Название | Nur ein kleiner Verdacht |
---|---|
Автор произведения | Sabine Howe |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783949298011 |
KLEINES!
Hatte sie sich verhört?
Stimmte etwas mit ihrem Kopf nicht? Das sollte es geben. Sie hatte einmal von einer Frau gelesen, die gleichzeitig vier verschiedene Personen war, und keine wusste von der anderen. Aber sie war sich mehr als im Klaren darüber, dass sie es war, die gestern vor Karls Bürotür gestanden hatte. Vielleicht hatte er mit ihrer Tochter Susanne in Amerika gesprochen. Das wäre die Erklärung.
Quatsch! „Ich hole dich Donnerstag ab“ – aus Amerika? Sehr witzig!
Maggie brachte die Gartenschere zurück in den Schuppen und ging ins Haus, um die Wunde zu desinfizieren.
Oben rumorte Karl im Badezimmer. Sie schaute auf die Uhr. Schon halb neun. Eilig steckte sie das Brot in den Toaster und begann, den Tisch zu decken. Karl liebte ein perfektes Frühstück. „Das ist der Grundstein für einen erfolgreichen Tag!“
Früher, als er noch festangestellt gewesen war, hatte er meistens nur hektisch eine Tasse Kaffee hinuntergekippt, sich eine Banane oder einen Apfel geschnappt und weg war er. Aber seitdem er von seinem Managerposten in dem Pharmaunternehmen zurückgetreten war, „um dem Nachwuchs nur noch beratend zur Seite zu stehen, sofern das denn überhaupt erwünscht ist“, wurde das Frühstück im immer gleichen Rhythmus zelebriert. Maggie war für das leibliche Wohl zuständig, und Karl wertete die Tageszeitung aus. In der Regel überließ er ihr den Regionalteil, während er sich den großen Themen Weltpolitik und Wirtschaft widmete. Wenn er auf etwas Besonderes stieß, las er es laut vor. Ansonsten schwiegen sie den längsten Teil des Morgens und genossen die Ruhe, die in ihr Leben eingekehrt war, seitdem die beiden Mädchen aus dem Haus waren. Bevor Maggie nach etwa einer Dreiviertelstunde wieder abräumte, besprachen sie kurz den Tagesplan. Wenn Karl keine Termine hatte, hielt er sich vormittags in seinem Büro auf, um seinen Geschäften nachzugehen: Telefonate führen, Briefe lesen, Rechnungen schreiben. Sagte er zumindest. Maggie glaubte, dass er hauptsächlich Zeitung las. Und warum auch nicht? Er hatte in seinem Leben genug gearbeitet. Sie machte erst die Küche, dann die Betten. Danach putzte sie das Bad. Karl mochte es, wenn jeden Tag frische Handtücher an den Haken hingen und die Becken sauber glänzten. Er hatte viel Zeit seines Managerlebens in Hotels verbracht, und sie wollte nie, dass er sich dort wohler fühlte als zuhause. Was sie anging, so liebte sie ihr Heim und ihren strukturierten Tagesablauf, und es erfüllte sie mit Stolz, wenn sie ihre Haushaltsplanung am Ende des Monats mit Gewinn abschloss.
Nach dem Mittagessen legte sich Maggie in der Regel hin. Das tat sie schon seit 30 Jahren.
„Meine Frau konnte ihr Leben lang mittags einen Schönheitsschlaf halten“, bemerkte Karl manchmal augenzwinkernd. „Deshalb sieht sie auch so gut aus.“ Sie war nie sicher, ob er das ironisch oder liebevoll meinte, aber sie entschied sich für die zweite Option.
Wenn es sich ergab und beide nachmittags zuhause waren, tranken sie zusammen Tee. Donnerstags ging Maggie morgens zur Gymnastik, montags- und freitagvormittags kaufte sie auf dem Wochenmarkt ein. Jeden Mittwoch- und jeden Freitagabend traf sich Karl mit Freunden in der Stadt. Einmal zum Saunen mit anschließendem Essen und einmal zum Schwimmen mit anschließendem Essen. Dann wurde es immer spät, und Maggie schlief schon, wenn er nach Hause kam. Sie selbst ging jeden zweiten Donnerstagabend mit ihrer Freundin Karin ins Theater. Ein Abonnement. Und natürlich zum Italienisch – dienstags.
Heute war Mittwoch, und Karl musste um 10 Uhr bei der Krankengymnastik sein. Er verließ den Frühstückstisch zeitig und verabschiedete sich nach oben zum Toilettengang. Danach würde er sich anziehen – noch 20 Minuten, dann musste er los. Maggie räumte die Lebensmittel zurück in den Kühlschrank. Dabei fiel ihr Blick auf den Hawaii-Toast in Alufolie vom Vorabend. Ihr Magen rumorte, und nachdem sie das Silberpäckchen ein paar Sekunden lang unentschlossen angestarrt hatte, packte sie es und warf es wütend in den Müll. Zum ersten Mal in ihrem Leben warf Maggie etwas Essbares weg.
