Eine Spur von Glück. Monika Hinterberger

Читать онлайн.
Название Eine Spur von Glück
Автор произведения Monika Hinterberger
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783835345393



Скачать книгу

wie Händlerinnen und besonders für Ärztinnen, Apothekerinnen und Hebammen. Anders als für die Jungen war es für Mädchen im Alter von vierzehn Jahren nicht üblich, auf weiterführende Schulen zu wechseln. Ihre Bildung, etwa die Vertiefung ihrer Kenntnisse in griechischer oder lateinischer Literatur, erfolgte unter günstigen Gegebenheiten durch privaten Unterricht. Viele Mädchen suchten davon Gebrauch zu machen, suchten nach Möglichkeiten, selbstbewusst ihr Leben zu gestalten, als Ehefrau, als Vorsteherin eines Haushaltes, als Erzieherin ihrer Kinder und durch die Ausübung eines Berufes. Für welchen Lebensweg mochten sich die beiden Frauen auf dem pompejanischen Fresko entschieden haben?

      »Kennen sollst du auch Sappho …« ( Ovid)

      Und was waren sie im Begriff zu lesen?

      Welcher Text hatte ihr Interesse entfacht ? Ein Epos? Ein Lehrgedicht? Ein Drama? Sprachen sie über einen lyrischen Text? Setzten sie sich mit einer philosophischen Abhandlung auseinander? Was sie lasen, wird von ihren Interessen, ihrer Vorbildung, ihrem sozialen Umfeld und schließlich auch von ihrem Lebensalter bestimmt worden sein.

      Den jungen Leserinnen beispielsweise empfahl der Dichter Ovid ( 43 v.-17 n. Chr.) im dritten, eigens an Frauen gerichteten Buch seiner Ars Amatoria, eines kurz vor der Zeitenwende erschienenen Lehrgedichtes über die Liebe, eine bestimmte Auswahl griechischer wie lateinischer Werke, unter denen seine eigenen nicht fehlten – aber auch nicht die der griechischen Dichterin Sappho ( um 600 v. Chr.). Ihre Lyrik hatte seit Jahrhunderten nichts von ihrer Anrührung verloren. »Nota sit et Sappho« – »Kennen sollst du auch Sappho«, hatte Ovid geschrieben. Seine Literaturempfehlung galt insbesondere der elegischen Dichtung, in der persönliche Belange, allen voran die das gesamte Lebensgefühl beherrschende Liebe, in erotisch gefärbte Verse gegossen waren. Dass die Elegiker ihre nonkonformen Dichtungen vorzugsweise an ein weibliches Publikum, an eine von ihnen imaginierte gebildete junge Frau, die puella docta, als Leserin richteten, wird ältere Frauen nicht vom Lesen der Liebeslyrik abgehalten haben. Und umgekehrt: Galten philosophische Schriften, Reden oder Werke der Geschichtsschreibung eher den verheirateten oder verwitweten gebildeten Frauen, den matronae doctae, als zuträglich, bedeutete dies keineswegs, dass nicht auch jüngere Frauen sich ernsthaft damit auseinandersetzten.

      Ambitionierte Frauen wie die beiden auf dem pompejanischen Fresko, daran zweifle ich nicht, werden selbstbestimmt über Art und Umfang ihrer Lektüre entschieden haben, sei es aus beruflichen Gründen, aus wissenschaftlichem Interesse, sei es zur eigenen Erbauung oder der Geselligkeit wegen, vorausgesetzt, Bücher standen ihnen in dem gewünschten Umfang zur Verfügung. Weder in Pompeji noch in den anderen vom Vesuv verschütteten Städten Kampaniens sind für die späte Republik oder die frühe Kaiserzeit größere öffentliche Bibliotheken – ähnlich denen in Rom – nachgewiesen worden. Archäologische Ausgrabungen förderten jedoch private Büchersammlungen zutage: Räume innerhalb des pompejanischen Hauses, in denen Bücher und Bücherschränke vorhanden gewesen waren oder die aufgrund von Inschriften, Wandmalereien mit Lesenden oder aufgestellten kleinen Büsten antiker Schriftsteller als Bibliotheksräume angesehen werden. In unmittelbarer Nachbarschaft zu den Bibliotheksräumen, die wohl vorwiegend zur Aufbewahrung der Bücher dienten, gab es in der Regel kleinere Räumlichkeiten, cubicula, in denen ungestört gelesen oder auch rezitiert und diskutiert werden konnte. Die Bibliotheks- und angrenzenden Leseräume befanden sich sorgsam platziert im hinteren Bereich des Hauses, an Peristylen gelegen, dort, wo die ersehnte Ruhe und Konzentration auf die Lektüre am ehesten gegeben waren. Es scheint, als haben sich auch die beiden ins Gespräch vertieften Frauen dorthin zurückgezogen. Um unter sich zu sein, durch keinerlei Ablenkung gestört.

      Das Vorhandensein einer privaten Bibliothek erleichterte natürlich den Zugang zur Literatur. Die familiäre Situation, das Interesse an Literatur und das Leseverhalten innerhalb der Familie, spielten für die Bildung der Mädchen und Frauen eine entscheidende Rolle. Und das gilt auch für die Frage, ob Frauen über eigene Bücher verfügten oder nicht. Vielleicht konnten die beiden Frauen auf eine gut ausgestattete häusliche Büchersammlung zurückgreifen, die auch Geschichtswerke, Reden, philosophische Schriften und Biographien enthielt und die ihnen für ihre Studien jederzeit zur Verfügung stand. Weshalb sollten sie diese nicht gelesen haben?

