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die 2:4-Niederlage und damit den Abstieg. Canellas ist nicht gewillt, es dabei bewenden zu lassen.

      Der Importkaufmann für Südfrüchte ist ein ehrgeiziger Mann. 1964 hat er das Präsidentenamt der Kickers übernommen, einen sechsstelligen Schuldenbetrag gelöscht und versprochen, jenes Unrecht von 1963 zu tilgen, dem Verein einen Platz in der neuen Bundesliga zu verwehren. Im Stadion sieht man den Präsidenten, nervös an seiner Zigarette ziehend, an der Seite illustrer Trainer wie Rudi Gutendorf oder Zlatko Cajkovski, die er meist nach ein paar Monaten wieder feuert. Kickers Offenbach steigt zwar 1968 in die Bundesliga auf, doch Fuß fassen kann der Verein dort vorerst nicht. Zweimal geht es nach nur einem Jahr Erstklassigkeit wieder abwärts; der Gewinn des DFB-Pokals 1970 bringt nur wenig Trost. Und allmählich glaubt Canellas zu wissen, wie in der Bundesliga gespielt wird: nämlich falsch.

      Zum Ende der Saison 1970/71, als sich der Abstiegskampf zuspitzt, werden ihm von Spielern und Funktionären anderer Vereine seltsame Angebote angetragen: Was es den Kickers wert sei, auswärts zu gewinnen, auf Schalke beispielsweise, oder in Köln. Mit Offenbachs Konkurrenten im Abstiegskampf, Arminia Bielefeld, so hört er, habe man schon interessante Deals abgewickelt. Canellas unterrichtet Mitte Mai mehrere DFB-Funktionäre von diesen Vorgängen, doch die zeigen wenig Neigung, den Vorwürfen nachzugehen. Und das, obwohl Gerüchte darüber schon länger existieren. Die „Bild“-Zeitung, immer an Skandalen interessiert, hat Wochen vorher als Erste von „Schiebung am Tabellenende“ geraunt, vorsichtshalber mit einem Fragezeichen dahinter.

      Der DFB stellt sich taub, also wird der Vereinspräsident selbst aktiv, und die Ergebnisse der Recherchen will er am 6. Juni auf seiner Gartenparty präsentieren. Die Auswahl der Gäste garantiert, dass die Bombe nicht ungehört hochgeht: Prominente wie Bundestrainer Helmut Schön und Ligasekretär Wilfried Straub sind darunter, ebenso eine größere Anzahl Journalisten.

      Vormittags ab elf Uhr trudeln die Gratulanten ein, eine gute Stunde später ruft Canellas sie zusammen und verkündet: „Meine Herren, ich muss Ihnen sagen, dass mein Verein, die Offenbacher Kickers, durch Betrug aus der Bundesliga abgestiegen ist.“ Er gibt einem Mitarbeiter den Wink, auf den Abspielknopf des Tonbandgerätes zu drücken. „Und nun, meine Herren, hören Sie mal.“ Die Herren hören undeutliche Stimmen einiger Telefonmitschnitte. Es geht um zwei entscheidende Partien des vorangegangenen letzten Spieltags, 1. FC Köln gegen Kickers Offenbach und Hertha BSC gegen Arminia Bielefeld. Am einen Ende der Leitung spricht Canellas, am anderen Ende vernimmt man prominente Bundesligaspieler.

      Unverkennbar die Stimme des Kölner Nationaltorhüters Manfred Manglitz, bekannt als Großmaul „Cassius“; Bundestrainer Schön erkennt den Tonfall sofort. Manglitz verlangt für einen Offenbacher Sieg in Köln 100.000 Mark, für sich und fünf Mitspieler. Doch er weiß nicht so recht, wen er in seiner Mannschaft noch einweihen soll. Jupp Kapellmann jedenfalls nicht: „Der ist 20 Jahre, und ich habe nicht gerne in so ’ner Sache so grüne Jungs, die quatschen mir zu viel, verstehen Sie das?“ Den Ersatztorhüter Soskic, der gegen Offenbach eingesetzt wird, auch eher nicht: „Das ist ein Jugoslawe, Sie kennen die Jugoslawen …“ Und den Mannschaftskapitän Wolfgang Overath schon gar nicht: „Der wurde böse.“

      Eindeutige Angebote hört man in einem anderen Telefonat von den Hertha-Spielern Bernd Patzke und Tasso Wild, die den Offenbacher Präsidenten offenbar im Bieterwettstreit mit Arminia Bielefeld sehen. Sieg oder Niederlage gegen die Bielefelder, das ist für sie eine Frage des höheren Gebots. „Ich habe einen duften Vorschlag“, sagt Wild. „Weil es Offenbach ist und ohne Kuhhandel hin und her: 140, und die Sache ist für Sie in Ordnung.“ Allerdings wolle man das Geld vorher sehen, also müsse jemand mit einer Tasche voller Banknoten anreisen. „Dann stellt der sich mit irgendeinem Verbindungsmann von mir auf die Stehränge oder sonst w ohin. Ist das Spiel gewonnen, wechselt die Tasche den Mann.“ „Ja“, antwortet Canellas auf dem Band. Und Wild: „In der Tasche ist Geld – und geht leer zurück. Ist das fair?“

