Devolution. Ralph Denzel

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Название Devolution
Автор произведения Ralph Denzel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783941717190



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er gleich einer Gruppe von mehreren starken, hormongesteuerten Männern gegenüberstehen würde? Dann hätte er keine Chance. Sie könnten ihn innerhalb weniger Sekunden halbtot prügeln, dann das Mädchen weiter vergewaltigen und ihr Werk an ihm vollenden.

      Aber er konnte jetzt nicht mehr einfach gehen, nein, nicht schon wieder. Daher schlich er sich weiter. Er vertraute darauf, dass er hier irgendwie wieder rauskommen würde. Wenn nicht, dann war das wohl seine Strafe.

      »AAAAAAAAAAAAAAAAAUUH!« Eine Mischung aus Schmerzensschrei und blanker Angst dröhnte durch die Dunkelheit und schien dadurch noch verstärkt zu werden. »Halt deine Scheißfresse, du Schlampe!«, kam die schallende Antwort.

      Ein klatschendes Geräusch.

      Nach rechts.

      Das Geräusch, zuvor diffus und schwer zu orten, wurde nun immer lauter. Unter seinen Füßen knackten trockene Nudeln, die beim Plündern heruntergefallen waren und sich dann über den gesamten Boden verteilt hatten. Er steckte in einer Zwickmühle. Würde er schnell laufen, würden die Nudeln unter seinen Füßen laut knirschen und ihn vielleicht verraten. Würde er weiter so langsam laufen, dann könnte er wohl nur noch die »Überreste« von dem jungen Ding einsammeln.

      Leise fluchend schlich er weiter und wünschte sich, dass das Mädchen doch bitte wieder schreien würde, damit dieser Schrei die Geräusche überdecken würde, die er verursachte.

      Jetzt sah er ein kurzes Aufflackern, ein paar Gänge weiter vor sich. Dort musste sich früher die Tiefkühlabteilung befunden haben, dachte er.

      »Fick sie!«, jubelte eine Stimme, die er bisher noch nicht gehört hatte. »Fick sie!« Die Stimme kreischte, aber nicht vor Angst, sondern vor Freude und Erregung. »Mir geht da voll einer ab!«

      »Mach jetzt, du Fotze! Wenn du dich wehrst, dann wird es nur länger dauern.«

      »HIIIIIIIIIILF…« Weiter kam das Mädchen nicht, denn einer ihrer Vergewaltiger trat ihr gegen den Kopf und brachte sie so zum Schweigen. Tom konnte nicht einschätzen, wie alt sie war. Vielleicht war sie schon erwachsen, zumindest laut Ausweis, vielleicht aber auch jünger. Und ihre Peiniger? Auch dort konnte man keine Aussage treffen. Die Stimmen klangen nicht tief genug, um von vollkommen Erwachsenen zu stammen, aber bei Weitem nicht mehr wie die von Kindern. Dies konnte aber auch einfach an den Worten liegen, die sie mit so einer kalten Bösartigkeit aussprachen, dass Tom sich wünschte, es wären keine Kinder mehr, die zu so etwas fähig waren.

      Er stockte und blieb stehen, da er vermutete, nur noch zwei Gänge entfernt zu sein. Er musste sich zwangsweise eine Art Schlachtplan überlegen, wie er vorgehen sollte.

      Vielleicht ein Frontalangriff? Dann hätte er sicher das Überraschungsmoment auf seiner Seite. Aber wie sicher war es, dass ihm das überhaupt etwas nützte? Könnte er vielleicht irgendwie über die Regale klettern und sich von oben auf die Vergewaltiger stürzen? Wahrscheinlich würde das seine allgemeine Fitness nicht zulassen, ganz davon abgesehen, dass er die Regale nicht als stabil genug erachtete.

      Er könnte sich von hinten anschleichen. Vielleicht würde er irgendwo auf dem Boden etwas finden, das man als Waffe einsetzten konnte. Abgebrochener Teil von einem Regal, vielleicht eine liegen gelassene Dose. Irgendwas, das man als Wurfgeschoss oder als Knüppel benutzen konnte.

      Dagegen sprach leider, dass es stockdunkel war. Nur die diffus tanzenden Lichtkegel von Taschenlampen zwei Reihen von ihm entfernt spendeten etwas Licht, welches jedoch bei seiner Position komplett von der Dunkelheit geschluckt wurde.

      Wie würde ein Bruce Willis bzw. ein John McClain jetzt vorgehen? Für eine Sekunde wünschte er sich, Chris wäre hier. Dieser hatte in seinem Leben so viele Actionfilme gesehen, dass er sicher mindestens eine Idee gehabt hätte, die halbwegs sinnvoll gewesen wäre und hoffentlich auch umsetzbar. Er wäre auch mutiger gewesen, hätte sich wohl direkt auf die beiden Kerle gestürzt und versucht, sie mit bloßer Faust niederzuringen. Wenn er es auch nicht geschafft hätte, dann wäre vielleicht wenigstens das Mädchen gerettet worden.

