Название | Louis Nicolas Davout. Das Genie hinter Napoleons Siegen |
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Автор произведения | Alain Felkel |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711448939 |
I
Der gestürzte Kriegsgott
Am Abend des 16. Juni 1815 ereignete sich über dem belgischen Örtchen Ligny unweit von Namur ein grandioses Naturschauspiel. Während Franzosen und Preußen in mannshohen Getreidefeldern erbittert um den Sieg rangen, wuchsen am Himmel urplötzlich riesige Wolkenberge zu einer tiefschwarzen Gewitterfront zusammen, deren unheilschwangerer Schatten sich wie Nacht über die Walstatt legte. Dann brach das Inferno über die Schlacht herein. Blitze zuckten über den lichterloh brennenden Dörfern der Hauptkampflinie, sintflutartige Regengüsse nahmen den Kämpfenden die Sicht und verwandelten die zerfahrenen Straßen sofort in undurchdringlichen Morast, auf dem sich die Züge der berittenen Artillerie reihenweise festfuhren. Flinten und Kanonen versagten ihren Dienst, weil das Zündpulver nass wurde. Wo nicht im mörderischsten Nahkampf Säbel und Bajonett wüteten, erstarben die Gefechte.
Doch anstatt das Gemetzel abzubrechen, nutzten Preußen wie Franzosen die eingetretene Gefechtspause fieberhaft, den letzten Waffengang vorzubereiten. Während der preußische Feldherr Blücher seine Truppen für den Entscheidungsangriff auf seiner rechten Flanke konzentrierte, ließ Napoleon im Schutze des Regenschleiers seine Alte Garde aufmarschieren, um mit einem letzten Angriff das preußische Zentrum zu zertrümmern.
Der Aufmarsch der Franzosen war gerade beendet, als das Gewitter sich legte. Für einen Augenblick herrschte Stille. Dann riss der Himmel auf und eine majestätische Abendsonne drang durch die Wolken. Dies war der Moment, in dem die Schlacht von Neuem erwachte. Mit begeistertem »Vive L’Empereur!« stürzte sich die Alte Garde auf die Preußen und schlug sie nach heftigen Nahkämpfen vollständig. Fluchend erkannte Blücher seinen Fehler, doch es war zu spät. Bei einem Gegenangriff erhielt sein Schimmel einen Kopfschuss und begrub ihn im Todeskampf unter sich, wobei der Feldmarschall schwere Quetschungen erlitt.
Aber Blücher hatte Glück. Während die Reiterschlacht um ihn herum tobte, zog sein Adjutant Nostitz den Feldmarschall kaltblütig mithilfe eines Ulanen unter seinem toten Pferd hervor und barg ihn, als es dunkel wurde, vom Schlachtfeld.
Im Schutz der Nacht irrte Nostitz stundenlang mit dem Verletzten umher, bis er bei Gentinnes auf die preußischen Linien stieß. Jetzt erst konnten die Fliehenden aufatmen. Nostitz nahm mit Blücher in einem Bauernhof Quartier, wo dieser endlich einige Stunden Schlaf fand. Der Feldmarschall war gerettet, die Schlacht verloren.
Napoleon hatte einen beachtlichen Sieg errungen und glaubte die Preußen vernichtend geschlagen. Jetzt konnte er sich völlig auf die vereinigte britisch-holländische Armee unter dem Herzog von Wellington konzentrieren. Dieser war am Tage unweit von Ligny bei Quatre Bras von den Truppen Marschall Neys angegriffen worden und hatte sich nach heftigen Gefechten auf die Höhen des Mont St. Jean bei Waterloo zurückgezogen. Und dieser Umstand stimmte Napoleon optimistisch, die Armee Wellingtons in der kommenden Auseinandersetzung zu vernichten. Wenn er ihn entscheidend schlug, sah er eine Chance, dass England aus der übermächtigen Allianz der Verbündeten ausscherte, die sich nach seiner Flucht aus Elba gegen ihn gebildet hatte.
Am 1. März 1815 war Napoleon in Südfrankreich gelandet und hatte nach einem Triumphzug durch Frankreich die bourbonische Herrschaft gestürzt. Daraufhin hatten England, Russland, Preußen, Österreich und Schweden ihn zum Aggressor gegen den Weltfrieden erklärt und am 25. März gemeinsam beschlossen, 700 000 Mann unter der Führung des Fürsten von Schwarzenberg gegen Napoleon ins Feld zu stellen. Um die Finanzierung einer derartig gewaltigen Armee zu gewährleisten, war Großbritannien die Verpflichtung eingegangen, mithilfe der Rothschilds fünf Millionen Pfund Sterling zur Verfügung zu stellen.
Schied also England aus, so schien es Napoleon nicht unwahrscheinlich, dass Österreich von einem Kampf gegen Frankreich Abstand nahm, was seine Siegeschancen gegenüber Preußen und dem Zarenreich schlagartig erhöht hätte.
Aber Napoleon verrechnete sich. Statt sich, wie er zu Unrecht vermutete, übereilt nach Lüttich zurückzuziehen, zog Blücher mit seiner geschlagenen Armee Wellington entgegen, um sich mit ihm bei Waterloo zu vereinen.