      Als das Band abgelaufen ist, verlässt Helmut Schön entsetzt das Gartenfest, und die Journalisten eilen an die Telefone. Die meisten sind überzeugt, dass die ganze Wahrheit noch weitaus schlimmer sein wird und der DFB eine rechtzeitige Aufklärung verschlafen hat. Im ARD-Fernsehen empört sich einige Tage später Kommentator Dieter Gütt in Richtung Fußballbund: „Hinter der beflissenen Absicht, die Korruption in den eigenen Reihen auszutreten, verbirgt sich ein Chimborasso an Unfähigkeit, Kriminalität, Geldgier und Anmaßung. Eingeweihte sagen heute: Die Bestechungen liefen schon seit Jahren. Erst jetzt habe sich durch die Selbstenthüllung des Offenbacher Vereinsfürsten die Schleuse geöffnet.“ Gütt wütet: „Auch das Fernsehen wird sich überlegen müssen, ob es solchen kriminellen Unsinn, der sich Fußball nennt, noch weiterhin übertragen soll.“

      Der DFB reagiert: Er verklagt den renommierten Journalisten wegen übler Nachrede und verlangt den Widerruf seines „publizistischen Amoklaufs“ (unterliegt später jedoch vor dem Landgericht München in fünf von sechs Klagepunkten). Dunkel droht der Fußballbund damit, die Zusammenarbeit mit der ARD aufzukündigen. Es ist wie so oft: Zunächst wird alles vehement geleugnet und werden die Überbringer der schlechten Nachrichten gegeißelt. In diesem Fall fällt vor allem Canellas die Rolle als dubioser Nestbeschmutzer zu. Ihm schwant schon nach wenigen Tagen, wie die Sache gedreht werden soll: „Nicht die Sünder haben gesündigt, sondern ich, der Präsident des OFC, der die Dinge ans Licht gebracht hat.“

      Canellas gräbt weiter und findet neue Indizien. Nach und nach wird das erstaunliche Ausmaß des Skandals bekannt. Die Aufklärungsarbeit liefert in den folgenden Monaten den Blues zum glamourösen Geschehen auf dem Rasen.

       ***

      Der bundesdeutsche Fußball produziert seine bis dahin größte Krise just in dem Moment, da er sich spielerisch in grandiose Höhen aufschwingt. Denn ein historischer Zufall hat es arrangiert, dass die erste echte Profigeneration zugleich auch die talentierteste und die selbstbewussteste ist. Diese Generation ebenso junger wie forscher Individualisten hat das Image des biederen Herberger-Fußballs gründlich entstaubt und revolutioniert. Vorbei die Zeit, da sich solide Handwerker wie Werder Bremen oder Eintracht Braunschweig die Deutsche Meisterschaft ermauern konnten. Protagonisten wie Franz Beckenbauer oder Günter Netzer schaffen auf dem Platz eine neue Spielästhetik, in der manche Intellektuelle den Geist von Freiheit und Rebellion verkörpert sehen, der seit Mitte der sechziger Jahre die Bundesrepublik durchweht. Die alte Garde der Funktionäre und Trainer, die noch im Nationalsozialismus sozialisiert wurde und sich oft entsprechend gibt, scheint zum Ewiggestrigen verbannt. Ein Buch über Netzer, das 1971 erscheint, heißt „Rebell am Ball“, eines über Beckenbauer zur gleichen Zeit „Gentleman am Ball“. Auf den Fußballplätzen und jenseits davon wachsen Träume von einer leichteren, zwangloseren, schöneren Zukunft.

      Der Publizist Norbert Seitz findet dies alles symbolträchtig aufgeführt im Dribbling des Reinhard Libuda, mit dem der „Stan“ im Länderspiel gegen Schottland seinen Siegtreffer einleitet und die Nationalelf zur WM-Endrunde 1970 befördert: „Jener magische Slalomlauf wurde zum symbolischen Startsignal des euphorischen Aufbruchs in Bonn wie der Himmelsstürmerei in Mexiko im Jahr darauf. Eine neue Ära hub an, Deutschland sehnte sich nach Abenteuern, verdrängte Utopien wurden wach. Reformvisionen und Ballästhetik bezauberten langsam die Gemüter in einer bis dahin konservativen und defensiven Republik. ‚Mehr Demokratie wagen‘ verhieß spielerischen Offensivfußball.“ Seitz formuliert das im Jahr 1987 in seinem Buch „Bananenrepublik und Gurkentruppe“, wohl wehmütig rückblickend, denn zu diesem Zeitpunkt geht die Kohl’sche Kanzlerschaft in ihr fünftes Jahr und in eine schier unendliche Zukunft. Da sucht man Trost in schwärmerischer Nostalgie. 1971, man erinnert sich, ist die Regierung Willy Brandt gerade erst seit zwei Jahren im Amt und beginnt damit, das muffig-konservative Milieu der Adenauer-Ära mit seinen autoritären Strukturen und seiner bigotten Moral gründlich zu durchlüften.

      Getragen, geschoben und kritisch begleitet wird die Brandt-Regierung von einem Mix aus rebellischer Jugend, liberalem Bürgertum und selbstbewussten Gewerkschaften. Vielen von ihnen geht die sozialliberale Reformpolitik nicht weit genug und zu zögerlich an die Ursachen von Krieg und sozialer Ungleichheit. Vor allem in den großen Städten der Bundesrepublik entsteht eine kulturelle und politische Subkultur, die herrschende Normen ignoriert und neue Wege der Selbstverwirklichung sucht. Im Dschungel