      Noch besser wäre es, wenn Mick jetzt hier gewesen wäre. Der war für solche Situationen ausgebildet worden, hatte einen braunen Gürtel in Karate und machte mehrmals pro Woche Krav Maga. Er hätte die beiden sicher binnen Sekunden zu zwei heulenden Klumpen Mensch verarbeitet.

      Vielleicht sollte er einfach eine Drohung rufen, sich wie ein starker Mann aufspielen. Es könnte die beiden einschüchtern.

      Oder ich drehe einfach um und gehe. Ist nicht meine Angelegenheit.

      Langsam tastete er sich weiter, dieses Mal jedoch mit den Händen auf dem kalten Steinboden. Alle paar Zentimeter spürte er die gefugten Fliesen, mehr jedoch nicht. Der Boden wirkte kalt wie Eis unter seinen vor Anspannung bebenden Fingern. Er fand nichts. Keine Dosen, die als provisorisches Wurfgeschoss dienen konnten, keinen Stock – gar nichts.

      Er seufzte so laut und vernehmlich, dass das Stöhnen zwei Gänge weiter kurzzeitig stoppte. Er erstarrte in seiner Bewegung, biss sich wütend auf die Lippe und fluchte leise über seine eigene Unachtsamkeit.

      Die Stille war fast so undurchdringlich wie die Dunkelheit. Ängstlich schluckte Tom und sandte ein Stoßgebet gen Himmel. Während er betete, merkte er jedoch, dass er nicht wusste wofür. Bitte hilf mir, den beiden ordentlich in den Arsch zu treten? Bitte lass sie mich nicht töten? Egal was er bitten wollte, alles schien als Konsequenz zu haben, dass jemand verletzt oder getötet werden würde.

      Soviel dazu, meine Schuld loszuwerden.

      »Was soll’s. Dann warte ich eben im Himmel auf Pfarrer Wutknecht, wenn es schief gehen sollte und sie mich überwältigen.« Es war der schwache Versuch einer Eigenmotivation, die jedoch gründlich daneben ging.

      Gott will die Menschen reifen sehen, an Herausforderungen sollen sie wachsen und so beweisen, dass sie es wert sind. Das Schlimmste ist vielleicht nicht die Hölle, die uns nach dem Tod erwartet, sondern eine weitere Runde auf der Erde, da wir uns noch nicht als würdig erwiesen haben. Daher gibt es Leid – es ist nur dafür da, dass der Mensch an selbigem wächst und reift. Wenn es Gott gefällt und er genug gesehen hat, dann zieht man ins Himmelreich ein. Der Asteroid ist wohl jetzt die letzte Prüfung – das waren die Worte von Pfarrer Wutknecht gewesen.

      Dann versuche ich mich mal zu beweisen, dachte Tom.

      Das Stöhnen hatte wieder eingesetzt, ebenso wie das leise Wimmern des Mädchens.

      Er tastete sich weiter nach vorne, konnte aber einfach nichts finden, bis er mit seinem Kopf an etwas Hartes stieß. Der Aufprall war nicht laut genug, um die beiden Vergewaltiger nochmals zu erschrecken, aber doch schmerzhaft genug, dass Tom vernehmlich Luft einzog. Er kniete sich kurz hin, da er ein paar Sekunden warten wollte, bis der Schmerz verschwunden war, ebenso wie der leichte Schwindel in seinem dumpf dröhnenden Schädel. Kleine, bunte Punkte tanzten wie Derwische vor seinen Augen, während der Schmerz pochend durch seinen Kopf jagte. Seine Hände fielen auf etwas Metallisches, Hartes. Verwundert zog er vorsichtig daran, bis er merkte, dass es sich bewegen ließ.

      Es war eine große Metallstange, die früher dazu gedient hatte, dass die Einkaufswägen nicht gegen die Tiefkühltruhen gefahren wurden. Eine Art Stopper, wenn man so wollte. Was Tom nicht wusste, da er es in der Dunkelheit nicht sehen konnte, war, dass das eine Ende voller Blut war. Als hier geplündert worden war, hatten einige Männer diese Stange abgerissen und waren damit auf die Menschen losgegangen, die mehr Nahrungsmittel ergattert hatten als sie. Einige Gänge weiter, bei der Fleischtheke, lagen jetzt noch langsam verwesende Leichen. Nur die kühle Umgebungsluft des Kellergeschosses hatte dafür gesorgt, dass die Verwesung noch nicht so weit fortgeschritten war und sich ihr Geruch nach wenigen Metern komplett verlor.

      Tom hatte von solchen Plünderungen nur über Dritte mitbekommen. Manche Menschen hatten sich zusammengetan, hatten sich sogar noch in den letzten Wochen geholfen und unterstützt, andere hatten sich zurückentwickelt zu Tieren, die nur an ihr eigenes Überleben dachten. Jedoch die, die sich weiterhin hilfsbereit verhalten hatten, hatten unter anderem auch ihn und Pfarrer Wutknecht mit Lebensmitteln versorgt, quasi als Gegenleistung für ihre moralische Unterstützung.

      Am Ende war es egal gewesen. So oder