Название | Eine Spur von Glück |
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Автор произведения | Monika Hinterberger |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783835345393 |
Die Szene lässt mich an die Zeit griechischer Klassik denken, als das Lesen weitgehend ein Gemeinschaftserlebnis war, als literarische Texte aus Buchrollen vorgetragen wurden, sei es in einer größeren Öffentlichkeit, in kleinerer Gesellschaft oder auch zu zweit wie hier am Beispiel der beiden Frauen. Das Lesen für sich allein nahm im Leben des antiken Menschen erst allmählich größeren Raum ein, wobei das individuelle Lesen noch lange Zeit ein mehr oder weniger lautes Sichvorlesen bedeutete, zumindest literarischer Texte. Das Alleinsein mit der Lektüre, das stille Sichvertiefen in einen Text, wie wir es heute kennen, begann in hellenistischer Zeit gebräuchlicher zu werden, gleichwohl wurde das gemeinsame Hören und Lesen von Literatur noch über Jahrhunderte hinweg beibehalten.
Von einem solchen Moment erzählt das Wandbild aus Pompeji, von einem Moment der Begegnung zweier Frauen, im Gespräch über ihre Lektüre. Ich geselle mich zu ihnen, versuche ihnen zuzuhören, ihre Zusammenkunft zu ergründen, mich ihrer Lebenssituation im ersten nachchristlichen Jahrhundert zu nähern.
Geschichtliche Streifzüge
Zwischen den beiden Frauen aus Pompeji und der lesenden Athenerin auf der kleinen attischen Vase des 5. vorchristlichen Jahrhunderts liegt ein Zeitraum von fünfhundert Jahren. Eine Zeit, die der antiken Welt ein vollkommen neues Gesicht gab.
Griechische Kunst und Kultur, griechisches Denken, griechische Lebensweise und die griechische Sprache waren durch einen beispiellosen, mit dem großen Alexanderzug beginnenden Eroberungswillen bis in weit entfernte Gebiete getragen worden, im Osten bis nach Indien, im Süden bis nach Ägypten. Neue Herrschaftsgebiete entstanden. Städte wurden nach dem Vorbild griechischer Poleis gegründet. Sie gerieten zu Brennpunkten der Hellenisierung der Welt, in der griechische Kunst und Kultur im Aufeinandertreffen mit fremden Welten auch zu neuer Blüte und zu neuen Formen fand. Regionale und kulturelle Vielfalt kennzeichnen das Bild der hellenistischen Welt, in der das Griechische stets tonangebend blieb.
Als die Römer seit der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. in diese Welt vordrangen und auch den östlichen Mittelmeerraum zu dominieren begannen, verloren die hellenistischen Städte und Königreiche ihre politische Macht, nicht aber ihre kulturelle Ausstrahlung. Von Anfang an prägte die hellenistische Kultur den Gang der römischen Geschichte und durchdrang die Lebenswelt einer römischen Aristokratie und wohlhabenden Bürgerschaft, von Männern wie von Frauen. Sie adaptierten und transformierten griechisch-hellenistische Kunst und Architektur, griechische Lebensart, griechische Ideen, orientierten das Erscheinungsbild ihrer Städte sowie ihren Lebensstil an griechisch-hellenistischen Vorbildern. Von den Griechen übernahmen sie die Wertschätzung von Bildung und Wissen, übersetzten ihre Werke ins Lateinische, füllten ihre Bibliotheken und privaten Büchersammlungen mit lateinischer wie griechischer, zumeist gewaltsam erbeuteter Literatur. In der römischen Gesellschaft galt es bald als vorbildlich, in beiden Sprachen bewandert zu sein, Griechisch wie Lateinisch sprechen und schreiben zu können. Bildung im Sinne der griechischen paideia beförderte das soziale Ansehen römischer Familien und trug nicht unwesentlich dazu bei, ihnen politischen Einfluss und Geltung in der Welt zu verschaffen.
So überrascht es nicht, dass Bildung und Gelehrsamkeit auch in der römischen Welt zum Bildthema wurden, beispielsweise auf Wandbildern der zunehmend prachtvoller ausgestatteten römischen Stadthäuser und Villen auf dem Lande. Buchrollen und Behältnisse zu ihrer Aufbewahrung sowie diverse Schreibutensilien symbolisierten eine zum Lebensalltag gehörende Bildungsoffenheit. Auch wenn darin ein Repräsentationsbedürfnis bildungsbeflissener Familien zum Ausdruck kommt, spiegeln die Sammlung von Büchern und die sorgfältige Gestaltung der Bibliotheken und Leseräume innerhalb des Hauses zugleich die Bedeutung wider, die der Bildung und der Beschäftigung mit Literatur beigemessen wurde. Während der späten Republik und vor allem in der römischen Kaiserzeit war das Lesen und Schreiben in weiten Teilen der Bevölkerung, auch unter der einfachen Landbevölkerung sowie der großen Gruppe der Sklaven und Freigelassenen, verbreitet und eine für das tägliche Leben auch notwendige Fähigkeit, nicht zuletzt in den städtischen Zentren des römischen Reiches.
