Wie zerplatzte Seifenblasen .... Aylin Duran

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Название Wie zerplatzte Seifenblasen ...
Автор произведения Aylin Duran
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783960743477



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seine Gitarre wieder einzupacken. „Ich hab’s, ehrlich gesagt, nicht anders erwartet“, antwortete er dann schulterzuckend. „Ich hab dir schon angesehen, dass du keinen guten Musikgeschmack hast.“

      „Wow, danke. Ich konnte dir auch nicht angesehen, dass du ein Arschloch bist. Aber jetzt weiß ich es“, feuerte ich empört zurück. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Ben sich ein winziges Grinsen nicht verkneifen konnte.

      „Nirvana. Lithium“, klärte er mich schließlich auf.

      Ich traute mich nicht, etwas zu erwidern – schließlich wusste ich nicht einmal, ob Nirvana der Name der Band oder der Name des Liedes war.

      „Nirvana ist nicht nur der Name der Band. Das Wort kommt aus dem Buddhismus. Es ist die Erlösung aus dem ewigen Kreislauf des Lebens“, erklärte mir Ben.

      „Erlösung?“

      „Buddhisten glauben, dass nach jedem Tod eine Wiedergeburt folgt – als Tier oder als Mensch.“

      „Also kann man theoretisch alles sein? Ein Adler, ein Delfin, ein Schmetterling?“

      Er nickte, aber sein Blick zeigte mir, dass ich ihn nicht wirklich verstanden hatte. „Das ist nicht das Schöne. Das Schöne ist, dass man sich hocharbeiten und irgendwann aus dem Kreislauf entlassen werden kann. Und das ist das höchste Glück.“

      „Das verstehe ich nicht. Das Leben ist doch etwas Schönes. Man freut sich doch, am Leben zu sein“, widersprach ich ihm. Die Vorstellung, höchstes Glück nur durch den endgültigen Tod erleben zu können, fand ich ziemlich bescheuert.

      Ben schien meine Gedanken lesen zu können und betrachtete mich mit hochgezogener Augenbraue. „Das Leben ist nicht immer schön, Lina.“ Damit brachte er mich zum Schweigen.

      Aus dem Augenwinkel betrachtete ich seine buschigen Augenbrauen und seine ernsten Züge und fragte mich, was ihm zugestoßen war. Warum er – genauso wie ich – mitten in der Nacht hier am Bahnhof saß und nicht einfach nach Hause ging. Natürlich fragte ich nicht. „Ich wäre gerne eine Möwe“, sagte ich in die Stille.

      Ben verzog das Gesicht. „Möwen fressen Fisch und stinken“, gab er zurück, während er den Blick starr geradeaus gerichtet hielt.

      Es nervte mich, wie er die Dinge sah. So ... falsch. „Möwen können fliegen. Sie leben am Meer. Möwen sind frei.“

      „Nichts und niemand ist frei“, sagte er leise. „Du bist naiv.“

      „Was wärst du denn gerne?“, fragte ich patzig, genervt von seiner Schwarzmalerei.

      Er musste nicht einmal darüber nachdenken, was er gerne wäre. „Nichts und niemand“, gab er sofort zurück. „Jemand, der den Nirwana-Status erreicht hat.“

      Es war definitiv nicht einfach, sich mit ihm zu unterhalten. Zwar konnten wir miteinander reden, aber sein ständiges Bedürfnis, mich zu belehren oder mir meine Naivität vorzuhalten, ging mir gehörig auf die Nerven. Je pessimistischer und schwarzmalerischer er redete, desto mehr interessierte mich seine Geschichte. Desto mehr interessierte ich mich für ihn. Ich mochte seine Stimme und bat ihn, mir Lithium vorzusingen, aber er weigerte sich. Als ich ihn aufforderte, mir wenigstens ein paar Zeilen vorzusprechen oder mir zu erklären, worum es in dem Lied ging, ließ er sich breitschlagen.

      Er dachte lange nach und ging die Zeilen im Kopf durch, bevor er sich aufrecht hinsetzte und tief Luft holte. „Ich schätze …, dass es um eine Person geht, die sehr gläubig ist. Gott gibt der Person Halt, nicht die Menschen auf der Welt. Und damit arrangiert sich die Person. Ihr Glaube hilft ihr dabei, nicht zu zerbrechen.“

      Ich schob die Unterlippe vor. „Hört sich sehr traurig an.“

      „Es könnte schlimmer sein“, kommentierte Ben mit einem weiteren Schulterzucken. „Die Person wird durch ihren Glauben beschützt. Bist du gläubig?“

      Darüber musste ich nachdenken. Ich war Protestantin, hatte auch meine Konfirmation über mich ergehen lassen, aber ob ich mich deshalb als gläubig bezeichnen würde, wusste ich nicht. „Ich weiß es nicht“, gestand ich.

