Wie zerplatzte Seifenblasen .... Aylin Duran

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Название Wie zerplatzte Seifenblasen ...
Автор произведения Aylin Duran
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783960743477



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der Boden eigentlich viel zu kalt, um barfuß zu laufen. Als ich die Zimmertür wieder aufschob, sah ich, dass Lina sich auf dem Sofa zusammengerollt hatte. Die Knie hatte sie an die Brust gezogen. Ihr Atem ging gleichmäßig, ihr Gesichtsausdruck war friedlich. Ungeschminkt sah sie nicht aus wie ein Kind – sie war ein Kind. Eine Weile stand ich mitten im Zimmer, ohne einen Laut von mir zu geben. Dann begann ich, mich bescheuert zu fühlen. Ich bewegte mich auf meine schlafende Zimmergenossin zu, breitete vorsichtig meine Bettdecke über ihrem Körper aus und bemühte mich dann, sie zu ignorieren. Ich hatte mich ganz sicher nicht einmischen wollen. Ich war derjenige gewesen, der von Beginn an auf seine Privatsphäre bestanden hatte und Lina jede Information über mich, mein Privatleben und meine Vergangenheit vorenthalten hatte.

      Dann klingelte das bescheuerte Handy. Und ich war der Blödmann, der begann, sich einzumischen. Ihr Klingelton war ein furchtbarer Song aus den Charts und so laut eingestellt, dass er mich erschreckte und sie aufgeweckt hätte, wenn er weiterhin diese gehaltlosen, schrecklichen Töne produziert hätte. Nachgedacht hatte ich darüber nicht wirklich. Ich drückte den Anruf einfach weg. Als ich das leuchtende 1 verpasster Anruf von Luis auf dem Display aufleuchten sah, da wusste ich, dass ich Mist gebaut hatte. Denn mehr war nicht erforderlich gewesen: Ich hatte mich eingemischt und schämte mich dafür. Deshalb ließ ich Lina weiterschlafen, erzählte ihr auch anschließend nichts von ihrem verpassten Anruf und ließ das Handy in ihre Handtasche zurückgleiten, als sei nichts gewesen. Eigentlich war ich nie der Typ gewesen, der sich einmischte.

      Das letzte Mal eine Nacht durchgeschlafen hatte ich, bevor alles passiert war. Seit dem Unfall war ich jede Nacht aufgewacht – schweißgebadet, schreiend oder geräuschlos weinend. Manchmal war mein Albtraum nämlich so real, dass ich nicht einmal aufhören konnte zu weinen, wenn der Traum vorbei war. Und wie gesagt – schwitzen, schreien oder weinen musste ich nächtlich. Aber nicht in dieser Nacht. In dieser Nacht konnte ich durchschlafen.

      Zu Mittag essen wollten wir auch am nächsten Tag gemeinsam. Lina trug ihre Converse und ließ jeden zweiten Pflasterstein aus, der ihren Weg kreuzte. Ich beobachtete das kindische Spielchen eine Weile und Lina erwischte mich dabei. „Was guckst du so?“, fragte sie und ihr rechter Fuß berührte einen Pflasterstein, den sie eigentlich hätte überspringen müssen.

      „Letztes Mal dachte ich, du bist eine Rentnerin. Wegen deiner Pizza-Ränder-Phobie. Jetzt kommt es mir irgendwie so vor, als würde ich ein Kindergartenkind zum Essen begleiten“, grinste ich.

      Sie kniff die Augenbrauen zusammen und machte demonstrativ weiter damit, jeden zweiten Stein auszulassen. „Früher habe ich immer Wetten mit mir selbst abgeschlossen. Wenn du das schaffst, dann hast du eine gute Note im Vokabeltest. Weißt du, was ich meine?“

      Ich wusste genau, was sie meinte. „Warum machst du es noch? Welche Wette hast du am Laufen?“

      Sie hörte auf, wie ein ausgelassenes Kind über die Straße zu hüpfen. „Keine“, sagte sie dann. Plötzlich war die Freude über ihr Pflastersteinspiel aus ihrem Gesicht verschwunden und sie wurde ernst. „Keine“, wiederholte sie. Wenn Lina und ich uns anschwiegen, war es keine unangenehme Stille. Dadurch, dass wir übereingekommen waren, Abstand zu halten, endeten Gespräche zwischen uns oft mit dieser Art des Schweigens. Nämlich immer dann, wenn einer die Linie übertreten hatte.

      Sie saß mir gegenüber an einem wackligen Tisch vor dem Café. Die Beine hatte sie überschlagen, die Haare zu einem unordentlichen Pferdeschwanz zusammengefasst. Unerlässlich tippte sie mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte, was ein nervtötendes, hohles Geräusch erzeugte. Als sie sah, dass mich das Geräusch ihrer Nägel auf der Glasplatte aufregte, nahm sie die Hände vom Tisch und legte sie in den Schoß.

      „Nervige Angewohnheit“, kommentierte ich.

      „Du hast bestimmt auch viele nervige Angewohnheiten“, feuerte sie zurück.

