Nur ein kleiner Verdacht. Sabine Howe

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Название Nur ein kleiner Verdacht
Автор произведения Sabine Howe
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783949298011



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streckte sich flach auf dem Boden aus und versuchte, den Stopper zu greifen, doch ihr Arm war zu kurz. Sie probierte es von der anderen Seite. Ihre Fingerspitzen berührten das kleine Teil, aber sie bekam es nicht zu fassen. Nächster Versuch mit einem Kleiderbügel.

      Mit Schwung beförderte sie den Stopper unter dem Bett hervor.

      Maggie kletterte auf den Sessel am Fenster und langte nach der Vorhangschiene, aber sie war zu klein. Auf dem Weg in den Keller, wo der Tritt stand, traf sie Karl. So hatte sie die erste Begegnung zwischen ihrem Mann und ihrer neuen Frisur nicht geplant.

      „Wie siehst du denn aus, Kleines?“

      „Ich kann jetzt nicht“, murmelte Maggie und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar, um die neue Frisur fürs Erste zu vertuschen.

      Sie lief weiter in den Keller.

      „Ist was passiert?“, fragte Karl, als sie mit dem Tritt in der Hand die Stufen wieder hinaufkam.

      „Nein, nein – nur der Schlafzimmervorhang.“ Sie hastete weiter ins obere Stockwerk.

      „Brauchst du Hilfe?“, rief Karl ihr nach.

      „Nein. Mach doch schon mal den Fernseher an, die Nachrichten kommen gleich.“

      Durchatmen und der Reihe nach: erst der Vorhang.

      Nachdem sie die letzten Rollen in die Schiene geschoben und den Stopper festgezogen hatte, ging sie ins Badezimmer. Ein leichtes Make-up, ein wenig blauer Lidschatten passend zur Jacke, Rouge, die Haare hinters Ohr – perfekt! Aus dem Wohnzimmer dröhnte der Fernseher. Karl stellte neuerdings so laut, ob er schwerhörig wurde? Das würde ihm nicht gefallen. Sie beschloss, die Sache im Auge zu behalten.

      Das kleine Malheur hatte ihren Zeitplan ein wenig durcheinandergebracht. Normalerweise aßen sie – wenn keine Gäste kamen oder Karl nicht seinen Sauna- oder Schwimmabend hatte – zwischen den 19-Uhr- und 20-Uhr-Nachrichten zu Abend. Das war knapp, aber noch zu schaffen. Sorgfältig deckte sie das Backblech mit Papier ab. Dann legte sie die Toastbrotscheiben auf das Blech – für jeden zwei, das sollte reichen. Wenn Karl noch Hunger hatte, würde sie ihm noch ein Schinkenbrot machen. Sie beträufelte den Toast mit Öl, verteilte den Kochschinken, die Ananasscheiben und obendrauf den Schmelzkäse. Sie hatte die Ofentür gerade zugeklappt, als das Telefon wieder klingelte. Andrea! Die hatte sie über die Aufregung ganz vergessen, aber jetzt passte es auch nicht. In einer Dreiviertelstunde fing ihr Italienischkurs an, bis dahin musste sie aufgedeckt, gegessen und abgedeckt haben. Sie lief zum Telefon, lüftete den Hörer ein paar Zentimeter und legte ihn wieder zurück auf die Gabel.

      ‚Morgen ist auch noch ein Tag’, dachte sie, während sie das Tablett vorbereitete.

      „Jetzt zeig mir mal deine neue Frisur.“

      Karl stand direkt hinter ihr. Er nahm sie an den Schultern, drehte sie zu sich um und fasste ihr unter das Kinn.

      „Ganz schön was ab.“

      „Gefällt’s dir?“

      „Flott, aber das muss nicht sein.“

      Mit beiden Händen holte er rechts und links ein paar Strähnen hinter ihrem Ohr hervor und strich sie ihr ins Gesicht. „So ist es besser. Nicht so streng.“

      Sie hatte es geahnt. Er hatte es nie gemocht, wenn sie ihr Haar hinter den Ohren trug. Sie würde ihn langsam daran gewöhnen müssen, vielleicht erst einmal mit einem freien Ohr. „Heute Abend gibt’s diesen Krimi mit dem vergesslichen Kommissar, den du so magst. Du weißt schon …“

      „Heute Abend habe ich Italienisch“, unterbrach sie ihn. „Aber schau du ihn dir an, du magst ihn doch auch.“

