Der Kopf von Ijsselmonde. Jacob Vis

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Название Der Kopf von Ijsselmonde
Автор произведения Jacob Vis
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726412420



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holen uns schon irgendwo ein Brötchen. Wenn Bunschoten fertig ist, legt ihr Ronnie in den Kühlschrank. Nehmt zehn Mann und einen Krankenwagen mit. Und fordert die Hundestaffel an.«

      »Ben, die ganze Stadt schwärmt aus, wenn wir mit so einem Riesenaufgebot in den Wald einfallen.«

      »Ihr müsst’s ja wissen, ihr seid die Einheimischen«, sagte van Arkel. »Na gut, dann eben kein Krankenwagen. Aber die zehn Mann und ein Hundeführer. Wenn die sich auf zwei Wagen verteilen und sich unauffällig verhalten, merkt kein Mensch was.«

      »Hier bleibt nichts unbemerkt«, erwiderte Vermeer. »Hier braucht man nur an eine andere Frau zu denken und schon steht’s morgen in der Zeitung.« Er zeigte auf den Kopf. »Ob der Mörder den Rest mitgenommen hat? Als eine Art Gummipuppe?«

      »Warum müsst ihr im Angesicht des Todes immer solche ekligen Witze machen?«, fragte Mirjam böse.

      »Gockelgehabe«, meinte van Arkel.

      Es klopfte. Seyat öffnete dem Fotografen die Tür. Bunschoten war ein magerer Mann mit einer beeindruckenden Fototasche. Er blickte mit unergründlichem Gesichtsausdruck Ronnies Kopf an und begann, eine Fotoserie zu schießen.

      Andrea lag im Dunkeln und wartete. Sie kannte jedes Geräusch in dem alten Haus, doch das, worauf sie wartete, blieb aus. Sie hörte nur das Rascheln der Mäuse hinter den Holzlatten und das Knacken der Dachbalken im Spitzboden. Wohl bekannte, vertraute Geräusche.

      Da war es! Die knarzende erste Stufe, gefolgt von der unverkennbaren Art, wie ER die Speichertreppe hinaufstieg.

      Andrea faltete die Hände. Bitte mach, dass er fällt! Mach, dass er hintenüberkippt und sich auf der Treppe den Hals bricht. Du kannst das, lieber Gott! Wenn du willst, kannst du alles! Sie betete lautlos und lauschte zugleich den Schritten des Mannes, der den Eingang zum Speicher betrat. Ich schlafe! Lieber Gott, mach, dass er weggeht! Er darf nicht kommen, du siehst doch, dass ich schlafe!

      »Andrea?«

      Sie blieb mucksmäuschenstill liegen. Sie hatte gelernt, ihre Atmung so zu beherrschen, dass sie natürlich ruhig wirkte: ein schlafendes Kind, das kein Erwachsener wecken würde. Kein Erwachsener, außer ihm. Der Mann legte ihr die Hand auf die Schulter und schüttelte sie sanft.

      »Andrea!«

      Der Mann lächelte im Dunkeln. Ihr war kalt, doch sie tat überzeugend so, als erwache sie aus einem tiefen Schlaf. Kleine Andrea.

      »Wir müssen noch beten.«

      »Ja, Onkel.«

      Noch lange nachdem er weggegangen war, blieb sie vor dem Bett hocken. Wenn sie still sitzen blieb, war das Brennen nicht ganz so schlimm, doch sobald sie sich bewegte, flammte der Schmerz auf. Ich will tot sein, dachte sie. Tot, tot, tot! All ihre Gedanken drehten sich um dieses eine Wort.

      Sie stand auf. Jeder Schritt tat entsetzlich weh, doch sie hielt durch und wankte zur Tür. Einen Stock tiefer schnarchte ihr Onkel. Sie blieb an der Treppe stehen und schaute hinunter. Der Mond, der durch das Speicherfenster schien, erleuchtete den Treppenflur. Sechzehn Stufen weiter unten glänzte die Kupferrundung der Kanonenkugel, die ihr Onkel benutzte, um die Tür zur Speichertreppe offen zu halten. Der Geländerknauf, der genau in ihre Hand passte, vermittelte ihr ein merkwürdig vertrautes Gefühl.

      Plötzlich fing sie unkontrollierbar an zu zittern. Die Schmerzen waren unerträglich. Ein paar Sekunden später hörte das Zittern genauso plötzlich wieder auf. Andrea holte tief Luft. Sie ließ das Geländer los und sprang.