Lesen jedenfalls öffnete das Tor zu griechischer Kunst und Kultur, und das Bedürfnis nach Literatur war entsprechend groß. Römische Verlage, ein florierender Buchhandel und Schreibstuben zur Vervielfältigung der Werke trugen denn auch zu einer raschen Verbreitung von Literatur im gesamten Imperium bei. Und zu den Lesenden gehörten selbstverständlich auch Frauen.
Frauen aus Pompeji
Das veranschaulicht das Wandbild aus Pompeji auf schöne Weise.
Pompeji, anfangs eine kleine stadtähnliche Siedlung in Kampanien, zu Füßen des Vesuvs gelegen, war mit einem milden Klima, mit fruchtbaren Böden und aufgrund seiner Lage am Fluß Sarno mit günstigen Handelsbedingungen für seinen Wein, für Öl und Gemüse gesegnet. Durch eine Jahrhunderte andauernde wechselvolle Siedlungsgeschichte geprägt, erhielt Pompeji nach langen Perioden der Hellenisierung schließlich in der letzten Phase seiner Existenz als römische Veteranensiedlung seit 80 v. Chr. das Erscheinungsbild einer typisch römischen Stadt mit öffentlichen Bauten, einem Amphitheater, mit Thermen und Tempeln, Villen und Wohnhäusern für die Bevölkerung. Diese Stadt, die aufgrund des verheerenden Ausbruchs des Vesuvs im Jahre 79 n. Chr. von einer meterhohen Schicht vulkanischer Asche, von Bims- und Lavagestein gänzlich zugeschüttet wurde und gerade dadurch der Nachwelt in weiten Teilen erhalten blieb, haben wir heute – dank archäologischer Forschungen wieder ans Tageslicht gehoben – vor Augen, wenn wir den Namen Pompeji hören. Hier waren die beiden Frauen zu Hause.
Es sind vor allem die farbenprächtigen Wandmalereien, mit denen die Wohnhäuser nach hellenistisch-römischem Vorbild in unglaublicher Vielfalt ausgestattet wurden und die unsere Vorstellungen von der Lebenswelt in Pompeji und seinen benachbarten kampanischen Städten beflügeln. Szenen aus der griechischen Mythologie und der Alltagswelt sowie illusionistische Architekturelemente schmückten die Wände. Landschaften und Naturdarstellungen wurden ins Innere des pompejanischen Hauses geholt und machten es zu einem Zeugnis eines neuen gehobenen Lebensstils, der sich an der Welt einer römischen Aristokratie orientierte. Der Phantasie waren praktisch keine Grenzen gesetzt. Dabei werden individuelle Interessen und Vorlieben der Bewohnerinnen und Bewohner die Wahl der Bildmotive für die Gestaltung der Wände bestimmt haben.
Das Fresko mit den beiden lesenden Frauen trug zweifellos zur Verschönerung des Hauses bei, für das es einstmals geschaffen wurde. Es mag ein Bedürfnis nach Selbstdarstellung gestillt haben, wie es für die römische Bildkunst noch bis in die Spätantike hinein charakteristisch war. Und es mag auf seine Weise geeignet gewesen sein, eine besondere Bildungsoffenheit zur Geltung zu bringen, umso mehr, als hier zwei Frauen zur Darstellung kamen. Ein erstaunliches Motiv? Oder eine alltägliche Szene? Ein Blick auf die Lebenswelt pompejanischer Frauen? Auf ihre Gelehrsamkeit? Ihre Teilhabe am kulturellen Geschehen, ihre Auseinandersetzung mit Kunst und Literatur? Wurde hier für alle sichtbar ins Bild gesetzt, was zum Selbstverständnis der Frauen gehörte?
Stille und Besonnenheit kommen mir entgegen, wenn ich die beiden Frauen betrachte. Konzentriert und mit großem Ernst scheinen sie ihren Studien nachzugehen. Trafen sie regelmäßig zusammen, um gemeinsam zu lesen, sich auszutauschen und sich gegenseitig zu fördern? Oder einfach ihre Liebe zur Literatur miteinander zu teilen? Woher kannten sie sich? Wie kann ich mir von ihrer Lebenswelt ein Bild machen? Auch von ihrem Leben als heranwachsende junge Frauen?
Der Erziehung der Mädchen wurde in der römischen Welt nicht weniger Aufmerksamkeit zuteil als in der griechisch-hellenistischen Antike. Sie lag im Ermessen der Eltern, die über Art und Umfang der Bildung ihrer Töchter entschieden und damit die Weichen für deren Lebensgestaltung stellten. In wohlhabenden Familien erhielten Mädchen und Jungen vom sechsten oder siebten Lebensjahr an gemeinsam einen häuslichen Elementarunterricht, der, wenn nicht von privaten Lehrern oder Lehrerinnen gegeben, oftmals von den Müttern der Kinder selbst erteilt wurde. In Rom besuchten die Mädchen, auch die aus weniger begüterten Elternhäusern, gemeinsam mit den Jungen Elementarschulen. Ein solcher Schulbesuch war für die Mädchen lebensbestimmend, denn