Название | Ypsilons Rache |
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Автор произведения | Lou Bihl |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783949286032 |
Der Ärger lag schon in der Luft, als wir zurückkehrten. Irmgard saß kerzengerade auf dem Sofa, ihre Stimme war schneidend.
»Schön, dass ihr uns wieder mit eurer Gegenwart beehrt. Und in einer solchen Situation wieder loszuquarzen, ist ja besonders sinnvoll.«
Ausgerechnet Maren fiel ihr in den Rücken. »Rauchen ist zwar beschissen, aber wenn jemand Krebs hat, soll man ihm nichts verbieten.«
»Mag sein. Aber nur, wenn der Krebs unheilbar ist«, widersprach die Hausärztin.
Carla knallte die Zigarettenschachtel auf den Tisch. »Egal wie es ausgeht, der Krebs ist für Papa vielleicht die Chance, endlich mal alles zu tun, was er immer schon tun wollte.«
Ich hielt die Luft an und fragte mich erneut, ob das wirklich meine Chance wäre. Aber Maren war schneller. »Ich gönne Papa ja alle Laster, solange er nicht schwul wird oder sich an Kindern vergeht.«
Klares Signal zum Aufbruch. Auf dem Heimweg im Taxi schrieb ich an Alex.
Ich fühlte mich so fremd, weil alles so war wie immer. Ich glaube ihnen, dass sie für mich da sein wollen, aber nicht, dass das hilft.
Die Antwort kam umgehend.
Du bist undankbar und voreilig. Sich darauf verlassen zu können, dass jemand immer für dich da sein wird, ist mehr Hilfe, als vielen Menschen jemals zuteilwird!
Bei undankbar musste ich noch grinsen, voreilig war eher gut für Gänsehaut.
Die ersehnte freie Zeit war am nächsten Morgen wie ein schwarzes Loch, das mich einsog und die Ruhe zu bleierner Stille werden ließ. Aus dem Kühlschrank schlug mir der Geruch nach schlecht verpacktem Käse entgegen, der Macchiato musste in den Ausguss, die Milch war sauer. Damit hatten sich die Frühstücksoptionen erschöpft. Eine Dose Cola und ein Eiweißriegel schafften Abhilfe.
In der Mail fand ich Alex.
Bin ja kein Wolffsjünger, deshalb habe ich die Leitlinie zur Therapie des Prostatakarzinoms runtergeladen, um zu sehen, worauf sich die Fachgurus in ihren aktuellen Empfehlungen geeinigt haben. Die Sache mit der Hormontherapie finde ich verwirrend. Habe ich es richtig verstanden, dass man euch armen Kerlen früher die Eier abgeschnitten hat und so was Ähnliches jetzt mit Medikamenten macht? Klär mich doch bitte mal auf, was daran positiv ist?? Luv Alex.
Gerührt, dass Alex, seit Jahrzehnten nicht mehr mit klinischer Medizin befasst, sich meinetwegen mit der Leitlinie herumgeschlagen hatte, schrieb ich zurück:
Geliebte Nervensäge, Testosteron macht nicht nur Männer aggressiv, sondern auch die Zellen des Prostatakarzinoms. Statt also die Hoden zu entfernen, spritzt man heute zur Zellbefriedung eine Substanz zur chemischen Kastration, die die Testosteronproduktion verhindert. Ich würde ein Medikament namens Bicalutamid nehmen, bei dem »mann« seinen normalen Testosteronspiegel behält. Das geht häufig mit einer Brustschwellung einher, das wären dann meine Titten auf Kasse. Danke für deine Sorge. Kiss Kris.
Damit war alle Energie verbraucht, so ließ ich die restlichen Mails unbeantwortet und tappte rastlos durch die Wohnung. Die Homöopathie empfiehlt, Ähnliches mit Ähnlichem zu heilen und so griff ich zu Leonhard Cohen. You want it darker, ermunterte er mich in meiner Suche nach der halbvollen Zigarettenschachtel. Tobacco is food, hatte Frank Zappa schließlich gesagt.
Ich klickte mich auf YouTube, fand sein letztes Interview kurz vor dem Tod. Zappas ehemals strotzende Kraft war mit zweiundfünfzig Jahren einer würdevollen Zerbrechlichkeit gewichen, aber selbst in seinen letzten Tagen strahlte er eine unzerstörbare Stärke aus. I am totally unrepentant, antwortete er auf die Frage, ob es Dinge in seinem Leben gebe, die er bereue. Beneidenswert. Nie hätte Frank seine Frankie versteckt, hätte es denn eine gegeben. Und dann warf er noch nonchalant hinterher, dass es ihm vollkommen gleichgültig sei, ob sich jemand an ihn erinnere. I don’t care, it’s not important to be remembered.