      2

      Sechs Halogenlampen beleuchteten die Grube, in der Westerhof den Kopf gefunden hatte. Sie war rundum mit rotweißem Flatterband abgesperrt. Bunschoten hockte neben der Absperrung und erteilte einem Polizisten Anweisungen, der eine Lampe in das Loch richtete. Westerhof stand bei Jan van Dijk, dem Förster des Haafterveen. Van Arkel, Vermeer und Jules Berveas, der Staatsanwalt, sprachen mit einem Hundeführer, der einen Mecheler Schäferhund an der Leine hielt.

      »Meinen Sie, dass es etwas nützt?«, fragte Berveas.

      Der Hundeführer verzog skeptisch das Gesicht. »Für eine erfolgreiche Suchaktion braucht man Regen. Und Helligkeit. Eigentlich ist es schon zu dunkel. Aber wir werden es versuchen. Wenn Ihr Mann hier in der Nähe liegt, findet er ihn. Garantiert.«

      »Gut«, sagte van Arkel. »Worauf warten Sie?«

      »Dass Sie weggehen«, sagte der Beamte. »Sie stehen auf seiner Spur.«

      Vermeer feixte. Van Arkel trat beiseite. Der Hund rannte los, an ihm vorbei. Er trabte einmal im Kreis um die Fundstelle herum und verschwand in der Dunkelheit.

      »Es ist sinnlos«, bemerkte Vermeer. »Er sieht ja gar nichts.«

      »Der Hund braucht nur seinen Geruchssinn«, erwiderte van Arkel.

      »Aber sein Herrchen muss ihm hinterherrennen. Was hoffst du eigentlich zu finden?«

      »Den Rest.«

      »Schon klar. Aber dann? Jetzt um diese Zeit zerstört man eher Spuren, als dass man eine kopflose Leiche findet.«

      »Warten wir erst einmal ab«, sagte Berveas. Er trug eine Wachsjacke und einen grünen Hut, durch den sein pausbäckiges Gesicht noch rundlicher wirkte.

      Aus dem Wald ertönte ein Ruf. »Licht!«

      Zwei Beamte richteten die Scheinwerfer auf die Stelle, an der der Hund grub. Die Erhebung erinnerte ein wenig an einen Grabhügel, vor allem im unwirklichen Schein der Lampen. Westerhof und van Dijk betrachteten mit skeptischen Blicken den eifrig wühlenden Hund.

      »Was ist das für ein Hügel?«, fragte Berveas.

      »Ein alter Fuchsbau«, antwortete van Dijk.

      »Ohne Fuchs?«

      »Den hat Meneer van Beuningen vor ein paar Wochen erschossen.«

      »Könnten keine Jungen drin sein?«

      »Nein, Meneer. Und was jetzt noch beim Muttertier hockt, geht ein, bevor der Winter kommt.«

      Berveas beobachtete gespannt den Hund, der ein tiefes Loch in den Bau gegraben hatte. »Ich glaube, dass er etwas gefunden hat.«

      Der Hund knurrte, als sein Herrchen ihn zurückzog. Zwei Beamte holten Schaufeln aus dem Auto und fingen ungeschickt an zu graben. Westerhof und van Dijk nahmen ihnen schweigend die Schaufeln aus den Händen. Westerhof schabte die Erde an der Seite der Grube weg und enthüllte den Ärmel von etwas, was wie ein karierter Mantel aussah. Aus dem Ärmel schauten zwei dünne Knochen hervor. Was dahinter lag, stank entsetzlich. Die beiden Männer gruben vorsichtig um die Leiche herum. Diese Leiche hatte einen Kopf: den halb verwesten Schädel einer Dänischen Dogge.

      »Jesus!«, sagte van Arkel.

      »Das ist nicht Jesus«, erwiderte van Dijk allen Ernstes. »Das ist Polly.«

      »Wer zum Teufel ist Polly?«

      »Die Dogge von Meneer van Beuningen. Hatte immer eine karierte Decke um. Vor zwei Wochen ist sie gestorben. Meneer hat sie selbst begraben, der Jagdaufseher war dabei. Ich wusste nicht, dass er sie in den alten Bau gelegt hat.«

      »Schaufelt bitte dieses Loch zu«, sagte Berveas. »Inspecteur, ich glaube, wir sollten die Suche abbrechen.«

      Vermeer versammelte die Kollegen um sich und sagte: »Für heute Abend hören wir auf. Ich brauche zwei Freiwillige, die über Nacht hier bleiben. Freizeitausgleich laut Nachttarif.«

      »Können wir uns den Zuschlag nicht auszahlen lassen?«, fragte ein Kollege.

      »Geht auch. Hundertfünfundzwanzig Prozent.«

      »Davon bleibt mir nicht mal die Hälfte übrig«, beklagte sich der Beamte. »Ich bleibe gegen Freizeitausgleich.«

      »Okay, Schilder bleibt hier. Wer sonst noch?«

      »Ich«, sagte Mirjam.

      Van