Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch. Cara Schweitzer

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Название Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch
Автор произведения Cara Schweitzer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711449479



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Bewegung« bezeichnet. Hindenburgs Haupt auf dem Leib der Tänzerin, der Kronprinz und ein Stahlhelm tragender Soldat sind im Kreis um Wilhelm II. angeordnet, ebenso wie ein Maschinengewehr und das Zeitungsbild eines Demonstrationszugs von Arbeitslosen.221

      Mit den alten Eliten des Kaiserreichs, die sich teilweise in die Weimarer Republik hinübergerettet haben, kontrastiert die Künstlerin in der linken unteren Bildecke mit Zeitungssauschnitten von demonstrierenden Kindern, Massenaufläufen vor dem Berliner Schloss sowie einer Darstellung der besetzten Ränge in der Weimarer Nationalversammlung. »Trete Dada bei«, brüllt der Kopf des Matrosenführers Raimund Tost zu den Massen, der auf einen zierlichen Körper montiert ist.222

      Bereits in der hier nur angedeuteten kompositorischen Struktur der Fotomontage und den verwendeten Motiven wird der politische Bedeutungszusammenhang von Höchs Fotomontage ersichtlich. Mehrfach wurde in der Literatur über die Arbeit betont, dass Höch nicht nur das aktuelle politische Tagesgeschehen aufgreift, sondern in der Art der Darstellung ihrer Figuren gezielt einen weiblichen Blick auf die Gesellschaft richtet.223 Oft sind die Männerköpfe ohne Hals direkt an die Körper montiert. Sie wirken auf diese Weise eher starr. Wenn Hannah Höch Frauen in der männerdominierten Welt in ihrer Fotomontage auftreten lässt, dann sind es Künstlerinnen, Tänzerinnen oder Schauspielerinnen, deren Körper anders als die der Männer in Bewegung versetzt sind. Im Zentrum der Fotomontage balanciert der als Pritzel-Puppe verkleidete Körper der berühmten Tänzerin Nidda Impekoven den ernst blickenden Kopf der Künstlerin Käthe Kollwitz in tänzerischer Geste, leichtfüßig und spielerisch zwischen den ausgestreckten Armen.224 Sie wird zum Sinnbild des Balanceaktes, in dem sich starre Rollenbilder in der historischen Umbruchssituation zum Ende der Ersten Weltkrieges und der frühen Weimarer Republik in Auflösung befanden. Davon waren Männer und Frauen gleichermaßen betroffen, wie Hannah Höch mit ihren starren Männerfiguren, aber auch durch die zahlreichen männlichen Köpfe auf zierlichen weiblichen Körpern sichtbar macht. Doch die von den Dadaisten eingeforderte ständige Bewegung manifestiert sich in Hannah Höchs berühmter Fotomontage, die ihrer eigenen Aussage zufolge ein zeitgenössisches Epochenbild sein soll, vor allem in den weiblichen Figuren.225 Wenn auch Raoul Hausmann und Hannah Höch in der Fotomontage im gleichen Zug zu sitzen scheinen, dem Balkanexpress, fahren sie in verschiedenen Abteilen und ihre Gesichter weisen in verschiedene Richtungen. Ihre frühe Fotomontage »Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands« integriert auch subjektive Erfahrungen der Künstlerin, die sich in der allen Figuren immanenten Beziehungslosigkeit und Isolation manifestiert.226

      In ihren Fotomontagen, die im Kontext der Dada-Bewegung entstanden, hat Hannah Höch sich immer wieder auch selbst ins Spiel gebracht. So auch in der gleichfalls auf der Dada-Messe gezeigten Fotomontage »Dada-Rundschau«, in der die Künstlerin erneut mit sezierender Schärfe die zeitgenössische politische und gesellschaftliche Entwicklung offenlegt (Abb. 7). Um die Männer, die nun in Deutschland die Macht in den Händen halten, den Reichspräsidenten Friedrich Ebert und Gustav Noske in Badehose, den Reichsfinanzminister Matthias Erzberger und den französischen Verhandlungsführer während der Versailler Friedensverhandlungen George Clemenceau, werden hier aus Zeitungen herausgeschnittene Schriftzeilen gruppiert: »Deutsche Frauen in die Nationalversammlung«, heißt einer der Appelle, die Hannah Höch in der Fotomontage an den Betrachter richtet, ebenso wie die Forderung »Schrankenlose Freiheit für H. H.«, die im Kontext des Bildes ironisch auf ihr künstlerisches Credo verweist.227 Es scheint eine Forderung gewesen zu sein, die Hannah Höch in vielen Lebensphasen immer wieder an sich selbst überprüft. Das totalitäre System der Nationalsozialisten wird die artistische und lebensphilosophische Losung der Künstlerin bis an die Grenze des Erträglichen einschränken.

