Название | Nur ein kleiner Verdacht |
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Автор произведения | Sabine Howe |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783949298011 |
…
„Deshalb rufe ich ja an, Kleines.“ Maggie strich mit den Zehen ihres rechten Fußes die Fransen der persischen Brücke, die im Flur lag, gerade, bis alle wieder in eine Richtung zeigten.
„Ja, nein. Es tut mir leid. Wie wär’s stattdessen mit Donnerstag? … Ja? … Fein. Ich hole dich ab … Mach’s gut, Kleines. Nicht traurig sein!“
Kleines?
Das war doch sie.
Klack, der Hörer wurde aufgelegt. Ein fröhliches Pfeifen drang aus dem Zimmer.
Maggie schlich nach oben ins Badezimmer. Sie schloss die Tür von innen ab und setzte sich auf den Wannenrand.
Merkwürdiges Muster, das ihre neuen schwarzen Schuhe auf den weißen Tennissocken hinterlassen hatten. Dünne Wellenlinien, die quer über den Spann liefen. Ob das beim Waschen wieder rausging?
Als sie aufblickte, sprang ihr ein Gesicht im Spiegel entgegen, das sie seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte. Knallrote Flecken auf Wangen und Hals, ein Mund, schmal und ausdruckslos wie eine Erdspalte, Augen, für die der Zusatz „Glubsch“ untertrieben wäre. Dazu eine Frisur, die jetzt mehr als lächerlich wirkte. Mit beiden Händen zog Maggie ihr Haar hinter den Ohren hervor und strich es sich ins Gesicht. Zu kurz, zu flott, völlig unangemessen für ihr Alter. Wie hatte sie sich nur dazu überreden lassen können! Und dann diese Strähnchen! „Helles Haar macht jünger, Frau Maggie. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich spreche!“
Eine zweite Erinnerung verdrängte die erste. Wann war es gewesen?
Im Winter vor zwei Jahren? Oder erst letzten Winter? Auf jeden Fall im Winter. Auf der Rückfahrt hatte es geschneit.
Sie waren zum fünfzigsten Geburtstag von Karls ehemaliger
Sekretärin eingeladen. Eigentlich hatte sie sich an diesem
Tag nicht besonders wohlgefühlt, eine Erkältung war im Anflug. Aber Karl bestand darauf, dass sie mitkam.
„Kleines – du bist Frau Nienstetten. Meinst du, ich kreuze da als Einziger alleine auf?“
„Du bist doch gar nicht allein. Du triffst deine alten Kollegen. Ich stehe nur daneben.“
„Ich will nichts mehr hören – zieh dir etwas Schickes an und mach dich zurecht. Um acht müssen wir da sein.“
Er hatte sie unters Kinn gefasst und ihr in die Augen geschaut. „Ich brauch’ dich – das weißt du doch.“
Zwei Stunden später lehnte sie in einer Ecke des riesigen und für Maggies Empfinden viel zu schwarz-weißen Wohnzimmers von Frau Mertens, besser gesagt Fräulein Mertens – Karls Sekretärin hatte nie geheiratet – und nippte an ihrem Weißwein.
Ihr Mann lachte, umrundet von vier oder fünf seiner früheren Mitarbeiter.
Die Mitarbeiter lachten ebenfalls. Es war schon reichlich Alkohol geflossen. Fräulein Mertens steuerte freundlich auf sie zu.
„Frau Nienstetten. Sie stehen hier so allein. Kommen Sie doch zu uns an den Tisch.“ Maggie folgte ihr. Ihr Kopf schmerzte, endlich sitzen. Sie nahm neben einer elegant gekleideten Dame gleichen Alters Platz und schlug die Beine übereinander.