      Weibliche Vorbilder

      Erlebten sich die beiden Frauen auf dem Fresko in einer weiblichen Tradition stehend?

      Mit welchen Frauen pflegten sie Umgang? Wer waren ihre Freundinnen? Gab es Nachbarinnen, mit denen sie sich austauschten? Wie nahmen sie Frauen in der eigenen Familie wahr ? Ihre Mütter? Großmütter? Schwestern? Töchter? Was wussten sie von Frauen der Vergangenheit?

      Wenngleich die Namen von Frauen und Kenntnisse über deren Leben der geschichtlichen Erinnerung vielfach verloren gingen, sind einige Namen literarisch gebildeter Frauen überliefert – sie waren vor allem Angehörige einer römischen Führungsschicht oder der kaiserlichen Familien. Calpurnia etwa ( 77 v. Chr.-unbek.), die letzte Gattin Julius Caesars ( 100-44 v. Chr.), gehört dazu, die wie ihr Vater der epikureischen Schule nahegestanden hatte. Oder Octavia ( 70-11 v. Chr.), eine Schwester des Kaisers Augustus ( 63 v.-14 n. Chr.). Die unter Augustus und der umsichtigen Kaiserin Livia ( 58 v.-29 n. Chr.) errichtete Porticus Octaviae, zu der neben bedeutenden Kunstwerken auch eine öffentliche Bibliothek ghörte, trägt sicher nicht zufällig den Namen Octavias. Sie selbst nahm die Einweihung der Bibliothek im Gedenken an ihren verstorbenen Sohn Marcellus mit den in Rom üblichen beiden Abteilungen vor, einer bibliotheca graeca und einer bibliotheca latina. Als Stifterin einer Bibliothek sind später auch Matidia ( 64-119 n. Chr.), eine Verwandte des Kaisers Trajan ( 53-117 n. Chr.), oder Flavia Melitine überliefert, die eine Bibliothek im Asklepieion von Pergamon stiftete.

      Klugheit besaßen sie als Ehefrauen, Bildung und Kenntnisreichtum zeigten sie als Brief- und Gesprächspartnerinnen, Weitsicht und Entschiedenheit bewiesen sie als Mütter und Erzieherinnen ihrer Kinder. Sie waren Vorbild für andere Frauen. So hat sich etwa die Römerin Cornelia ( 190-100 v. Chr.), genannt die Mutter der Gracchen, als überaus gebildete Frau in das historische Gedächtnis eingeschrieben. Oder auch Marcia ( 25 v.-41 n. Chr.), die Seneca zufolge das Lebenswerk ihres verfemten Vaters, des Historikers Cremutius Cordus, tradierte und damit vor dem Vergessen bewahrte. Manche Frauen wurden ihrer Redegewandtheit wegen gerühmt. Die Römerin Hortensia beispielsweise hielt 42 v. Chr. eine kraftvolle Rede auf dem Forum in Rom und protestierte öffentlich – und erfolgreich – gegen die Erhebung von Sonderabgaben für vermögende Frauen. Wohlhabende Frauen waren seit der späten Republik keine Seltenheit. Im letzten vorchristlichen Jahrhundert hatte sich die manus-freie Ehe durchzusetzen begonnen. Das Mädchen wurde nun nicht mehr aus der Hand des Vaters in die des Ehemannes gegeben, sondern die beiden Heiratswilligen verblieben unter der Vormundschaft, der potestas der jeweiligen Väter. Zudem wurde eine klare Gütertrennung vereinbart, so konnten Ehefrauen nach dem Tode ihres Vaters über ihr oftmals aus Erbschaften stammendes oder auch zur Mitgift gehörendes Vermögen sui iuris, eigenen Rechts also, verfügen, Geschäfte tätigen, ihren Besitz veräußern, vererben oder auch zum Wohle der Allgemeinheit und der eigenen Familie stiften. Als reiche Land- und Gutsbesitzerinnen und ebenso als Stifterinnen sind sie im gesamten römischen Reich anzutreffen. Und als solche waren sie nicht ohne politischen Einfluss.

      Das gilt zum Beispiel für Eumachia aus Pompeji, Tochter eines Händlers und Besitzers einer Keramik- und Ziegelmanufaktur und Ehefrau eines hohen städtischen Beamten, dessen Handelsunternehmen für Wolle sie nach seinem Tod selbstständig weiterführte. Sie war Patronin der Gilde der Tuchwalker und zudem hohe städtische Priesterin. Der Tuchhändlergilde ließ sie im eigenen und im Namen ihres Sohnes im Jahre 22 n. Chr. ein großes, reich geschmücktes Gebäude am Forum in Pompeji errichten. Die Gilde ihrerseits ehrte Eumachia durch eine Statue in der idealtypischen Gestalt einer jugendlich schönen Frau.

      Bildungs- und verantwortungsbewusst trugen Frauen in vielen Bereichen zum gesellschaftlichen Gelingen bei. Und sie griffen selbst zur Feder. Einige Namen schreibender Frauen und Titel ihrer Werke fanden verstreut Erwähnung, doch kaum eine ihrer Schriften hat sich erhalten. Wenigstens förderte der