      Er nickte langsam. „Versteh’ ich. Es gibt einfach zu viel auf diesem Planeten, das keinen Sinn ergibt. So viele Dinge passieren ... furchtbare Dinge ... manchmal denke ich, Gott muss ein Monster sein. Oder es gibt keinen Gott. Ach, ich weiß es nicht.“

      Zu diesem Zeitpunkt füllte die Schwärze den Raum um uns aus, die Laternen waren für wenige Stunden erloschen, Ben und ich saßen in gänzlicher Dunkelheit. Wenn er sein Feuerzeug aufflammen ließ, musste ich die Augen zusammenkneifen, weil mir das spärliche Licht zu hell erschien.

      Bens Nervosität schien nicht abzunehmen – das erkannte ich daran, dass er andauernd sein Feuerzeug anknipste, ohne sich eine Zigarette anzuzünden, und dann wie ein spielendes Kind darauf herumdrückte und Schatten auf den Boden projizierte. Er war ein komischer Vogel, aber obwohl wir meist stumm nebeneinander saßen, war die Stille nicht unangenehm. Ich war froh, dass er da war. Als Ben merkte, dass ich schläfrig wurde und mir die Augen zufallen wollten, hantierte er wieder an den Reißverschlüssen seiner Gitarrentasche herum. Es war ein langer Tag gewesen, an dessen Anfänge ich nicht zurückdenken wollte. Ich verdrängte jeden Gedanken, der von Gesprächen mit Ben auf dem regennassen Bahnsteig abwichen, und Ben half mir dabei, als er wieder zu spielen begann.

      „Was hörst du?“, fragte er, während seine schwieligen Hände bei dem Versuch, seine Finger warm zu halten, unaufhörlich die Saiten streichelten und Klänge erzeugten.

      Ich hatte keine Ahnung von Musik, keinen eigenen Musikgeschmack. Ich hörte eben, was alle hörten. Das, was modern war und es in die Charts schaffte. Aber irgendwie wollte ich ihm das nicht sagen. Ich wollte nicht preisgeben, wie normal – wie wenig besonders und langweilig – ich war. Denn ich wusste sofort, dass Ben anders war. Und dass es mir gefiel. Aber ich fand nicht nur seinen Musikgeschmack interessant, ich interessierte mich dafür, wie er zu seinen Ansichten gekommen war, traute mich allerdings nicht, ihn danach zu fragen. Obwohl ich nicht alles, was er von sich gab, unterstützen oder verstehen konnte, mochte ich es, dass er eine eigene Meinung hatte.

      „Grouplove?“, fragte er, während er einzelne Saiten langsam anschlug, um mir so die Möglichkeit zu geben, das Lied zu erkennen.

      „Nie gehört.“

      Außer den einzelnen Anfangstönen, die Ben gespielt hatte, hörte sich das Lied nicht traurig an. Die Akkorde flossen ineinander, es war ein schöner Song, schöner als Lithium, aber wahrscheinlich konnte ich das gar nicht beurteilen.

      „Itching on a photograph“, gab Ben bekannt und öffnete die Augen einen winzigen Spalt. „Da ist eine Fotografie, aber sie ist alt und vergilbt, eigentlich ist die Zeit also längst vergangen. Die Person ist wehmütig, aber sie weiß, dass es Zeit ist … Zeit ist, loszulassen.“ Während er sprach, wurde seine Stimme immer leiser, bis ich ihn kaum mehr verstehen konnte. Sein Blick schweifte ab ins Nirgendwo und ich sah diese furchtbare Traurigkeit ganz deutlich in seinen Schokoaugen, eine Traurigkeit, die auf ihm lag, ihn niederdrückte und ihn plötzlich vollkommen erfasst zu haben schien. Wie ein Schatten.

      „Es tut mir leid. Ich wollte nicht …“

      Sein Blick wurde verschlossen. „Hast du auch nicht.“

      Wir schwiegen uns an, bis die ersten zaghaften Sonnenstrahlen unsere durchgefrorenen Körper wärmten. Ben packte seine Sachen zusammen, während ich sitzen blieb und in die Sonne blinzelte.

      „Wohin gehst du jetzt?“, fragte ich ihn zögernd.

      Er stand mit dem Rücken zu mir, seine Locken standen in alle Richtungen ab, sein Pullover war zerknittert. Er antwortete, ohne sich zu mir umzudrehen: „Ein billiges Hotel suchen. Schlafen.“ Seine Stimme klang rau und erschöpft.

      Gerne hätte ich auch einen Plan gehabt, was ich in dieser fremden Stadt jetzt tun sollte, aber ich hatte keinen blassen Schimmer. Hatte meinen Koffer gepackt, war in einen Zug gestiegen, aber all das war eine Kurzschlussreaktion