Karl rief ihr aus dem Flur einen Abschiedsgruß zu und ließ die Tür krachen. Maggie lauschte auf das Surren des Garagentors, dann sprang der Motor an, und das Tor klappte leise wieder zu. Sie setzte sich auf einen Hocker in der Küche und starrte auf die Uhr. ‚Zehn Minuten’, hatte sie sich vorgenommen. Mühsam zuckte der Zeiger von Minute zu Minute. Sieben Minuten ließ sie verstreichen, dann siegte die Ungeduld und sie schlich in den Flur. Leise, als könnte jemand sie hören, öffnete sie die Tür zu Karls Heiligtum, seinem Büro. Hier durften weder die Putzfrau noch sie selbst aufräumen. Nur wenn er persönlich zugegen war, ließ er sie ab und zu mit dem Sauger durchgehen. Doch spätestens nach fünf Minuten störte ihn der Lärm, und Maggie musste aufhören. Als Erstes fielen ihr die Wollmäuse in der vorderen linken Ecke auf. Normalerweise hätten die keine Sekunde überlebt, aber heute hatten sie Glück. Auf Zehenspitzen schlich Maggie zu Karls schwerem Mauser-Schreibtisch. Ein scheußlicher, glänzender schwarzer Klotz, der sich kaum putzen ließ. Jede Berührung hinterließ Spuren auf der gelackten Oberfläche. Karl war der Meinung, sie verstünde nichts von Design und Qualität, aber das war Quatsch. Dieses Ding war einfach nur unpraktisch. Einen Batzen Geld hatte er dafür ausgegeben.
„Lass das meine Sorge sein.“
Klar, Karl war der Finanzminister. Das war schon immer so gewesen.
„Kleines“, hatte er nach ihrem vierten Treffen gesagt. „Wenn du mich heiratest, sorge ich für dich. Mein Leben lang, das verspreche ich dir.“ Dann hatte er sie so feste gedrückt, dass ihr fast die Luft weggeblieben war.
Sie zog ein Papiertaschentuch aus ihrer Schürzentasche, legte es um den Eingriff der oberen Schublade des Aktenschrankes und zog. Obenauflagen ein paar Zettel. Notizen und Visitenkarten, nichts Besonderes: die Adresse eines Rechtsanwaltes. Das hatte sicher mit der Wohnung ihrer Mutter zu tun. Karl wollte sie verkaufen. Ein Rezept für ein Medikament gegen Sodbrennen, das schon vor über einem Jahr ausgestellt worden war, ein ausgerissener Zeitungsartikel mit der Überschrift „Aus Glück und Leid wird Mäßigkeit“, eine Gebrauchsanleitung für das neue schnurlose Telefon und verschiedene Papierschnitzel, auf denen nichts Nennenswertes notiert war. Maggie platzierte den Stapel in der Reihenfolge, in der sie ihn vorgefunden hatte, auf dem Schreibtisch und nahm die darunterliegende Schicht Papier heraus: ein Block, auf dem nichts geschrieben stand. Maggie hielt die obere Seite schräg gegen das Licht – keine Schrift. Die Aufnahmeerklärung des Sportstudios, dem Karl wegen seines Rückens beigetreten war, eine alte Autozeitschrift, ein Bildkalender mit Schwarzweiß-Motiven aus New York, aus dem Jahr 1986, den Susanne ihrem Vater zu Weihnachten geschenkt hatte. Eines der Bilder (das mit den Arbeitern, die auf einem Gerüst in schwindelerregender Höhe zwischen den Wolkenkratzern Pause machen) hatte Karl gerahmt und in seinem Büro an die Wand gehängt. Darunter noch eine alte Parkscheibe, ein paar leere Klarsichthüllen, belangloser Kram. Sie begann, die Schubladen rückwärts Zettel für Zettel einzuräumen. In den anderen Schubfächern fanden sich Landkarten, Fotos, Gebrauchsanleitungen und Beipackzettel von Medikamenten. Blieben noch die vielen Aktenordner im Regal. Aber auch hier: Fehlanzeige. Nur amtliche Unterlagen, Steuern, Versicherungen, Kaufverträge, Mietverträge. Maggie sackte auf den Schreibtischstuhl, starrte aus dem Fenster und überlegte, wo sie weitersuchen sollte, als sie hinter sich ein Rascheln hörte, das sich in ein leichtes Schaben verwandelte. Sie wollte sich umdrehen, aber die Befehlsleitung vom Gehirn an die Muskeln war blockiert – ihr Nacken war steif und meinte, Karls Hand darauf schon zu spüren, als ein leichter Luftzug das Zimmer durchwehte. „Miau.“
Die Katze sprang vor ihr auf den Schreibtisch. Maggie stieß sich aus dem Stuhl. „Mein Gott, Pucki!“ Sie schrie beinahe. „Wie kannst du mich so erschrecken?“ Die Katze ließ sich genüsslich vor ihr auf dem Schreibtisch nieder, und Maggie sank zurück in den Sessel, bevor ihre Beine versagten. Wie hätte sie Karl das erklären sollen? Die Katze schnurrte, und um sich zu beruhigen, kraulte Maggie ihr mechanisch den Rücken. Pucki räkelte sich vor Wonne über ihr doppeltes Glück: Sie wurde nicht nur gekrault, sie lag auch noch auf dem verbotensten Platz im ganzen Haus. Und als ob sie es nicht fassen könnte, stand sie immer wieder auf, blickte sich kurz um, um sich dann wieder vor Maggie zusammenzurollen. Als sie sich zum dritten Mal erhob, verschob die Katze die lederne braune Schreibunterlage auf dem schwarzen Schreibtisch um ein paar Zentimeter. Ein Zettel lugte hervor, offenbar eine Rechnung. Gedankenverloren las Maggie die unteren Posten. Getränke: