Eine Spur von Glück. Monika Hinterberger

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Название Eine Spur von Glück
Автор произведения Monika Hinterberger
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783835345393



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nicht bekannt. Ihre in den Jahren 25-20 v. Chr. entstandenen Gedichte wurden zusammen mit dem Schriftencorpus des Dichters Tibull ( 55-19 v. Chr.) überliefert und lange, bis in die Neuzeit hinein, für seine Werke gehalten. Vielleicht haben sie deshalb überleben können? Sulpicia, die Tochter einer römischen Senatorenfamilie, hinterließ mit ihren Liebeselegien ein Zeugnis weiblichen Selbstverständnisses, in dem sie gesellschaftliche Normvorstellungen ihrer Zeit und insbesondere die Rollenerwartungen an eine Frau zurückweist und den Wunsch nach freier Selbstgestaltung ihres Lebens – und ihrer Liebe – formulierte. Ob und auf welche Weise diese Gedichte auch von anderen Frauen wahrgenommen wurden, ob sie für kontroversen Gesprächsstoff sorgten, ob sie Ermutigung bedeuteten oder auch als gegen die herrschenden Sitten verstoßend verworfen wurden, wer mag dies beantworten? Sulpicia jedenfalls gehörte einem literarischen Zirkel in Rom an, in dem auch die Dichter Ovid und Tibull aus- und eingingen. Hier wird sie, den Gepflogenheiten gemäß, ihre Gedichte einem Kreis von Freundinnen und Freunden vorgetragen haben.

      Mir gefällt die Vorstellung, dass die beiden disputierenden Frauen auf dem Fresko aus Pompeji sich vielleicht mit den Gedichten Sulpicias befassten. Oder mit Texten der Dichterin Cornificia ( 85-40 v. Chr.) ? Der Chronik des Kirchenlehrers Hieronymus ( 347-420) aus dem 4. Jahrhundert jedenfalls ist zu entnehmen, dass ihre viel gepriesenen Epigramme noch mehrere Hundert Jahre später gelesen wurden. Aber auch diese Werke sind heute allesamt verschollen.

      Bildungsbewusst und ambitioniert

      Die Quellenlage mag dürftig sein. Erkennbar wird dennoch, dass sich Frauen innerhalb der römischen Gesellschaft selbstbewusst eigene Handlungsräume erschlossen, die ihnen eine mehr oder weniger frei gewählte Lebensgestaltung ermöglichten.

      So imaginiere ich abschließend ein Bild der beiden ins Gespräch vertieften Frauen auf dem Fresko: offen, bildungsbewusst, ambitioniert Gedanken und Erfahrungen austauschend und weit davon entfernt, sich mit aufkeimenden männlichen Vorbehalten gegen eine vermeintlich unangemessene weibliche Gelehrsamkeit und Selbstbestimmung auseinanderzusetzen. Sie glaubten nicht, dass die Beschäftigung mit Literatur und philosophisch-wissenschaftlichen Schriften über das für den weiblichen Lebensalltag als hilfreich angesehene und eben deshalb geduldete Maß hinaus die Tugenden einer ehrbaren matrona gefährden könne. Sie glaubten nicht, dass allzu viel und vor allem dem jugendlichen Alter vermeintlich abträgliche Lektüre den Charakter eines noch jungfräulichen Mädchens verdürbe. Sie ignorierten satirische und tendenziell frauenfeindliche Schriften als von Männern verfasste und hauptsächlich an Männer adressierte Texte und entlarvten sie als Gegenbilder zur weiblichen Lebenswirklichkeit, zu der Selbstbestimmung und Eigenverantwortung der Frauen gehörten und in der Frauen mit eigener Stimme sprachen.

      Ein ermutigendes Bild. Das Colloquio di donne.

      Meine Fragen an die beiden Frauen auf dem pompejanischen Fresko lenkten meine geschichtlichen Streifzüge. Sie sind mir Zeuginnen einer antiken Lesekultur, an die die Frauen des frühen Christentums anknüpfen und eine weibliche Bildungstradition fortsetzen konnten. Als sich eine christliche Glaubensbewegung ihren Weg in die römische Welt zu bahnen begann, waren es Frauen, die sich rasch der neuen Botschaft öffneten, die Bewegung in besonderer Weise prägten und nicht wenig Einfluss auf die Ausbreitung der christlichen Glaubenslehre nahmen. Nicht zufällig wurde die lesende Frau zu einem Bildthema auch in der Kunst des Mittelalters. Und als das Buch sinnbildlich zum Träger der christlichen Botschaft, zum Symbol für den christlichen Glauben wurde, finden wir es nicht zufällig in den Händen von Frauen abgebildet. Dieser Gedanke führt in eine neue Zeit und zu einem neuen Thema.

      Literatur

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      Coarelli, Filippo ( Hrsg.): Römisches Süditalien und Sizilien. Kunst und Kultur von Pompeji bis Syrakus, Petersberg 2007.

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