Nur ein kleiner Verdacht. Sabine Howe

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Название Nur ein kleiner Verdacht
Автор произведения Sabine Howe
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783949298011



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und da hat sie mich gebeten, zu kommen.

      Seelischer Beistand – du weißt schon. Also habe ich mich breitschlagen lassen, den nächsten Flieger zu nehmen. Mag sein, dass es übertriebene Vatersorge ist, aber sie hat so herzerweichend geweint. Ich konnte nicht Nein sagen. Bist du so lieb und buchst mir den nächsten Flug bei der Lufthansa? Ich hab mir gedacht, ich nutze die Zeit für ein paar Geschäftsbesuche und bleibe im Ganzen zwei Wochen. Ich rufe dich später an. Mach’s gut und Küsschen. Ach übrigens – zur Entschädigung lade ich dich heute Abend zum Essen ein. Du weißt schon, wo – um acht. Also bis nachher.“

      Als der Flieger abhob, schloss Karl die Augen. Alles war nach Plan gelaufen. Jutta hatte zwar ein wenig gemurrt, weil er ihre Verabredungen platzen ließ, aber sie wusste, dass ihn Nörgeleien vertrieben, also hat sie keine große Sache daraus gemacht.

      „In zwei Wochen bin ich wieder da, Kleines. Und ich verspreche dir, ich bring dir etwas Hübsches mit – etwas, das nur ich an dir sehen darf.“

      Maggie hatte nach der Szene in der Küche noch weniger gesprochen als zuvor. Sie kam an dem Abend erst gegen Mitternacht heim. Die Abende mit Karin wurden immer lang.

      „Ich fliege morgen Mittag zu Susanne“, hatte er angekündigt, als sie ins Wohnzimmer kam.

      „Zu Susanne?“

      „Ja, sie hat mich gebeten, ihr beizustehen.“

      „Wobei?“

      „Herzschmerz.“

      „Dich?“

      „Ja, mich. Wieso denn nicht mich? Du warst ja die letzten Male, als sie verzweifelt hier angerufen hat, nicht zuhause.“

      „Wann hat sie denn angerufen?“

      „Neulich abends, da hast du bereits geschlafen, und heute Nachmittag.“

      „Und warum hast du mir nichts davon gesagt?“

      „Sie hat mich nicht darum gebeten.“

      „Du hättest es mir wenigstens erzählen können.“

      „Das muss ich wohl vergessen haben.“

      Maggie sah verletzt aus.

      „Ich gehe ins Bett“, sagte sie.

      „Mach das. Ich werde heute Nacht noch einmal im Gästezimmer schlafen. Dann hast du mehr Ruhe.“

      „Wann geht das Flugzeug morgen?“

      „Um zwölf Uhr vierzig.“

      „Sie hat dich wirklich gebeten?“

      „Ja, natürlich. Was tust du so erstaunt? Ich wüsste nicht, was daran so komisch ist, wenn eine Tochter ihren Vater um Unterstützung bittet.“

      „Und wie lange bleibst du?“

      „Zwei Wochen.“

      „Zwei Wochen? Um unsere Tochter zu trösten?“

      „Natürlich nicht. Ich habe noch ein paar geschäftliche Termine drangehängt, damit sich der Aufwand lohnt. Allein schon wegen des Jetlags.“

      „Geschäftliche Termine?“

      „Ja, geschäftliche Termine. Noch verdiene ich Geld, falls dir das entgangen sein sollte. Und dazu habe ich ab und zu geschäftliche Verabredungen. Aber diese Welt ist dir ja fremd.“

      „Du wolltest doch, dass ich aufhöre zu arbeiten!“

      „Ja und, war das etwa nicht gut? Hast du nicht ein wunderbares Leben gehabt? Ein wunderschönes Haus, ein Auto? Eine Putzfrau? Friseurtermine, Italienischkurse, Gymnastik. Passt dir irgendetwas nicht?“

      „Doch, es war nur …“

      „Was denn? Was gefällt dir nicht?“

      „Du sagtest, mir sei die Arbeitswelt fremd, dabei wolltest du nie, dass ich arbeite.“

      „Sekretärin, bei diesem verstaubten Hinterzimmeranwalt. Ich habe dich da rausgeholt. Also was wirfst du mir vor?“

      „Nichts.“

      Pause.

