71/72. Bernd-M. Beyer

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Название 71/72
Автор произведения Bernd-M. Beyer
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783730705483



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einen Porsche 911, einen Ferrari Dino, einen Ferrari Daytona. Von seinem Jaguar existieren nur noch wenige Aufnahmen. Mit seinen späteren Flitzern ließ Netzer sich fotografieren, als wären sie die schönsten Frauen.“

      Nicht alle Profikicker können sich solches Edelblech leisten. Schon Netzers Mannschaftskollege Siegfried Zoppke, der meist auf der Bank sitzt, steuert mit dem 30 PS schwachen Renault 4 lediglich eine damals beliebte Studentenkutsche. Die Kremers-Zwillinge besitzen zwar einen flotten Porsche, aber eben nur einen, den sie brüderlich teilen müssen. Während Schalkes Kapitän Libuda immerhin einen Mercedes 200 sein stolzes Eigen nennt, kurven beim klammen BVB auffällig viele Spieler mit einem simplen Volkswagen herum. Auch bei der Düsseldorfer Einheitslohn-Fortuna steht mit Stammkeeper Wilfried Woyke ein Käfer-Fahrer im Tor und mit Fred Hesse in der Defensive einer der biederen Opel-Besitzer.

      Bei den Bayern dagegen ist Rainer Zobels Simca ein einsamer Ausrutscher in PS-schwache Gefilde; seine Kollegen leisten sich allesamt großkalibrige Hubräume, vorzugsweise aus den Bayerischen Motoren-Werken. Sozialist Breitner sieht in seiner feinen Karosse „kein Wohlstandssymbol, sondern ein Hobby“ und daher keinen Widerspruch zu „meiner Gesinnung“. Auch sein Kumpel Uli Hoeneß wird von einem Reporter gefragt, warum er solch ein teures Auto fahre. Der 19-Jährige hält das für „eine sehr polemische Frage“, bemüht sich aber um eine abgeklärte Antwort: „Ich habe keine Zeit, den Dingen zu frönen, die Jugendliche normalerweise tun, nämlich abends wegzugehen, etwas mehr zu trinken wie üblich, und da ist eigentlich das Auto das Einzige, was man so hat, um gewissen Leidenschaften zu frönen.“

      Ähnlichen Trieben folgt Karl-Heinz „Charly“ Mrosko, gerade von den Bayern in die Zweitklassigkeit zum Nürnberger „Club“ gewechselt. Für ein Interview brettert er im Juni 1971 mit einem „Kicker“-Journalisten durch München und erzählt am Steuer seines schnittigen BMW 2800: „Autofahren ist eine meiner Leidenschaften. Schnelles Autofahren… Ich möchte gerne mit jenen Herren diskutieren, die veranlasst haben, dass man auf der Schnellstraße Freising – München nur 120 fahren darf.“ Und der Journalist notiert bewundernd: „Das Getriebe heult auf. Der Tritt aufs Gaspedal galt wohl jenen Herren.“ Der fixe „Charly“ am Steuer plaudert zufrieden weiter: „Ja, ich habe Erfolg bei Frauen. Warum, weiß ich eigentlich selbst nicht. Ich bin doch so furchtbar unstetig. Außerdem stelle ich irrsinnig hohe Ansprüche an das weibliche Geschlecht – zu hohe wahrscheinlich.“

      Mrosko sagt gerne und oft seine Meinung, weshalb er auch in München Ärger bekommen hat. Seltsamerweise gerät er damit in den Verdacht des politischen Revoluzzertums. Die Medien erfinden für Mrosko die Bezeichnung „linker Vogel am rechten Flügel“. Das allerdings behagt ihm gar nicht: „Das ist doch wirklich das Letzte, was man von mir behaupten kann! Ich sage doch wirklich immer, was ich mir denke. Also kann ich auch kein linker Vogel sein.“

      Revierderby, wieder mal ausverkaufte Glückauf-Kampfbahn und eine aufgeheizte Stimmung. Den Dortmunder Block überrascht die Polizei mit einer Razzia, ihre Ausbeute: eine Gaspistole, ein Dutzend Totschläger, zwei Dolche sowie vier Schlagketten mit schwarz-gelbem Griff. Seit dem Januar 1970, als BVB-Fans nach einer Heimniederlage in der eigenen Roten Erde gewütet und die Gäste aus Kaiserslautern angegriffen haben, gelten Teile des Borussen-Anhangs als Problemfans. Beim Derby in Gelsenkirchen bleibt es nach der Polizeiaktion auf den Rängen weitgehend gewaltfrei.

      Auf dem Rasen gewinnt Schalke 1:0 gegen einen defensiv aufgestellten BVB, doch es ist ein schwaches Spiel. Einer der wenigen, die eine gute Leistung zeigen, ist der Schalker Aki Lütkebohmert, der auch den Treffer erzielt. Mit dieser Niederlage sind die Dortmunder auf den drittletzten Tabellenplatz abgerutscht, hinter ihnen rangieren punktgleich nur noch Arminia Bielefeld und Hannover 96.