Von all dem ahnte Napoleon nichts. In bester Siegeslaune schickte er noch am Abend der Schlacht eine erste Depesche nach Paris, die den Franzosen den Sieg über die Preußen verkündete.
Zwei Tage später, am 18. Juni 1815 pünktlich um 6 Uhr morgens, weckten 101 Kanonenschüsse Paris auf und stürzten es in einen Freudentaumel. Verschlafen strömten Tausende auf die Place Vendôme, die Champs-Elysées und zum Invalidendom, wo Zeitungsverkäufer gratis Flugblätter verteilten, die den Triumph von Ligny verklärten. Tränen des Glücks stiegen den Anhängern des Kaisers in die Augen. Im Überschwang der Gefühle verbreiteten sich Gerüchte, dass Blücher gefallen und der Herzog von Wellington gefangen sei. Und so blühten an jenem herrlichen Pariser Sommersonntag des 18. Juni 1815 trügerische Illusionen hinsichtlich eines zukünftigen Friedens, die nur wenig mit den politischen und militärischen Realitäten der Gegenwart zu tun hatten.
Denn am selben Tag, an dem in Paris die Rauchwolken von 101 Triumphschüssen in den Himmel stiegen, verlor Napoleon die Schlacht von Waterloo gegen die vereinigten Armeen Wellingtons und Blüchers. Als die Sonne unterging, wälzte sich die Masse des französischen Heeres in panischer Flucht unaufhaltsam nach Süden. Fassungslos sah Napoleon, wie er von einem widrigen Schicksal binnen einer Stunde um die Früchte eines sicher geglaubten Sieges betrogen wurde, der den Feldzug entschieden hätte. Verzweifelt suchte er inmitten eines der letzten, noch intakt gebliebenen Karrees der Alten Garde den Tod. Nur unter Aufbietung aller Kräfte gelang es seinen Getreuen Soult und Bertrand, ihn vom Schlachtfeld zu zerren. Mit einer kleinen Eskorte, bestehend aus seinem Generalstab und einigen Gardejägern zu Pferd, ließ der gestürzte Kriegsgott die Trümmer seiner Armee hinter sich. Im gestreckten Galopp ritt Napoleon nach Philippeville, wo er am 19. Juni um 9 Uhr im Gasthof »Le Lion d’Or« endlich Rast machte.
Trotz Erschöpfung fand er keine Ruhe. Fern davon, sich von den Strapazen zu erholen, diktierte er seinem Sekretär zwei Briefe: einen für den Ministerrat, der das Ausmaß der Niederlage herunterspielte, und einen anderen für seinen Bruder Joseph, in dem er ihm schonungslos die Größe des Desasters offenbarte. An die 24 000 Mann waren bei Waterloo entweder gefallen, verwundet oder in Gefangenschaft geraten, 114 Kanonen unwiederbringlich verloren und die Armee in völliger Auflösung. Aber Napoleon hatte keine Zeit für Zahlenspiele. Nachdem er die Briefe an Joseph abgeschickt hatte, ritt er mit seinem Gefolge weiter nach Laon, wo er einige Stunden rastete und Soult die Reorganisation der geschlagenen Nordarmee übertrug. Obwohl ihm dieser davon abriet, nach Paris weiterzureisen, machte er sich von Neuem auf den Weg. Der Kaiser wusste: Er musste unter allen Umständen in die Hauptstadt seines Reiches eilen, wollte er an der Macht bleiben und seinen Feinden nicht wie 1814 erneut Gelegenheit geben, ihn zu stürzen.
In Paris ahnte man von alldem nichts. Am 19. Juni wiegte sich die Seinemetropole in trügerischer Sicherheit. Obwohl der Feldzug noch nicht beendet war, suchten an jenem herrlichen Sommertag Tausende unbeschwert ihr Vergnügen auf den Boulevards und in den Cafés. Der Krieg, so schien es, war weit weg und der endgültige Sieg nah. Wozu sich also sorgen?
Und trotzdem gab es Franzosen, die an jenem Tag ein ungutes Gefühl hatten, einen untrüglichen Instinkt, dass etwas nicht stimmte. Einer von ihnen war der Kriegsminister von Frankreich, Louis Nicolas Davout, Herzog von Auerstedt und Fürst von Eckmühl.
Grund dieser Beunruhigung war eine Depesche, die Davout im Laufe des Tages zugestellt bekommen hatte. Die Nachricht enthielt die dringende Aufforderung, alles an Waffen, Ausrüstungsgegenständen und verfügbarer Munition sofort in die Magazine der Nordarmee zu schicken und den Ausbau der Pariser Befestigungen voranzutreiben. Dies ließ Davout aufhorchen. Als Kriegsminister wusste er die Arsenale der Nordarmee bestens ausgerüstet. Waren diese Vorräte etwa in die Hände der Alliierten gefallen? Wenn ja, konnte das nur bedeuten, dass der Kaiser eine Niederlage erlitten hatte. Davout brauchte Gewissheit. Befolgte er den Befehl blindlings, drohten die Munitionstransporte in die Hände des Feindes zu fallen. Mit banger Erwartung wartete er auf Nachrichten aus dem Louvre. Hier befand sich der Anfangs- und Endpunkt des optischen Telegrafennetzes Frankreichs, die Schaltzentrale des Kaiserreichs, befehligt von Joseph Bonaparte, dem älteren Bruder