      „Du kennst mich nicht.“

      „Aber du kennst mich, oder was?“ Sie lachte verächtlich. „Du kommst dir vielleicht toll vor mit deiner bescheuerten Übereinkunft. Ich weiß ganz genau, dass du meinen Anruf weggedrückt hast. Wenn du an mein Handy gehst, um meinen Anruf abzulehnen, dann musst du dich auch nicht beschweren, wenn ich dir Fragen stelle. Die sind zumindest ehrlich und direkt!“ Jetzt war sie sauer. Sie stützte die Ellenbogen auf dem Tisch auf und funkelte mich an.

      Ich war zu überrumpelt davon, dass sie von meiner nächtlichen Aktion wusste, als dass ich mir kurzfristig eine schlaue Antwort hätte überlegen können. Die helle, strahlende Farbe ihrer blauen Augen irritierte mich. „Ich hab’s einfach gemacht, ohne darüber nachzudenken. Du wärst sonst aufgewacht. Und du hast …“ Ich brach den Satz ab. „Und du hast so friedlich geschlafen“, hatte ich sagen wollen. Aber dann hätte sie gewusst, dass ich sie im Schlaf beobachtet hatte. Das wäre irgendwie demütigend gewesen.

      „Und ich habe ...?“ Sie sah über den Tisch zu mir herüber, aber ich starrte auf meine Serviette.

      „Du hast geschlafen.“

      „Als ob es dich interessiert hätte, wenn ich aufgewacht wäre – mach dich nicht lächerlich!“

      „Es hätte mich interessiert.“

      Sie schnaubte. „Wenn du etwas über mich wissen möchtest, dann frag doch einfach.“ Es lag Hoffnung in ihrer Stimme, ganz so, als würde ich wirklich anfangen, zu fragen. Vielleicht wollte sie, dass ich ihr alles erzählte. Aber das konnte ich nicht. Ihre klaren, blauen Augen sahen mich verständnislos an, als ich aufstand und den Stuhl zurückschob.

      „Ich habe keinen Hunger mehr“, hörte ich meine Stimme sagen. Dann drehte ich mich auf dem Absatz um und ließ Lina allein am Tisch zurück. Sie blickte mir kopfschüttelnd nach.

      „Du bist ein Arschloch“, sagte Cagney begeistert, als ich ihm erzählte, was passiert war.

      Ich boxte ihn an die Schulter. „Ich kann mit der komischen Situation einfach nicht umgehen. Ich will sie nicht hier haben. Wegschicken will ich sie aber auch nicht.“

      „So ist das mit den Weibern!“ Cagney zog den rechten Mundwinkel zu einem halben Grinsen in die Höhe.

      Was ich gesagt hatte, war nicht die ganze Wahrheit. Ich tat, als wäre ich der edle Ritter, als sei Lina auf mich angewiesen, aber in Wirklichkeit brauchte ich sie genauso wie sie mich. Ihre Gesellschaft war ein Zeichen dafür, dass die Welt sich Tag für Tag weiterdrehte.

      „Ich würde sie trotzdem wegschicken. Mit einem Tritt in den Arsch. Zumindest, wenn sie nervt.“

      „Sie nervt.“

      „Dann schick sie weg.“ Cagney beobachtete eine Reihe von Ameisen, die die Wände der Mülltonne emporkletterten, neben der wir uns auf dem Boden niedergelassen hatten. Er feuerte kleine Spuckfontänen auf die Tierchen ab und versuchte, sie damit zu ertränken, aber er verfehlte die Insekten. Sein Speichel bildete schleimige, kleine Pfützen auf dem Boden. „Blöde kleine Scheißviecher“, brummte er. Dann griff er in seine Hosentasche und förderte ein Päckchen Zigaretten zutage. Das Feuerzeug klickte, als er sich eine anzündete. „Ich bin keine Tussi“, sagte Cagney, obwohl das offensichtlich war. Er schnipste die Asche weg und begrub kaltherzig zwei Ameisen unter dem Haufen. „Wir könnten reden.“

      „Du könntest reden. Vielleicht kann ich dir helfen.“ Ich stocherte mit der Schuhspitze in die Ameisenstraße auf dem Boden. „Für immer können deine Eltern dich nicht hassen.“

      „Da ist die Königin“, sagte Cagney und deutete auf ein im Vergleich zu seinen Artgenossen riesiges Insekt mit Flügeln. Er lenkte vom Thema ab.

      Ich sprang darauf an. „Die Ameisenkönigin ist arm dran. Wusstest du, dass sie nur dafür lebt, Eier zu legen? Den ganzen Tag. Immer. Sie sichert das Fortbestehen des Stammes“, setzte ich ihn in Kenntnis.

      Er sah mich stirnrunzelnd an und antwortete: „Kein sehr schönes Leben.“ Vorsichtig nahm er das Tierchen auf die Hand.

      „Vielleicht wird sie wiedergeboren. Als etwas viel Besseres. Oder sie war in ihrem vorherigen