er sich durch die Menge, umrundet den Stand, einmal, zweimal, bleibt schließlich davor stehen. Der Kellner sieht ihn mit einem Nicken an, als gäbe es keine andere Option als Zustimmung, also nickt er ebenfalls, reicht dem Kellner einen Schein und nimmt ein Glas entgegen. Und dann steht er da und trinkt Sekt, und der Lärm um ihn herum gerinnt zu einem an- und abschwellenden Pochen.

      Sie war sofort schwanger geworden, hatte ihm aufgekratzt den positiven Test präsentiert, siehst du, das soll so sein. Er hat es den Hormonen zugeschrieben, dass sie sich bald darauf verändert, ihn plötzlich immer kritischer gesehen, ihn immer öfter gemaßregelt hat, und er fragt sich oft, was er hätte tun können, um das Ganze zu retten. Ob sie vielleicht gespürt hat, dass er sich anfangs nicht richtig auf das Kind freuen konnte, unsicher war, ob er das würde stemmen können, eine Familie ernähren und all die Einschränkungen auf sich nehmen? Darüber hat er mit ihr nie geredet, hat versucht, sich nichts anmerken zu lassen und sie zu bestärken, aber er konnte ihr nichts mehr recht machen. Es war, als wäre er auf einmal ein anderer Mann, der falsche für sie, denn so hat sie sich verhalten, er hat das nicht verstanden, bei anderen Frauen wirken sich die Hormone ja auch nicht so aus. Sie hatten es noch niemandem gesagt, das solle man nicht tun, hatte sie erklärt, erst nach dem dritten Monat, erst dann sitze das Kind richtig fest, danach werde sie es publik machen. Währenddessen hat sie sich immer mehr zurückgezogen, und er war fast so weit, sie zu fragen, ob er eine Weile ausziehen soll, er hätte zu Freunden gehen können, vorübergehend, aus Rücksicht auf ihre Befindlichkeiten, aber andererseits wollte er sie in diesem Zustand auch nicht allein lassen, Wasserkisten und so weiter, dabei wurde es immer schwieriger, die Situation zu ertragen.

      Ein Aufschrei, gefolgt von Gelächter. Neben ihm stehen zwei alkoholisierte Frauen, eine hat sich offenbar gerade Sekt über ihre Bluse gekippt, der Stoff klebt nun auf der Haut und zeichnet die Kontur ihres BHs nach. »Miss Wet-T-Shirt«, ruft sie und reckt die Brust nach vorn, ihr Blick bohrt sich kurz in seinen. Auf einmal hat er Lust, nach diesem Busen zu greifen, eine ganz gewalttätige Lust, ihn zusammenzupressen, so fest, dass sie noch einmal schreien würde. Er spürt Druck in seiner Hose und sieht zu Boden. Und dann ist das Bild erneut in seinem Kopf, und er weiß, dass er es nicht mehr loswerden wird: Laura im Nachthemd, auf der Spülmaschine sitzend, mit einem Rotweinglas in der Hand. Er war gerade nach Hause gekommen, hatte ihr das Glas aus der Hand gerissen. »Laura, du bist schwanger, du kannst doch keinen Alkohol trinken!«

      »Spießer«, hatte sie gesagt und verächtlich gelacht. »Natürlich kann ich, ich lasse es eh wegmachen.« Er hielt es für einen ihrer boshaften Zynismen, die sie an den Tag legen konnte, wenn sie niedergeschlagen war. Aber sie meinte es vollkommen ernst. Es sei ein Fehler gewesen, sie hätte ihn einfach nicht gut genug gekannt, sonst hätte sie gleich gewusst, dass es schlecht ausgehen würde. Er war sprachlos. Erst nach einer Weile hat er zaghaft gesagt, es sei auch sein Kind und er freue sich darauf, und in dem Moment, in dem er es gesagt hat, hat er gespürt, dass es die Wahrheit war, dass er sich tatsächlich auf dieses Kind freute, doch da war es schon zu spät. Sie hat es durchgezogen, entgegen seinen Einwänden, seinen Warnungen, seinen Bitten, seinem Flehen. Sie hat es durchgezogen. Hat eine Beratung gemacht und dann die Abtreibung, als wäre das kein Kind, sondern eine Waschmaschine oder eine Urlaubsreise, deren Bestellung man storniert, wenn man es sich anders überlegt hat. Ein paar Tage haben sie noch zusammengewohnt, aber kaum mehr miteinander gesprochen. Alles war tot zwischen ihnen, so tot wie das Kind.

      »Hey, was ist denn mit dem los?« Er hebt den Kopf, die beiden Frauen sehen ihn übertrieben mitleidig an. »Traurig?«

      Er weiß keine Antwort, leert sein Glas in einem Zug, stellt es ab und verlässt die Markthalle. Ziellos läuft er durch die Stadt, am liebsten würde er sich ins Bett legen und bis zum Montagmorgen durchschlafen, aber er weiß, dass er nicht schlafen kann, er kann nicht einmal in seine Wohnung, diese Wohnung, aus der sie ausgezogen ist, kurz nachdem sie Fakten geschaffen hatte. Er holt sein Handy aus der Tasche, schreibt Steffi, dass er zu ihr kommen wird, starrt auf die Häkchen, aber sie werden nicht blau. Er spürt den Alkohol, du musst etwas essen, aber er bringt es nicht fertig, eine der zahllosen Bäckereien zu betreten und sich ein Stück Blechpizza zu kaufen, am liebsten will er jetzt und sofort zu Steffi gehen, mit ihr kochen, essen, bei ihr sitzen. Er schaut auf das Handy, aber die Nachricht ist noch immer ungelesen. Er ruft sie an, es dauert, bis sie abnimmt, im Hintergrund ist Musik zu hören.

      »Wo bist