„Guten Abend“, begrüßte sie die Dame. „Ganz schön anstrengend, so ein Haufen alter Haudegen, nicht wahr? Ich heiße Bettina von Bettstein und bin die Frau von Armin von Bettstein. Und Sie?“
„Maggie Nienstetten“, hatte Maggie geantwortet. „Die Frau von Karl Nienstetten.“
Die Dame namens Bettina von Bettstein stutzte für einen Moment. „Dem Karl Nienstetten dort drüben?“
„Genau dem.“
„Ach nein. Dann sind wir uns doch schon mal begegnet, warten Sie mal, so vor etwa zwei Jahren! Beim Italiener – wie hieß er noch gleich? Erinnern Sie sich? Sie saßen mit Ihrem Mann in der Ecke beim Aquarium, als wir reinkamen, und es war ganz deutlich, dass Sie an diesem Abend unter sich bleiben wollten. Ich war fast ein bisschen neidisch, Sie wirkten so, wie soll ich sagen, so liebevoll miteinander. Aber ich muss zugeben, ich hätte Sie nicht wiedererkannt. Waren Sie beim Friseur? Sie waren doch blond!“
Maggie lachte. „Nein, nein, das müssen Sie verwechseln. Ich war schon immer brünett.“
„Tatsächlich? Dann muss ich mich vertan haben. Wir sind so viel unterwegs. Man verliert den Überblick.“
„Das kann passieren. Ich habe auch ein schlechtes Personengedächtnis.“
An dieser Stelle endete die Unterhaltung, denn Frau von Bettstein wurde plötzlich müde. Sie gähnte, verabschiedete sich und zog ihren Mann am Ärmel aus seiner Männerrunde. Ein letzter Blick, ein Lächeln, kurz darauf verließen beide das Fest.
‚Was für eine dämliche Geschichte’, dachte Maggie auf dem Badewannenrand. Die Klinke ging.
„Bist du da drin, Maggie?“
„Ich bin auf der Toilette.“ Sie sprang auf und zog die Spülung.
„Seit wann schließt du ab? Wieso bist du überhaupt zuhause?“
„Der Kurs ist ausgefallen.“
„Warum sagst du keinen Ton, wenn du zurück bist?“
„Ich wollte dich nicht stören. Du warst ja an der Steuer.“
„Sag Bescheid, wenn du fertig bist.“
Karls Schritte entfernten sich. Maggie drehte den Wasserhahn auf, versuchte, ihre glühenden Wangen mit Wasser zu kühlen, bürstete sich das Haar (zwecklos), trug ein wenig Lippenstift auf (etwas besser) und drehte den Schlüssel im Schloss.
„Diese Steuererklärungen machen mich fertig.“
Karl kam mit einer Flasche Rotwein in der linken und dem Korkenzieher in der rechten Hand in die Küche.
„Was das angeht, kostet mich diese freiberufliche Arbeit der letzten Jahre mehr Nerven als 40 Jahre Festanstellung.“
Das heiße Teewasser dampfte in Maggies Tasse mit dem Aufdruck: „Wenn dein Pferd tot ist, steig ab.“
Susanne hatte sie vor Jahren mit nach Hause gebracht, ein Werbegeschenk einer Autofirma.
„Hat jemand angerufen?“, wollte Maggie wissen.
„Niemand.“ Karl entkorkte den Wein.
Maggie schaute ihn an, er lächelte.
„Sehen wir uns den Rest des Krimis an, Kleines“, schlug er vor.
„Ich habe keine Lust mehr auf Steuern. Ach übrigens – ich hab meinen Saunaabend auf Donnerstag verschoben.“
„Hat’s doch noch geklappt.“
„Ja, aber nur mit viel Überredungskunst!“
Am nächsten Morgen erwachte Maggie früh. Sie stand immer vor Karl auf, um das Frühstück vorzubereiten. Aber heute war es besonders früh. Sie schlüpfte in ihre Fellpantoffeln und den chinesischen Morgenmantel, den Karl ihr von einer Dienstreise aus Shanghai mitgebracht hatte, und schlich aus dem Zimmer. Im Wohnzimmer drückte sie den elektrischen Rollladenheber. Das leise Summen des Motors noch im Ohr, setzte sie den Kaffee auf. Träge tröpfelte das Wasser durch den Filter, bevor es kurz vor Ende zischte und gurgelte. Maggie nahm ihren Teebecher vom Vorabend, spülte ihn aus, füllte Kaffee hinein und ging in den Garten. Ein paar Krähen pickten im Rasen. Normalerweise hätte sie in die Hände geklatscht, um die Vögel zu verjagen, aber sie wollte nicht, dass Karl aufwachte. Ein paar der Rosen, die sie erst in diesem Frühjahr an den linken Terrassenrand gepflanzt hatte, ließen die Köpfe hängen. Blattläuse! Sie würde ein neues Ungeziefervernichtungsmittel kaufen müssen. Wo gab’s das kürzlich noch im Angebot? Es wollte ihr nicht einfallen. Sie stellte den Kaffeebecher auf den weißen Gartentisch und ging in den Schuppen hinten im Garten, holte die Rosenschere und begann, die morbiden Blüten abzuschneiden. Ein Dorn ratschte ihr