Название | Wie zerplatzte Seifenblasen ... |
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Автор произведения | Aylin Duran |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783960743477 |
Cagney sah mich argwöhnisch an. „Nein“, entgegnete er, schloss genüsslich die Augen und zog an der Kippe. „Nein. Aber ich kenne die Menschen. Glaub mir. Ich schätze dich … Warte, lass mich nachdenken.“ Er begann, mich von der Seite zu beäugen, als könnte er durch die Betrachtung meines Profils meine Lebensgeschichte in sich aufsaugen. „Ich schätze dich auf 20, vielleicht 21. Mit 21 ist man nicht an dem tragischen Punkt im Leben, an dem man sich um einen Job bei einem stinkenden Fast Food-Restaurant bemüht. Da hat man noch Feuer. Man hat Hoffnungen. Träume.“
Ich schluckte und entschloss mich dazu, seine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten. „Wo sind deine Hoffnungen und Träume, wenn ich fragen darf?“
Cagney zuckte mit seinen breiten Schultern und bemühte sich um einen gleichgültigen Gesichtsausdruck. „Für mich hat es sich ausgeträumt.“
*
Cagney
Mai
„Du stinkst nach Pizza, verdammt.“
Max war es schon immer sehr wichtig gewesen, brutal und böse auszusehen. „Sonst hat man keine Chance in dieser Branche und geht unter“, sagte er ständig.
„Pizza stinkt nicht“, antwortete ich unbeeindruckt. „Es ist Pizza.“
„Mag sein, dann stinkst du nach was anderem. Wie viel brauchst du?“ Max hatte ein neues Tattoo, es war so frisch, dass das Pflaster noch darauf klebte. Er hatte sich einen monströsen Schlangenkopf auf den Oberarm tätowieren lassen, das erkannte ich trotz des großen Pflasters. Jedes Mal, wenn wir uns trafen, sah er tatsächlich ein bisschen furchteinflößender aus. Aber das konnte auch an den Drogen liegen.
„Zwei Gramm sollten reichen.“
Max sah sich um, bevor er mir das Tütchen gab. Bei ihm sah es immer aus, als würde er sich nur kurz zur Seite drehen, aber in Wirklichkeit checkte er in diesen zwei Sekunden die ganze Lage auf der Straße. Wie er das machte? Keine Ahnung, jahrelange Übung wahrscheinlich. Ich ließ das Tütchen in meine Jackentasche gleiten. Knisterte schon verheißungsvoll, versprach einen nicht ganz so beschissenen Abend. Wenigstens hatte ich das Gras. Mit einem kurzen Nicken bedankte ich mich bei Max und griff nach den Scheinen, die ich bereitgelegt hatte. Für mich war es das Ende unseres Geschäfts, für Max aber nicht. Es war jedes Mal dasselbe. Deshalb war Max für alle nur Kaiser Max. Er hatte Stoff, er hatte immer alles – und versuchte ständig, einem etwas anzudrehen, was man eigentlich nicht haben wollte.
Auch jetzt berührte er meine Schulter und glotzte mich an. Wie ein Fisch sah er aus, wenn er so dämlich glotzte. Wie ein ziemlich hässlicher Fisch. „Willst du dich mal unbeschwert fühlen? Bock auf Speed? Ecstasy?“ Er nahm die Scheine entgegen.
Ich schüttelte den Kopf. „Vielleicht irgendwann mal.“
„Du meldest dich bei mir, wenn es so weit ist, klar?“
„Klar.“
Kaiser Max huschte davon, ich lief in die entgegengesetzte Richtung. Meine Wohnung war einsam und dunkel, ich fragte mich, ob ich bei meinem nächsten Drogenkauf Speed probieren sollte. Meine Wohnung – einsam, dunkel, eigentlich todtraurig, aber das würde ich niemals zugeben. Ich wusste nicht, was ich wollte, aber wenn ich das sagte, dann redete ich nicht nur von Speed oder Ecstasy. Denn eigentlich war ich mir selbst ein Fremder.
*
Ben
Mai
Cagney war ein komischer Kauz. Wenn er rauchte, hörte er nicht beim Filter auf, sondern sog die Giftstoffe umso genüsslicher durch die Atemwege in die Lunge. Er war kein Italiener, obwohl ihm sein südländisches Aussehen den Job bei Luigi verschafft hatte – den er laut eigenen Angaben am liebsten stündlich hinschmeißen würde. Ständig sprach er davon, dass er selbst Geld verdienen müsste, weil er seine Eltern enttäuscht habe und nicht mehr auf deren Unterstützung zählen könne. Inwiefern er eine Enttäuschung war, wollte er mir nicht verraten.