Ich fand keine Taschentücher, also griff ich zum Geschirrtuch. Bei der Suche in Sachen eigener Reue fand ich eher Unterlassenes als Getanes. Auch nicht viel Erinnerungswürdiges. Und wenn es nicht darauf ankam, erinnert zu werden, musste zumindest das Konto der eigenen Erinnerungen aufgestockt werden. Ein Konto, das niemand abräumen kann, quasi als Anlage fürs Restleben.
Zum Beispiel mit einem Roadtrip.
Wie immer, wenn ich keinen Anfang fand, schrieb ich eine Checkliste; diesmal um zu sortieren, was wichtig war nach Wolffs Diagnose. Aufschreiben, was zu tun ist, schafft die Illusion, etwas getan zu haben, auch wenn nichts erledigt ist.
To do – vor der Reise
• Zweitmeinung Radioonkologe
• Ergebnisabhängig: zweites Gespräch mit Wolff
• Abschiedsfete Institut
• Petra – Finissage
To do – Roadtrip
• Stuttgart: Klassentreffen, Testlauf Coming-out? Manfred wg. Vorsorgevollmacht für Mutter
•Heidelberg: Mathias wg. Unterstützung bei Statistik im
• Buch. Testlauf II.
• Köln: Otto. Vortrag und romanische Kirchen, Testlauf III.
• Hamburg: Mutter Vorsorgevollmacht, Testlauf IV?
• Hallig Hooge: Kontemplation, Erlebnis-Verdauung. Experiment: Wie kommt Kristina auf dem Land zurecht?
• Lissabon über Frankreich, Spanien → BUCH
Zwar hatte Manfred an jenem Wochenende eigentlich keine Zeit, da seine Frau ein verlängertes Wellness-Wochenende plante und er sich um die Kinder kümmern sollte. Er ließ sich dann aber doch zu einem Treffen breitschlagen. Ich verkniff mir jeden Kommentar in Erinnerung an den anhaltenden Zorn meines kleinen Bruders, als Mutter vor einigen Jahren angemerkt hatte, so sei das eben, wenn man mit Frauen im Alter einer Tochter Kinder zeuge, die selbst als Enkel anstrengend wären. Manfreds zweiter Frühling war mit Anfang vierzig in Gestalt einer blonden Bachelor-Aspirantin in sein Leben getreten. Nachdem sie im Rahmen ihres dualen Studiums ein Praktikum in seiner Firma absolviert hatte, verzichtete sie nach dem Bachelor auf das Masterstudium und schenkte ihrem älteren Lover zwei lebhafte Kinder.
Mein alter Studienfreund Mathias stimmte dem vorgeschlagenen Termin sofort zu und versprach, seine Statistikexpertise zu meinem Buch beizusteuern. Ich vermisste allerdings jegliche Begeisterung über unser erstes Wiedersehen nach zehn Jahren Sendepause und ahnte einen Zusammenhang zu seiner kryptischen Andeutung, körperlich nähere er sich der Schrottreife.
Wenigstens Otto und Conchita zeigten sich enthusiastisch. Am einfachsten gestaltete sich Punkt eins: ein Telefonat, und der Termin beim Radioonkologen stand.
»Professor Schön erwartet Sie, darf ich Espresso, grünen Tee oder ein Kaltgetränk anbieten?« J. F. Lemontin stand auf dem Namensschild des hoch gewachsenen jungen Mannes mit gepflegten Rastazöpfen und französischem Akzent. Der schwarze Sekretär begleitete mich in das lichtdurchflutete Sprechzimmer des Radioonkologen, der ohne Arztkittel noch drahtiger wirkte. Unbefangen lächelnd begrüßte er mich mit festem Händedruck und meinte, für die Begegnung von Starck und Schön hätte er eine Kneipe bevorzugt. Was mir nicht anders ging. Über seinem Schreibtisch hing eine Lithographie von Josef Albers, eine seiner tausend Homages to the Square.
»Soll Albers’ gelbe Studie dem Betrachter Ihre Strahlen nahebringen?«
Um seine Augen kräuselten sich Lachfältchen. »Der Titel des Bildes ist ›Joy‹, aber ich bin begeistert, dass Sie darin die Strahlen sehen.«
Nach