71/72. Bernd-M. Beyer

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Название 71/72
Автор произведения Bernd-M. Beyer
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783730705483



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2:0 gegen Hannover 96 und zeigt ein Potenzial für höhere Ziele. (In dieser Saison belegt der Aufsteiger am Ende Tabellenplatz 13 und in den folgenden beiden Spielzeiten jeweils Platz drei.)

       ***

      Unter den Rasen der Bundesligastadien ticken Zeitbomben, und nicht wenige Spieler wissen, dass die Schockwellen von Canellas’ Gartenparty auch sie erreichen können.

      Inzwischen hat der Kickers-Präsident vor dem DFB-Kontrollausschuss ausgesagt, wie es so zuging bei den Deals. Vor allem die Übergabe von 100.000 Mark an Manfred Manglitz war problematisch, weil der Kölner Keeper das Geld schon vor dem Spiel – und der versprochenen Niederlage – gegen Offenbach haben wollte. Für eine neutrale Zwischenlagerung verfiel man auf die kuriose Idee, einen Tresor mit zwei Schlössern zu suchen. Als man keinen fand, diente Manglitz’ Lebensgefährtin als neutrale Zone.

      Über was Canellas noch so plaudert: Oberhausens Präsident Maaßen sei unmittelbar vor einem Spiel zu ihm gekommen und habe im beiderseitigen Interesse eine Punkteteilung angeboten. Oder: Herthas Präsident Holst habe 100.000 Mark ausgelobt, falls Canellas die Transferliste so „arrangiere“, dass die Kremers-Zwillinge auf jeden Fall nach Berlin kämen. Und: Ein Abgesandter von Schalke 04, Schatzmeister Heinz Aldenhoven, habe für die Zwillinge 100.000 Mark geboten, plus einen Offenbacher Sieg im bevorstehenden Spiel gegen Schalke. Laut Canellas habe Aldenhoven zugesichert, „dass wenigstens einige Spieler von Schalke so spielen würden, dass wir gewännen“. Von diesem Angebot, so Canellas, habe er umgehend dem DFB berichtet.

      Justiz und DFB sehen sich genötigt, nun regelrechte Ermittlungen aufzunehmen; bei den Fußballern liegt die Angelegenheit beim Vorsitzenden des Kontrollausschusses, Hans Kindermann. Allerdings müht sich der DFB, die Sache klein zu halten, und lässt verlauten: „Es gibt keine Affäre Bundesliga, es gibt nur eine Affäre in der Bundesliga.“ Rudolf Gramlich, Vorsitzender des DFB-Bundesligaausschusses, verspricht: „Das mit dem Canellas biege ich schon gerade. In ein paar Wochen spricht kein Mensch mehr über den Fall.“ Gramlich war im Mai von Canellas gebeten worden, den letzten Spieltag der Saison auszusetzen, weil einige Spiele vorab verschoben seien. Der DFB-Mann hatte abgelehnt.

      Die beschuldigten Sünder wiederum geben sich phantasievoll. Manglitz behauptet, er sei nur zum Schein auf die unlauteren Angebote eingegangen, und kündigt Beweise an, „die den Canellas-Vorwurf wie eine Seifenblase platzen lassen werden“. Und: „Der kann was erleben.“ Die Herthaner Patzke und Wild haben sich die Erklärung ausgedacht, sie hätten Canellas nur veräppeln wollen. Oberhausens Präsident Peter Maaßen spricht von „ausgemachten Gemeinheiten“ und kündigt eine Klage an: „wegen Rufmord“. Und der Schalker Vorstand will ebenfalls gegen Canellas klagen, falls der sich nicht für seine Vorwürfe entschuldige.

      Was von solchen Dementis zu halten ist, weiß Richard Kirn, graue Eminenz der deutschen Sportjournalistik, der seit mehr als 40 Jahren über den deutschen Fußball schreibt: „Wir haben es ja x-mal bei Verhandlungen vor Sportgerichten erlebt, dass Männer, die sich schämen würden, ihrer Sekretärin einen Bleistift zu stehlen, mit kalter Stirn ableugneten, was gar nicht abzuleugnen war. Wer einmal ein wenig ins Vereinsleben hineingerochen hat, weiß, dass ein richtiger Fanatiker imstande ist, für seinen Verein Häuser anzuzünden, wenn der Verein die Versicherungssumme braucht.“

      Für viele Fußballfans ist dagegen Canellas der Sündenbock. Im „Kicker“ schreibt ein Leser: „Vielleicht wäre unsere Fußballwelt noch in Ordnung, gäbe es nicht ‚die Canellas‘, die den Stars Angebote machen.“ Im eigenen Verein, bei den Offenbacher Kickers, wird er zum Rücktritt gedrängt. „Der Verein will Frieden mit dem DFB schließen“, meldet die „WAZ“.