      „Keine Zeit, ich muss mich um die Steuererklärungen kümmern.“

      „Übrigens – Anne und Theo können an diesem Donnerstag nicht. Sie haben gefragt, ob es auch Mittwoch passt. Ich habe gesagt, im Prinzip schon, aber ich muss dich erst fragen. Ausnahmsweise könntest du doch deinen Saunaabend verschieben, oder?“

      „Wieso können wir das Essen nicht um eine Woche verschieben?“

      „Weil sie dann für vier Wochen in Südfrankreich sind.“

      „Dann machen wir es eben später.“

      „Bitte, Karl – dieses eine Mal. Ich habe schon alles eingekauft.“

      „Also ist es jetzt schon beschlossene Sache? Wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich es nicht mag, wenn du über meinen Kopf hinweg entscheidest?“

      „Och, komm schon. Ich frage dich hiermit offiziell, ob du ausnahmsweise bereit wärst, deinen Saunaabend für ein Abendessen mit deinem Freund Theo und seiner Frau Anne zu verschieben.“

      „Ausfallen zu lassen.“

      „Ja, meinetwegen auch ausfallen zu lassen. Obwohl deine Saunafreunde vielleicht auch mal einen Tag später können.“

      Schweigen. „Das bleibt aber eine Ausnahme!“

      „Versprochen!“

      Beim Abendbrot war ihr Mann schweigsam. Maggie hatte ihm eigentlich von ihrem Erlebnis beim Friseur erzählen wollen, aber sie spürte, der Moment war nicht passend.

      „Die Steuer?“, fragte sie nach dem sechsten Happen.

      Er nickte.

      „Wenn ich dir doch nur dabei helfen könnte.“

      „Sei froh, dass du dich damit nicht belasten musst! Außerdem bin ich mir nicht sicher, was dabei herauskäme. Du kannst dir ja nicht mal meine Termine merken.“ Er tätschelte ihre Hand.

      Maggie stand auf, räumte den Tisch ab und verstaute das Geschirr in der Spülmaschine. Sie hatte ihren zweiten Toast nicht gegessen. Sorgfältig schlug sie das Brot in Stanniol-Papier ein und legte es in den Kühlschrank. Vielleicht hatte sie nach dem Italienischkurs wieder Appetit.

      Sie war nicht die Erste an diesem Abend. Vor dem Klassenzimmer in der Grundschule warteten bereits drei weitere Kursteilnehmer. Insgesamt waren sie zwölf Personen. Eine überschaubare Zahl. Man kam wenigstens ab und zu an die Reihe.

      „Ciao“, begrüßte sie die anderen.

      „Ciao, wie geht’s?“

      „Ist Giuseppe noch nicht da?“

      „Anscheinend nicht, der Klassenraum ist noch verschlossen“, sagte Angela, eine der jüngeren Frauen in der Runde. Langsam füllte sich der Vorraum immer weiter, bis schließlich alle zwölf Italienisch-Anfänger zusammenstanden.

      „Warst du beim Friseur?“, fragte Angela.

      „Ja, heute Nachmittag.“

      „Sieht gut aus. Tolle Farbe und die freien Ohren, das steht dir!“ Maggie nannte den Namen des Salons.

      Die Sekretärin kam aus ihrem Büro.

      „Giuseppe hatte auf dem Weg hierher einen Unfall. Nichts Schlimmes, nur ein Blechschaden. Aber die Stunde fällt heute aus.“

      Schade. Maggie hatte sich schon ausgemalt, wie Giuseppe auf ihre neue Frisur reagieren würde: „Maggie – due siehste aus dieci Jahre jünger ...!“ Die Italiener waren immer so übertrieben – das amüsierte sie.

      Zuhause steckte sie den Schlüssel leise ins Schloss. Karl saß wahrscheinlich über der Steuer und wollte nicht gestört werden. Sie schlich auf Strümpfen in die Küche, setzte Teewasser auf und machte sich auf den Weg nach oben, um sich warme Socken zu holen.

      Als sie an Karls Büro vorbeikam, hielt sie kurz inne und lauschte. Nichts. Vielleicht war er eingeschlafen. Sie wollte gerade weitergehen, da dröhnte es plötzlich durch die Tür:

      „Hallo Kleines!“

      Von wegen, schwerhörig!

      „Hallo“, sagte sie.

      „Na, wie war dein Tag?“

      Wie bitte? Sie hatten