Название | Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch |
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Автор произведения | Cara Schweitzer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711449479 |
Noch in den sechziger Jahren fällt es der Künstlerin schwer, über ihre Beziehung zu Hausmann zu sprechen. Für einen Vortrag, den sie 1966 in Düsseldorf hält, notiert sie sich:
»Es ist falsch zu denken, dass der Sinn meines Zusammenlebens mit ihm [Hausmann] der war – dem Leben jeden Sinn zu nehmen. [...] Ich war zu dieser Zeit noch so naiv und schrecklich anständig. [...] Und dann bin ich so enttäuscht, zertreten, zermanscht worden, dass es mir auch heute noch fast nicht möglich ist mich mit diesen Jahren zu befassen. Da ich mir klar bin, dass es nun höchste Zeit wird, auch in diesen Abschnitt meines Lebens Ordnung aus objektiver Sicht zu bringen (schon darum, weil zwischen R. H. und mir noch heute offene Fragen sind) weil, ohne unser Hinzutun, Dinge Gewicht bekommen haben, die wir zu damaliger Zeit gar nicht in Betracht haben ziehen können.«257
Die Trennung von Hausmann wirft Hannah Höch auf sich selbst zurück. In der folgenden Zeit intensiviert sie ihre Kontakte zu befreundeten Künstlern und arbeitet viel. In Hinblick auf ihr künstlerisches Werk wirkte die Auflösung der Beziehung durch Hausmann wie ein Befreiungsschlag. Hannah Höch widmet sich neben den Fotomontagen vor allem der Malerei in verschiedenen Techniken. Trotz aller Einflüsse neuer malerischer Tendenzen, wie der neuen Sachlichkeit und frühen surrealistischen Strömungen, entwickelt die Künstlerin auch in dieser Gattung in den nächsten Jahren eine vielfältige und eigene Bildsprache.
Abschied von Dada
Hannah Höchs Fotomontage »Meine Haussprüche« (1922) ist eine künstlerische Antwort auf die Trennung von Raoul Hausmann.258 Verschiedene Bildvorlagen montiert die Künstlerin zu einer mehrschichtigen, dichten Komposition. Das Foto eines Kindes, Stoffmuster, Stickanleitungen, Landschaftsszenen, der Zeitungsausschnitt einer großen Uhr, die an einer Hausfassade prangt, eine Kinderzeichnung, der Bildausschnitt eines Kugellagers oder die Abbildung einer romanischen Figur des gekreuzigten Christus, das sogenannte Imervard-Kreuz im Braunschweiger Dom, werden zu einem Bildteppich verwoben. Anders als in den dadaistischen Fotomontagen verwendet Hannah Höch für die Schriftzüge in der Collage »Meine Haussprüche« keine aus Zeitungen ausgeschnittenen Typen, sie schreibt die Sprüche mit der Hand in das Bild. Wie schon der Titel der Arbeit betont ihre Handschrift die persönliche Bedeutung der Fotomontage für die Künstlerin. Hinzu kommt, dass »Meine Haussprüche« eines der wenigen Beispiele im Werk Hannah Höchs ist, in dem sie ein Porträtfoto von sich verarbeitet. Bei den Sprüchen handelt es sich um Ausschnitte von Zitaten ihrer Dada-Freunde. Mehrfach werden Äußerungen von Huelsenbeck erwähnt, wie »Dada ist die Polizei der Polizei« oder fast in der Bildmitte über dem monumentalen Imervard-Kreuz »Der Tod ist eine durchaus dadaistische Angelegenheit«. Neben Huelsenbeck ist Schwitters mit einem Fragment aus seinem Gedicht »Anna Blume« präsent, wie auch Hans Arp, Salomon Friedlaender und Johannes Baader. Auf dem blauen Papier nahe dem Gekreuzigten darf auch Goethe zu Wort kommen. Am unteren Bildrand, gewissermaßen als Unterschrift unter der gesamten Komposition, zitiert Hannah Höch Raoul Hausmann aus seinem Text »Rückkehr zur Gegenständlichkeit in der Kunst« mit der Äußerung »Gefährlich ist nur eine menschliche Mischung«.259
Maud Lavin interpretierte die Fotomontage »Meine Haussprüche« als ein Abschiedsbild der Künstlerin, Abschied von ihrer ersten Liebe und auch von der Dada-Bewegung. Mit den »Haussprüchen« spiele die Künstlerin auf die Tradition der Gästebücher an, in denen sich die Geladenen verewigen, indem sie bei den Gastgebern ein meist poetisches Schriftzeugnis ihres Besuchs hinterlassen.260
Die Kreuzigung, von der Hannah Höch noch während ihrer Italienreise im Herbst 1920 an ihre Schwester schrieb, scheint sich im Bild in Gestalt des romanischen Christus vollzogen zu haben. An den Bildausschnitt des Christus setzt die Künstlerin die Abbildung einer schematischen Zeichnung, die eine Anleitung für einen gestickten Kreuzstich liefert. Aus der Stickanleitung weist ein Pfeil direkt auf den Mund des Gekreuzigten. Auf der gegenüberliegenden Seite hat Hannah Höch ihr Foto hinter das Handarbeitsmuster geklebt, so dass ihr eines Auge von der Graphik verdeckt ist. Die Stickanleitung empfiehlt, mit dem nächsten Stich direkt in das nicht mehr zu sehende Auge der Künstlerin zu stechen. Der Mund des gekreuzigten Christus und das Sehorgan der Künstlerin werden durch die anleitenden Pfeile im Stickmuster direkt miteinander in Beziehung gesetzt. Hannah Höch hat nicht einen leidenden Christus für ihre Haussprüche gewählt, sondern einen, der mit seinen weit ausgebreiteten Armen stark und mächtig wirkt.
