Devolution. Ralph Denzel

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Название Devolution
Автор произведения Ralph Denzel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783941717190



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      Tom nahm die Eisenstange hoch. Sie wog schwer und lag kalt in seinen Händen. Er wusste nicht, wie viel sie aushalten würde und ob sie vielleicht sogar nach einen Schlag brechen würde, auch wenn sie sich sehr massiv anfühlte. Wenn, dann würde es vielleicht reichen, um dem Mädchen eine Chance einzuräumen. Mit einem Schlag konnte man sehr viel kaputtmachen, das wusste er.

      Vorsichtig schlich er weiter, vorbei am nächsten Gang zu dem, in dem die Vergewaltigung vor sich ging. Vorsichtig spähte er um die Ecke. Im spastisch zuckenden Schein der Taschenlampen lag ein schmächtiger Junge, er mochte höchsten siebzehn oder achtzehn sein, auf einem Mädchen, welches sicher nicht viel älter war. Sein Freund stand geifernd daneben, mit der einen Hand in der Hose und weit aufgerissenen, geilen Augen, die vor Lust funkelten.

      Angewidert umklammerte Tom die Eisenstange in seiner Hand noch etwas fester und machte langsam einen Schritt in den Gang. Kleine Pfützen, die von den abgetauten Tiefkühlaggregaten stammten, hatten sich auf dem Boden gebildet. Das Licht der Taschenlampen erzeugte Tausende kleiner Lichter auf den nassen Boden.

      Das Wasser roch modrig und faul, mischte sich nun auch mit dem Gestank der Leichen, die etwas weiter entfernt lagen, übertünchte jedoch den süßen, penetranten Totenduft. Tom nahm es nicht wahr.

      Vorsichtig, einen Fuß vor den anderen setzend, bewegte er sich in Richtung der beiden Jungen. Das Mädchen hatte augenscheinlich aufgegeben, sich zu wehren. Sie lag leise schluchzend da und ließ das Ungeheuerliche über sich ergehen wie eine Puppe. Sie blickte in seine Richtung, sah aber direkt durch ihn hindurch, als wäre er aus Glas.

      Es war sein Glück, dass die beiden viel zu sehr in ihre Tat vertieft waren, denn sonst hätten sie ihn mittlerweile garantiert bemerkt. So konnte er sich jedoch weiter leise und vorsichtig anschleichen. Das Wasser unter seinen Füßen platschte leise und schwappte in konzentrischen Wellen über den Boden. Er hob das Rohr, als wäre es ein Baseballschläger und er ein Schlagmann, der darauf wartete, einen Ball aus dem Stadion zu schlagen.

      Ihn trennten nur noch ungefähr drei Schritte bis zu den beiden Kerlen auf dem jungen Ding. Er umklammerte seinen Schläger nochmals fester. Seine feuchten Hände quietschten leise auf dem Metall.

      In seinem Inneren machte sich eine brutale, gnadenlose Entschlossenheit breit. Er würde dieses Mädchen retten, egal was es kosten würde. Das war er sich selbst einfach schuldig.

      Einen Schritt noch.

      Seine Fußspitze berührte fast schon die Ferse des Jungen, der grunzend und stöhnend immer wieder mit seiner Hüfte auf das Mädchen einstieß wie mit einem fleischigen Messer.

      »Was zum …?«, fragte der andere erschrocken. Das Licht seiner Taschenlampe glitt zu Tom, der seinen Blick jedoch nur auf den am Boden Liegenden gerichtet hatte. Das war sein Glück, denn sonst hätte der helle Strahl der Lampe ihn wahrscheinlich im ersten Moment geblendet. So jedoch spürte er nur, dass es plötzlich heller wurde, aber seine Augen krampften sich nicht zusammen.

      Er holte noch etwas weiter aus.

      Der Junge am Boden drehte sich erschrocken und leicht verärgert um. Sein Gesicht wurde fahl und seine Augen weiteten sich vor Schreck, als er Tom sah, der aus seiner Position wie ein Hüne wirkte, ein Relikt aus einer anderen, dunkleren Zeit, der über seinem Kopf seine Streitaxt schwang. Das Licht, welches sein Kumpel auf ihn warf, fiel in so einem diffusen Winkel auf Tom, dass der Großteil seines Gesichts im Schatten lang und ihm zusätzlich eine dunkle und bedrohliche Aura verschaffte.

      All das passierte in wenigen Sekunden, ebenso wie Toms Schlag. Er ließ die Stange durch die Luft sausen, und mit tödlicher Sicherheit traf sie den Jungen seitlich am Kopf. Der Schädel knackte laut, als er einer Walnuss gleich brach. Sofort kippte der Junge zur Seite und blieb zuckend liegen.