      „Soll ich dich morgen fahren?“, fragte Maggie.

      „Ich bitte darum. Der Flieger geht um zwanzig vor eins, das heißt, wir müssen um zehn Uhr hier los. Und mach dir keine Mühe mit dem Frühstück. Ich will nichts essen. Ich habe nämlich verdammt schlimme Magenschmerzen.“

      „Seit wann?“, fragte Maggie.

      „Seit irgendwann.“

      „Trotzdem fährst du weg?“

      „Ich fahre unter anderem deshalb weg.“

      „Verstehe ich nicht.“

      „Gib dir keine Mühe. Gute Nacht.“

      Sein Oberbauch schmerzte heftig. Die Tropfen zeigten keinerlei Wirkung. Kurz nach dem Start rief Karl die Stewardess und bat um ein trockenes Brötchen. Dazu bestellte er einen Pfefferminztee. Kaum hatte er beides intus, kam es ihm wieder hoch. Er rannte auf die Bordtoilette und übergab sich.

      „Alles in Ordnung?“, fragte die Stewardess, als er aus der Toilette kam.

      „Es geht schon wieder.“

      Für den Rest des Fluges lehnte er weitere Mahlzeiten ab. In San Francisco würde er einen Arzt aufsuchen und sich einer Blutuntersuchung unterziehen. Dann würde man sehen.

      „Flugangst?“, fragte der schmächtige Herr neben ihm.

      „Keineswegs. Nur zu wenig gegessen“, antwortete Karl.

      „Das muss Ihnen nicht peinlich sein“, sagte sein Nachbar.

      „Das betrifft mehr Menschen, als man glaubt. Aber die meisten sprechen nicht darüber. Lieber bezwingen sie die Angst mit einer Flasche Wodka. Sie schämen sich …“

      „Mit mir ist alles in Ordnung“, wiederholte Karl.

      „Ich habe bloß leichte Magenschmerzen.“

      „Es gibt Seminare, in denen man lernt, seine Flugangst zu besiegen.“

      Karl schloss die Augen und versuchte zu schlafen. Der Mann neben ihm plauderte weiter, und wenn man nicht zuhörte, verwoben sich seine Worte mit dem tiefen Brummen der Düsen zu einem angenehm ermüdenden Klangteppich.

      Schweißgebadet erwachte er aus seinem Nickerchen. Sein Nachbar reichte ihm ein Erfrischungstuch.

      „Jaja, diese Angst verfolgt einen bis in den Schlaf. Glauben Sie mir.“ Er beugte sich zu Karl hinüber.

      „Ich weiß, wovon ich spreche. Ich …“ Jetzt senkte er die Stimme.

      „Ich hatte selbst einmal Flugangst. Aber die Betonung liegt auf ‚hatte’, denn ich bin sie los. Weg!“ Er schnipste mit den Fingern.

      „Wie weggeblasen.“ Karl erhob sich leise stöhnend.

      „Verschonen Sie mich mit Ihren Weisheiten!“

      Mit weichen Knien wankte er in den Waschraum, wo er sich wieder erbrach. Dieses Mal kam nur bräunlicher Schleim. Er hatte seit gestern Abend, nachdem er sich mit Jutta noch für zwei Stunden bei Da Pasquale getroffen hatte, nichts mehr zu sich genommen. Außer dem Brötchen und dem Tee vorhin. Am Essen konnte es nicht liegen. Sein Hemd war unter den Achselhöhlen und am Rücken völlig durchnässt. Er versuchte, es auszuziehen, um sich frisch zu machen, aber die Kabine war zu eng, und er bekam wegen der Magenkrämpfe kaum Luft. Erschöpft sank er auf die Toilette, als es wieder klopfte.

      „Alles in Ordnung da drinnen?“

      „Alles klar“, zwang Karl sich zu sagen.

      „Der Mann hat Flugangst, aber er traut sich nicht, es zuzugeben“, hörte er die vertraute Stimme seines Nachbarn sagen.

      Er hatte kaum die Kraft, das Schloss zu entriegeln. Sein