      Zumindest was die Presseresonanz anbelangt, erweist sich die Dada-Messe als Erfolg, auch wenn die kunsthistorische Fachpresse es vermied, über die Ausstellung zu berichten.228 Neben dem Katalog dokumentieren die wenigen heute noch erhaltenen Fotos, die teilweise auch in Höchs Nachlass überlebten, die für die Kunstgeschichtsschreibung des zwanzigsten Jahrhunderts wichtige Präsentation. Die Besucherzahlen waren für die Dadaisten eher unerfreulich. Ursächlich für das Ausbleiben der Galeriebesucher waren nicht zuletzt die hohen Eintrittspreise. Drei Mark überstiegen deutlich die Möglichkeiten eines Fabrikarbeiters.229 Längst sind die Auswirkungen der Inflation zu spüren, die im November 1923 ihren Höchststand erreicht. Doch ein Hauptmann namens Matthäi ließ sich den Besuch der Messe etwas kosten. Das sollte gerichtliche Folgen für einige der Aussteller haben. Es kommt zu einer Anklage gegen Grosz, Schlichter und Herzfelde, vorgeladen wurden ebenfalls der Galerist Burchard und der angeblich verantwortliche Oberdada Johannes Baader. Letztere gehen straffrei aus. Der Vorwurf richtet sich vor allem gegen Schlichters von der Decke hängenden »Preußischen Erzengel« sowie die ebenfalls auf der Ausstellung gezeigte erste Graphikmappe von Grosz, »Gott mit uns«. Die Ankläger sehen in den Darstellungen der Künstler eine »verabscheuungswürdige Verunglimpfung« des deutschen Militärs in großem Stil.230 Wegen Beleidigung der Reichswehr werden die Delinquenten zu verhältnismäßig niedrigen Geldstrafen verurteilt. Die Künstler finden vor Gericht wichtige Fürsprecher, den Leiter der Städtischen Galerie Dresden, Paul Schmidt, sowie von ganz oberster Stelle den Reichskunstwart Edwin Redslob.231 Die offenbar eher defensive Haltung von Grosz und Herzfelde vor Gericht enttäuschte Raoul Hausmann im Rückblick: »Mich hatte man in Ruhe gelassen, als Tschechoslowake war ich Mitglied eines fremden Staates, da war man vorsichtiger. Schließlich gab es nur Geldstrafen, ein kümmerliches Resultat. Der Hauptzeuge der Verteidigung, der Direktor des Museums in Dresden, Paul Schmidt, hatte keine Mühe, den Richter zu überzeugen, dass sämtliche DADAistische Greuel nichts seien als jugendliche und wohl entschuldbare Knabenstreiche.«232

      Hausmann hatte kurz zuvor, um sich von seiner Frau scheiden lassen zu können, die tschechische Staatsbürgerschaft angenommen. Er erinnert sich weiterhin, dass nach der Ausstellung ein großer Teil der »Gegenstands-Assemblagen« zerstört wurde.233

      Die Dada-Messe ist der Höhepunkt der Berliner Dada-Bewegung und nimmt das nahende Ende vorweg. Die meisten Beteiligten gehen in der folgenden Zeit eigene Wege, auch wenn einige von ihnen, wie Raoul Hausmann und Hannah Höch, Dada noch nicht aufgeben. Im Sommer 1920 verbringen Hannah Höch und Raoul Hausmann gemeinsam ihre Ferien auf Rügen. Nach ihrer Rückkehr bricht das alte Beziehungsdrama wieder los.

      Flucht nach Italien

      Am 7. Oktober 1920 fährt Hannah Höch für über einen Monat nach Italien.234 Mit dem Zug gelangt sie zunächst nach München, wo sie sich einige Tage aufhält und ihre Beziehungen zu den Expressionistischen Werkstätten pflegt.235 Richard Huelsenbeck schickt ihr in einem Eilbrief die Adressen von Hugo Ball und Emmy Hennings nach. Ball und Hennings leben bereits seit mehreren Jahren im Tessin. Huelsenbeck fordert Hannah Höch auf, die beiden zu besuchen, und gibt ihr weitere Adressempfehlungen für die »Dadaisten« in Italien.236 Von München aus fährt Hannah Höch in das Städtchen Maria Brunn, wo ihre Schwester Margarete wohnt. Gemeinsam mit Grete Höch und deren Freundin, der Schriftstellerin Regina Ullmann, wandert Hannah Höch in mehreren Etappen über die Alpen bis nach Bozen. Das Einreisevisum für Italien, seinerzeit in Folge des Ersten Weltkrieges kein leicht zu erhaltendes bürokratisches Papier, hatte im Vorfeld der Fahrt der Architekt Mies van der Rohe für Hannah Höch vermittelt.237 In ihr Reisetagebuch notiert die Künstlerin vor allem ihre Alltagserfahrungen, das gute Essen und Kinoerlebnisse finden Erwähnung, während die Besuche italienischer Kunstdenkmäler nur mit kurzen Stichpunkten vermerkt werden. Die Frauen reisen gemeinsam bis nach Venedig. In der Lagunenstadt lernt Hannah Höch Richard Kaufmann kennen, einen Architekten und Anhänger der zionistischen Bewegung, der sich von Venedig aus über das Mittelmeer nach Ägypten und dann weiter nach Jerusalem auf den Weg macht.238 Hannah Höch wird auch nach der Reise in Briefkontakt mit ihm bleiben. Seinen Schreiben kann man entnehmen, dass zumindest von seiner Seite ein Interesse an der Künstlerin bestanden zu haben scheint, das über eine rein freundschaftliche Beziehung hätte hinausgehen können.

      In Venedig trennen sich die Wege der drei gemeinsam reisenden Frauen. Nachdem Regine Ullmann abgereist ist, die seinerzeit in Florenz lebt, fahren Höch und ihre Schwester nach Bologna,