      Tom richtete seinen Blick langsam nach oben auf den anderen, der immer noch seine Hand in seiner Hose hatte und wahrscheinlich sein Ding umklammerte. Voller Schreck über Toms plötzliches Auftauchen und seinen brutalen Schlag gegen den Kopf seines Freundes hatte er die Taschenlampe sinken lassen. Der Lichtkegel ruhte nun auf seinem Freund am Boden. Tom holte erneut aus und machte, während er zuschlug, noch einen Schritt nach vorne. Dies potenzierte sich und machte den Schlag, der gegen den zweiten Jungen geführt wurde, noch brutaler. Es pflügte den Jungen von den Beinen und warf ihn kopfüber in eine der Tiefkühltruhen, in der er bewusstlos liegen blieb. Er hatte nicht einmal mehr die Zeit, sein mittlerweile schlaffes Glied loszulassen, geschweige denn einen erschreckten Aufschrei aus seiner Kehle zu pressen.

      Seine Taschenlampe fiel mit einem lauten Klirren zu Boden, rollte zur Seite und blieb dann liegen. Der am Boden Liegende lebte noch, das war eindeutig, aber wahrscheinlich würde er ohne Hilfe recht bald sterben. Blut tropfte ihm aus dem Ohr, und seine Augen zuckten panisch hin und her. Aber er bewegte sich nicht koordiniert, sondern nur spastisch und unwillkürlich.

      Tom überlegte sich, was er jetzt machen sollte. Das Mädchen am Boden hatte sich sowohl von ihm als auch von seinen Peinigern weggedreht,lag nun in der Embryonalstellung am Boden und schluchzte leise vor sich hin.

      Liegen lassen wollte er sie nicht. Aber hier raustragen? Das war ihm irgendwie zu gefährlich. Wahrscheinlich würden sie doch eh sterben, noch bevor der Rest der Welt ihnen folgen würde. Aber konnte man sich da sicher sein? Dieses Dilemma konnte er nicht ohne Weiteres lösen, dessen war er sich bewusst. Daher tat er das, was er davor auch schon so oft getan hatte.

      Tom ging zu jedem von ihnen hin, sprach die Sterbesakramente und ein Gebet für die Seelen der beiden, die eigentlich noch Kinder gewesen waren, auch wenn sie es sich sicher nie eingestanden hätten. Vergib ihnen, denn sie wussten nicht, was sie taten – ich habe es gewusst und ich hoffe, du bist damit zufrieden und vergibst auch mir. Ich wollte nur helfen und meine Schuld begleichen.

      Dann beugte er sich zu dem Mädchen.

      »Hey«, flüsterte er und streichelte ihre Wange. Sie trug keine Hose und zwischen ihren Beinen mischte sich Blut mit dem Kondenswasser auf dem Boden. Er wandte seinen Blick starr auf ihr Gesicht, bevor Bilder in seinem Kopf aufsteigen konnten, für die er in diesem Moment nicht bereit war.

      »Hörst du mich?«, fragte er sanft und freundlich »Ich will dir nichts tun. Ich will dir helfen.«

      Das Mädchen drehte sich langsam um und blickte ihn misstrauisch an. Tom griff nach der Taschenlampe und hielt sie sich ins Gesicht. Das grelle Licht blendete ihn und er musste kurzzeitig die Augen schließen.

      »Ich heiße Tom. Ich bin«, er stockte, »Pfarrer.«

      »Ein Pfarrer tötet keine Menschen«, gab das Mädchen schluchzend zurück. Immerhin reagierte sie auf ihn, dachte er sich. Das Misstrauen in ihrer Stimme war nur verständlich.

      »Aber er beschützt seine Herde.« Er strich ihr nochmals sanft über die Wange. »Wie geht es dir?«

      »Es tut furchtbar weh«, schluchzte leise. Ihre Hand wanderte auf ihren Bauch, fuhr etwas weiter runter in Richtung ihrer Scham. Dann zuckte sie zurück, als hätte sie sich verbrannt. »So weh.«

      »Das glaube ich dir. Kann ich dir irgendwie helfen?«, fragte er so einfühlsam wie er nur konnte. Er legte ihr vorsichtig die Hand auf die Schulter. Sie zuckte nicht zurück, aber zitterte noch immer unkontrolliert.

      »Ich will nach Hause. Ich will nach Hause.« Sie richtete sich auf und blickte sich um. Tom zuckte erschrocken zurück. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie auf einmal so energiegeladen sein würde.

      Sie bedeckte sich nicht, was Tom jedoch nicht auffiel. Er versuchte ihrem Blick zu folgen, um rauszubekommen was sie wollte. Er ließ die Taschenlampe über den Gang wandern, bis er irgendwann im Lichtkegel die Hose des Mädchens fand. Sie war dem Schein der Lampe offensichtlich gefolgt, denn nun versuchte sie sich an der Kühltruhe hochzuziehen, rutschte jedoch geschwächt auf dem nassen Boden aus und fiel wieder hin.

      »Ich hole sie dir«, sagte Tom und stand auf.

      Als er wieder zurück zum Mädchen kam, hatte es seine Knie bis unter das Kinn angezogen und blickte schockiert und starr vor sich hin. Die plötzliche Energie war wieder so schnell verschwunden, wie sie gekommen