      In Dortmund geht die Abstiegsangst um. Dabei ist es erst ein paar Jahre her, dass man ganz oben stand. Meister 1963, Europacup-Gewinner der Pokalsieger 1966, der erste europäische Erfolg eines deutschen Vereins überhaupt. Doch die große Mannschaft kann nicht beisamme ngehalten und personelle Verluste können nicht kompensiert werden. Auch Erfolgstrainer Willi „Fischken“ Multhaup geht, weil der 1. FC Köln ihm ein besseres Angebot macht. Die ehrwürdige Rote Erde lässt keine großen Zuschauereinnahmen zu, und die Vereinsführung scheut jedes finanzielle Risiko. So beginnt eine fatale Abwärtsspirale: Die Leistungen auf dem Platz werden schlechter, die Lücken auf den Rängen größer. Zur Saison 1971/72 beschränkt sich der Verein bei Neuverpflichtungen vornehmlich auf Kicker aus dem Amateurlager. Damit ist der BVB, wie Vereinshistoriker Dietrich Schulze-Marmeling schreibt, „praktisch von vornherein zum Abstieg verurteilt. Auch Trainer Witzler muss bereits vor dem Anpfiff des ersten Spiels Böses geahnt haben. Jedenfalls soll er dem Vorstand gegen die Zahlung von 50.000 Mark seinen freiwilligen Rücktritt angeboten haben.“

       ***

      Die Bayern verbuchen ein 2:0 und damit „einen verdienten Sieg auf dem von ihnen so sehr gefürchteten Betzenberg“, wie der „Kicker“ notiert. Die Fans der Roten Teufel hegen eine tiefe Antipathie gegen den FC Bayern; die Stimmungslage erinnert an das Revierderby. Beckenbauer sieht auf dem Betze „das Wildwest des deutschen Spitzenfußballs“, und „Bulle“ Roth erzählt später: „In Kaiserslautern spürte man den Hass. Wenn man da zu nah am Zaun stand, konnte es passieren, dass ein Zuschauer einen mit dem Schirm durch die Absperrung stach.“ Manchmal sei ihm „Angst und Bange“ geworden, „dass die einen abstechen“.

      Diesmal sorgt Bayerns Manager Robert Schwan für Verärgerung in der Pfalz: Er erklärt vor dem Spiel, er werde den Anpfiff verhindern, „falls sich auch nur ein Zuschauer im Innenraum des Stadions befinden sollte“. So etwas mag man in der Pfalz nicht hören, doch Schwans Sorge ist unbegründet: Die Gastgeber zeigen sich versöhnlich, gratulieren dem Kaiser zu seinem 200. Bundesligaspiel mit einem Blumenstrauß, und auch die Zuschauer, so der „Kicker“, „schwenkten mit prasselndem Beifall auf diese Linie kavaliersmäßigen Verhaltens ein“.

       ***

      „Wenn sich die neuen Beschuldigungen als richtig erweisen sollten, dann kommt auf den deutschen Fußball eine Lawine an Schmutz und Unrat zu, die alles bisher Bekannte weit in den Schatten stellt.“ So finster kommentiert der „Kicker“ die Aussagen von Horst-Gregorio Canellas in seiner Berufungsverhandlung vor dem DFB-Bundesgericht. Canellas, der gegen seine lebenslange Sperre prozessiert, hat sich mittlerweile einen prominenten Rechtsbeistand geholt, den bekannten Anwalt Dr. Josef Augstein, älterer Bruder des „Spiegel“-Herausgebers. Den setzt das DFB-Gericht umgehend wieder vor die Tür: Nicht zugelassen, weil er keinem Fußballverein angehört. „Wenn das nicht schizophren ist, dann weiß ich nicht, was schizophren sein soll“, schreibt ungewohnt bissig der junge „WAZ“-Sportchef Hans-Josef Justen über den Rauswurf.

      Verhandelt wird erneut über die Schlussphase der vorigen Saison, zunächst die Spiele von Eintracht Braunschweig. Deren Kapitän Lothar Ulsaß tauchte auf Canellas’ Tonbändern auf, weil er mit dem Kickers-Präsidenten über saftige Prämien verhandeln wollte, die ihn und seine Mitspieler zum Sieg gegen einen Abstiegskonkurrenten anspornen sollten. Rechtlich ist umstritten, ob eine Siegprämie von dritter Seite überhaupt verboten ist. Die Statuten sagen darüber nichts aus, die anwesenden DFB-Vertreter sprechen ein wenig ratlos von „äußerst unsportlich und bedenklich“. Ulsaß, der bereits vorläufig gesperrt ist, lässt sich die Steilvorlage nicht nehmen: „Wenn die Funktionäre schon nicht genau Bescheid wissen, dann sollen ausgerechnet wir Fußballer uns in den Paragraphen auskennen. Wir sollen die Satzung wohl unterm Strumpf als Schienbeinschoner tragen …“

      Nicht ums Gewinnenwollen, sondern ums eindeutig illegale Gewinnenlassen geht es im Fall Hertha BSC gegen Arminia Bielefeld. Canellas will über Beweise verfügen, dass der Bielefelder Arminia-Funktionär Wilhelm Pieper, ein reicher Möbelfabrikant, mit 250.000 Mark in der Tasche nach Berlin gefahren sei, um damit einen Arminen-Sieg zu erkaufen. Hertha-Spieler Tasso Wild habe das Geld in Empfang genommen und an die gesamte Mannschaft verteilt. Natürlich gibt Pieper prompt sein „Ehrenwort“, dass dies alles „frei erfunden“ sei und „aus dem Land der Fabel“ stamme. Auch Herthas Torhüter Volkmar Groß versichert, er habe ein „reines