Название | Eine Spur von Glück |
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Автор произведения | Monika Hinterberger |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783835345393 |
9. Élisabeth Ferrand meditiert über Newton
Liebe zur Wissenschaft • Discours sur le bonheur – Rede vom Glück • Bildung und weibliches Selbstverständnis • Les Conversations d’Emilie – Aemiliens Unterredungen • Briefe • Romane • »… entworfen von einem Frauenzimmer« • Die Lust zu lernen – Therese Huber • Die Lust zu lesen • »Lesende Frauenzimmer« • Journale von Frauen für Frauen • Avantgarde des femmes • »Femme, réveille-toi!« – »Frau, erwache!« • Literatur
Eine Spur von Glück • Das Morgenlied der Freiheit • »Jetzt, wo der Schnee hinwegthaut …« • Elementare Mädchenbildung • Höhere Mädchenbildung • Reifezeugnis – ein Meilenstein • Freien Geistes • Lebensentwürfe – ein Gespräch mit Marie Fantin-Latour • »Als eine Frau lesen lernte …« • Literatur
Vorwort
Dieses Buch ist ein sehr persönliches. Es erzählt von meiner Begegnung mit Bildern lesender Frauen.
Kunstvollen Darstellungen, die von der Antike bis zur Gegenwart reichen und mich bewogen, den Spuren lesender Frauen in der Geschichte zu folgen, ihre Lebenswelten und insbesondere ihre Bildungswege zu ergründen. Wo lernten Frauen in der Antike zu lesen? Im Mittelalter, in der Frühen Neuzeit und den Jahrhunderten danach? Welche Bücher lasen sie? Mit welchem Interesse? Welchen Erwartungen? Wie kamen sie in den Besitz von Büchern? Und vor allem: Was bedeutete es für sie, lesen zu können?
Fragen dieser Art begleiteten meine Annäherungen an lesende Frauen. Ich suchte den Dialog mit ihnen, suchte historische Zeiträume zu erschließen und vorhandene Quellen zu befragen, suchte auf diese Weise ein Bild von ihnen zu gewinnen. Nicht selten überwogen Fragen mögliche Antworten, besonders wenn es um lesende Frauen weit zurückliegender Zeiten ging, wenn weibliche Lebenswelten und -bedingungen heutigen Vorstellungen sehr fernstehend erschienen. Wer hat vor Augen, dass etwa das Lesen jahrhundertelang an Tageslicht gebunden war? Dass Kerzen vor allem in Kirchen und Adelshäusern brannten, aber ansonsten unerschwinglich waren? Wer ermisst, dass zwischen den ersten Darstellungen des lesenden Menschen in der griechischen Antike und der Erfindung des Buchdrucks ein Zeitraum von zweitausend Jahren liegt? Zweitausend Jahre lang lasen Frauen ausschließlich Handschriftliches – geschrieben auf Papyrus, Pergament und Papier –, bis der Buchdruck in der Mitte des 15. Jahrhunderts eine neue Periode der Lesekultur einleitete. Und auch da sind sie als Lesende präsent.
Wie konnte angesichts der Fülle an Bildern lesender Frauen der Eindruck entstehen, dass Frauen, von Angehörigen des Adels und des gebildeten Bürgertums abgesehen, über lange Zeiten hinweg großenteils des Lesens unkundig, von Bildung ausgeschlossen waren? Ein Vorurteil, wie sich zeigte. Eine Auffassung, der ich mit diesem Buch ein Bild lesender Frauen entgegensetze, das ich von ihnen gewann – wohl wissend, dass sich schwerlich von den Frauen sprechen lässt.
Zehn Bilder wählte ich aus. Sie markieren meine Spurensuche. Begleiteten meine geschichtlichen Streifzüge. Weckten meine Imaginationen. Bewegten mich, mit lesenden Frauen ins Gespräch zu kommen, ihnen Raum zu geben, sie zu Wort kommen zu lassen. Ich begegnete mutigen Frauen, erkenntnis- und urteilsfähigen. Ich nahm ihre gesellschaftliche Präsenz in den Blick, ihre Stärke, ihr Sosein, auch ihre Nöte. Es zeigte sich: Lesen war Teil weiblichen Lebens. Lesen zu können, schuf Frauen Voraussetzungen, selbstbestimmt zu handeln. Es gab ihnen die Freiheit zu lernen, sich Bildung anzueignen, ihr Leben zu gestalten, Wege neu abzustecken. Sie liebten Bücher und liebten das Lesen. Es barg die Möglichkeit, über die eigene Wirklichkeit hinauszudenken, sich schöpferisch zu erleben, auf Neues zu treffen, Unerwartetes zu erkunden. Und im Lesen Glück zu erfahren. Eine Spur von Glück.
Eine Frau liest in einer Buchrolle. Rotfigurige »Lekythos« aus Attika,
Höhe 22 cm, um 440-430 v. Chr..
Musée du Louvre, Paris.
1. Eine lesende Frau
Eine Athenerin
Eine Lesende. Dargestellt auf einer attischen Vase des 5. vorchristlichen Jahrhunderts. Das Haar zu einem Knoten hochgebunden. Bekleidet mit einem Chiton aus feiner Baumwolle oder feinem Leinen und einem darüber liegenden Tuchmantel, dem Himation. Ihre Haartracht und die Kleidung deuten auf eine vornehme Herkunft hin. Mit beiden Händen hält sie eine geöffnete Buchrolle vor sich. Sie ist in die Lektüre eines Textes vertieft. Vor ihr am Boden befindet sich eine Büchertruhe, der sie die Schriftrolle entnommen haben mag. Das Möbel und die Tänie, eine festliche Kopfbinde, lassen erkennen, dass sie sich im Innern eines Hauses aufhält. Allein. In einem Moment innerer Ruhe, so scheint es.
Sie ist kein junges Mädchen. Sonst trüge sie ihr Haar offen auf Schultern und Rücken herabfallend, vielleicht mit einer Binde geschmückt oder zu einem Zopf gebunden, und sie wäre eher mit einem für unverheiratete junge Frauen typischen gegürteten Peplos bekleidet.
Auch eine Muse ist sie nicht. Die der mythisch-imaginären Welt angehörenden Musen finden sich im Laufe des 5. Jahrhunderts v. Chr. mehrfach auf attischen Vasenbildern in der Gemeinschaft mit musizierenden jungen Frauen dargestellt. Als mythische Vorbilder sind sie den Musikerinnen zugesellt und heben gleichsam – ihrem Musensitz entstiegen – das scheinbar alltägliche Tun in eine göttliche Sphäre. Als Beschützerinnen der Dichtkunst und der Musik stellen sie so die Frauen unter ihre Gunst. Nichts in dieser Darstellung deutet jedoch auf eine solche Berührung der beiden Welten