Kurt Schwitters
Vor allem mit ihrem Freund Kurt Schwitters kommt es zu einem künstlerischen Austausch und zu einer für beide Seiten inspirierenden Zusammenarbeit. In der Trennungsphase von Hannah Höch und Raoul Hausmann scheint Schwitters gewissermaßen für beide Ohren zu haben. Mit Raoul Hausmann verbindet ihn in der Zeit ein Arbeitsverhältnis, während er bereits an einem Austausch mit Hannah Höch interessiert ist, aber vermeiden möchte, dass sich beide bei ihm begegnen: »Liebes Fräulein Höch! Hausmann ist am Dienstag 13.6. nach Berlin abgereist. Wir erwarten Sie also Sonnabend 17.6., da wir am 24. od. 26.6. selbst verreisen. Hausmann weiß nicht, dass Sie uns besuchen. Bringen Sie Arbeiten mit«, teilt Schwitters Hannah Höch auf einer Postkarte mit.261
Die Berliner Dadaisten betrachteten Schwitters auf Grund seiner Strategie, direkte politische Stellungnahmen zu vermeiden, mit Skepsis und Ablehnung. Schwitters hat indessen mit seinem Prinzip Merz eine eigenständige, der Poesie verpflichtete dadaistische Position entwickelt, die auch seine künstlerischen Gemeinsamkeiten mit Hannah Höchs Arbeiten erklären.262 Sie äußerte sich über ihre Wahlverwandtschaft mit Schwitters in ihrem Rückblick: »Er wollte auch Dada niemals seiner musischen Elemente entkleiden und stand damit Hans Arp, Sophie Täuber und auch mir immer näher als z.B. Huelsenbeck. Meine bedingungslose Kameradschaft mit Schwitters hatte wohl hier ihre Wurzeln.«263 In ihrem Erinnerungsvortrag über Dada, den sie 1966 in Düsseldorf hielt, erklärte Hannah Höch die Ursachen für die Ablehnung von Schwitters in der Berliner Dada-Gruppe auch mit seiner Verbundenheit mit Herwarth Waldens Sturmbewegung. Schwitters habe Dada in Hannover im »Alleingang betrieben. Es standen ihm zwar Hannoveraner Freunde treu zur Seite, aber seinen Verleger Steegemann, Christof Spengemann, Käte Steinitz und andere kann man ja nicht als DADAisten bezeichnen.«264
In einem Brief an Hausmann bekennt Schwitters: »Schwieriger scheint mir der Fall Walden. Ich sehe, daß du innerlich gegen Walden noch immer bist. Aber das wird eine Gefahr sein für ein enges Zusammenarbeiten zwischen uns beiden. Ich schätze Walden ganz außerordentlich als Künstler und als den Mann, der die neue Kunst erkennt und mit allen Kräften gefördert hat. Du siehst in Walden statt dessen den Kaufmann; mit Unrecht. Ich lasse dir deine Ansicht, laß mir meine auch, dann können wir eine Strecke weit gut zusammenarbeiten.«265 Dieser Brief, in dem Schwitters Hausmann auffordert, nichts mehr gegen Walden zu schreiben, sofern er mit ihm ein gemeinsames Projekt durchführen wolle, demonstriert seine Kompromissbereitschaft, aber zugleich auch seine kompromisslose Haltung. Offenbar konnte sich Hausmann damit arrangieren. Nach den klaren Worten von Schwitters stand der Zusammenarbeit beider in der Aufführung in Prag nichts entgegen. Auch wenn Hannah Höch sich erinnerte, dass es zwischen Schwitters und Hausmann auf der Bühne zu erheblichem Konkurrenzgerangel gekommen war, das sich in Form brüllend vorgetragener Lautgedichte äußerte. Ursache für den Hahnenkampf war Hausmanns Vorwurf an Schwitters, er habe für eine seiner Lautsonaten bei ihm geklaut.266
1919 verfasste Kurt Schwitters ein Lautgedicht mit dem Titel »Anna Blume«. »Anna Blume« verselbständigte sich in der folgenden Zeit in seinem Werk und erhielt den Charakter eines Synonyms für den merzenden Schwitters. Er ließ rot-weiße Marken drucken, auf denen der Name »Anna Blume« stand und die er in seine Werke integrierte. Mit seinem Signet markierte Schwitters aber auch den öffentlichen Raum. »Anna Blume« versinnbildlichte Schwitters’ poetisches Prinzip der Kunst, was sich in der dem Namen »Anna« immanenten wortspielerischen Facette zeigt.