Wenn unsere Schichten aneinandergrenzten, rauchten wir gemeinsam auf dem stinkenden Hinterhof. Bald entwickelten sich aus den gemeinsamen Raucherpausen zarte Anflüge einer Freundschaft. Und dann kam der Tag, an dem Cagney mir seine Geschichte erzählte. Der Imbiss war schon wie ausgestorben, als ich reinkam, um Cagney abzulösen. Unsere Schichten grenzten dienstags und sonntags aneinander, und Cagney hatte mich schon von Beginn an darüber aufgeklärt, dass die Zahl der Menschen, die das Bedürfnis nach fettiger Tiefkühlpizza á la Luigi hatten, sich grundsätzlich auf ein Minimum beschränkte.
„Ich frag’ mich, wie der Typ Gewinn macht“, lachte Cagney an diesem Dienstagnachmittag, als wir uns auf dem Hinterhof gemeinsam die Frühlingssonne auf die Schädel scheinen ließen. Eine Antwort auf seine Frage hatte ich nicht, weswegen ich nur lachend mit den Schultern zucken konnte. Cagney ließ sich nach hinten auf den Rücken fallen. Ich tat es ihm gleich und ließ den Stein die Haut unter meinem T-Shirt kühlen. Beide starrten wir in den blauen Himmel. Wie Bekloppte.
„Meine Eltern haben mich rausgeschmissen vor zwei Jahren.“
Ich war verblüfft, dass Cagney mir das erzählte. Sein Körper lag in unveränderter Position neben meinem, die Zigarette in seiner Hand brannte herunter, ohne dass er neue Züge nahm. „Ich habe Scheiße gebaut“, fuhr er fort, doch dann schluckte er und schüttelte den Kopf, als wolle er die Gedanken an die Vergangenheit vertreiben. Ich beließ es bei den lückenhaften Informationen, die er mir gab, und drängte ihn nicht dazu, mir mehr zu erzählen. Er war einsam und rastlos, aber waren wir das nicht alle? Konnten wir nicht alle erst mit dem Tod endgültig zur Ruhe kommen?
Klopf, Klopf.
Ich wusste, wer da wieder an meine Zimmertür klopfte, also bewegte ich meine müden Füße in Richtung Tür. Natürlich öffnete Lina sie selbst, sobald sie hörte, dass ich mich im Raum bewegte.
„Okay, ich erklär’ dir jetzt mal was“, begrüßte ich sie seufzend. Von ihren großen, blauen Augen fühlte ich mich immer noch hypnotisiert, wenn ich sie zu lange ansah. Keine Ahnung, was das für ein komisches Gefühl war, das sie in mir auslösten, es war mir fremd. Ich beschloss, ihr von nun an einfach nicht mehr in die Augen zu sehen. „Wenn man klopft, dann wartet man auf eine Antwort. Eine Antwort wie: Komm doch rein, Lina. Verschwinde, Lina. Oder ich öffne die Tür für dich. Aber es macht keinen Sinn, an eine Tür zu klopfen, wenn du anschließend einfach hereinspazierst.“
Der Blick, mit dem Lina mich ansah, war zur Hälfte spöttisch und zur anderen Hälfte amüsiert. „Ich hatte Angst um dich. Hätte schließlich auch sein können, dass du gerade im Sterben liegst. Dann hätte dich niemand gefunden, wenn ich nicht reingeschneit wäre“, scherzte sie. Sie rauschte durch das Zimmer, setzte sich vorsichtig auf die Kante des Bettes und merkte nicht, was ihre Worte in mir auslösten. Denn sie hatte recht. Niemand hätte mich gefunden, weil niemand nach mir gesucht hätte. „Also, was ich dich fragen wollte…“ Sie schluckte. Plötzlich sah sie ganz kleinlaut aus. „Kann ich heute vielleicht bei dir schlafen?“
Wäre ich in einer besseren Verfassung gewesen, dann hätte ich sie mitleidlos sofort rausgeschmissen. Ich hätte nicht mal mit der Wimper gezuckt. Aber sie hatte mich gerade daran erinnert, wie furchtbar mein Leben war. Denn so war es nun einmal, wenn man mutterseelenallein war und keiner mehr da war, an den man sich wenden konnte. Obwohl ich es nie zugegeben hätte, war ich sogar froh darüber, dass sie hier übernachten wollte.
„Ben?“
„Okay, ja. Kannst hier übernachten. Stört mich nicht.“
Lina verließ das Zimmer und kam etwa eine halbe Stunde später wieder im Schlafanzug zurück. Sie sah aus wie ein Kind. Ein Kind mit Albträumen. Ein Kind, das große Angst davor hatte, verletzt zu werden. Allein zu sein.
„Soll ich auf dem Sofa schlafen?“