      „Kicker“-Chefredakteur Karl-Heinz Heimann dagegen bricht eine kleine Lanze für Canellas: „Es wäre zwar das Bequemste, nicht aber das in dieser Situation Angebrachte, auf ihn mit Fingern zu zeigen und ihn zum allein schuldigen Buhmann zu machen.“ Das wäre es tatsächlich. Immerhin hat Canellas bereits vor dem letzten Spieltag mindestens drei DFB-Offiziellen von seinen Ermittlungen berichtet: neben Gramlich noch dem DFB-Ligareferenten Wilfried Straub sowie dem DFB-Generalsekretär Hans Paßlack. Doch seine Tonbänder mochte damals niemand anhören. Straub beschied ihm: „Ich kann doch nicht jede Biertischunterhaltung ernst nehmen.“ Und Paßlack brummelte: „Alles nur vage Vermutungen.“ Auch Canellas’ Forderung, den DFB-Ermittler Kindermann einzuschalten, will zunächst niemand nachkommen. Das geschieht erst, nachdem er im Alleingang an die Öffentlichkeit gegangen ist. Als Flankenschutz hat sich Canellas die Unterstützung der mächtigen „Bild“-Zeitung gesichert: Er lässt deren Redakteur exklusiv die gesamten 13 Stunden Bandaufzeichnungen von Schmiergeldverhandlungen abhören. Nun fordert das Blatt balkendick: „Weg mit solchen Gaunereien“.

       ***

      Noch im Juni 1971 ergehen die ersten Urteile. Manglitz und Wild werden auf Lebenszeit, Patzke auf zehn Jahre gesperrt. Außerdem muss Manglitz eine Geldstrafe von 25.000 Mark zahlen; die Bundesligakarriere des Kölners, zu diesem Zeitpunkt mit 256 Einsätzen Rekordhalter, ist damit zu Ende. Bei allen Spielern sieht es das DFB-Sportgericht als bewiesen an, dass sie sich bestechen ließen. Nur wenn die versprochenen Spielmanipulationen fehlschlugen (beispielsweise verlor Köln dann doch nicht gegen Offenbach), floss in einigen Fällen kein Geld.

      Doch auch Kickers Offenbach wird im Schnellverfahren bestraft. Präsident Canellas darf auf Lebenszeit kein Amt im Fußball mehr ausüben, zwei seiner Vorstandsmitglieder auf drei Jahre. Das DFB-Gericht kommt zu dem Schluss, von Canellas sei „ein Gebäude der Vielseitigkeit aufgezogen worden, das es erlauben sollte, nach allen Richtungen hin offen zu bleiben, und zwar je nach Erfolg oder Misserfolg der eigenen Handlungen und dem Ausgang der Bundesligaspiele des letzten Spieltags am 5.6.1971.“ Was ziemlich weltfremd erscheint, denn Canellas hat so viele Personen in seine Aktionen eingeweiht, beispielsweise auch Nationalspieler Wolfgang Overath, dass sie nachträglich kaum unentdeckt geblieben wären.

      Die Sanktionen gegen Offenbach werden in der Öffentlichkeit teilweise scharf kritisiert. Der „Kicker“ spricht von einem „Standgericht“ und moniert, das Verhalten der DFB-Verantwortlichen sei nicht hinterfragt worden: Von Canellas informiert, forderten sie von ihm weitere Beweise, statt selbst aktiv zu werden. „Ich brauche nicht die Leiche zur Polizei zu bringen, um einen Mord zu melden“, kommentiert „Kicker“-Redakteur Wolfgang Rothenburg. In der „Süddeutschen Zeitung“ spricht Ernst Müller-Meiningen jr. von „unzureichenden Statuten“, „unzulänglicher Gerichtsbarkeit“, „unbedarften Funktionären“, kurzum von einem „geradezu kriminellen Dilettantismus“. ARD-Sportmoderator Hans-Joachim Rauschenbach hält die Erklärungen des DFB für „so glaubwürdig wie die Behauptung, dass Arsen nützlicher für Kinder sei als Eiscreme“. Und Richard Kirn schimpft: „Für ganz und gar unmöglich halte ich die Verurteilung Horst Canellas’, die ist schon beinahe grober Unfug. Der DFB konnte nie über seinen Schatten springen.“

      Chefermittler Hans Kindermann wiederum klagt, dass „man jetzt instinktlos auch über uns herfällt, die die mehr als traurige Pflicht haben, den ganzen Dreck wegzukehren“. Seine Untersuchungen gehen weiter und erfassen in den folgenden Wochen immer mehr Spieler und Vereine. Bald ist die Sache so verästelt, dass die „Bild“ ihren überforderten Lesern über drei Ausgaben ein „Lexikon des schmutzigen Fußballs“ bietet, damit sie den Überblick behalten. In Stuttgart beispielsweise gesteht VfB-Spieler Hans Arnold, er habe für eine 0:1-Niederlage 45.000 Mark von Arminia Bielefeld erhalten und mit zwei weiteren Kollegen geteilt. Seine Geschichte verkauft er gleich exklusiv an das Boulevardblatt: „So wurde ich bestochen“. Kurzzeitig geraten auch die Bayern in Verdacht; MSV-Torhüter Volker Danner behauptet, die Münchner hätten ihm 12.000 Mark für eine Niederlage geboten. Namen aber kann oder mag er nicht nennen.

      Mitte August muss Waldemar Slomiany, früher Schalke, heute Bielefeld, als Zeuge vor dem DFB-Gericht aussagen. Es geht um eine Begegnung am 28. Spieltag der Vorsaison. Da hat Schalke 04 ganz überraschend gegen die abstiegsbedrohte Arminia aus Bielefeld mit 0:1 verloren. Schon damals machen dunkle Gerüchte die Runde. Was ihr ehemaliger Mannschaftskollege jetzt aussagt, erfahren die Schalker Spieler noch nicht. Doch sie haben allen Grund, sich Sorgen zu machen.

       ***

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