Название | Lebenswelten und Verfolgungsschicksale homosexueller Männer in Baden und Württemberg im 20. Jahrhundert |
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Автор произведения | Julia Noah Munier |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783170377554 |
Dieser dem bürgerlichen Lager zuzurechnende Mann, der auf historische Vor-Bilder rekurriert und sich am (Subjekt-)Ideal der »griechischen Freundesliebe« orientiert, warnte die Leser_innen:
»Nichts schadet uns und unseren Brüdern mehr als ein solches Benehmen! Bewahret alle Würde, denn mit Argusaugen werden wir beobachtet […]. Diese Menschen richten sich selbst, sind es wahrlich nicht wert, daß das Morgenrot der Freiheit über sie hereinbricht!«305
C. Grieb beendet seine Warnung mit kämpferischen Sätzen:
»Allen Freunden, besonders aber in meiner Vaterstadt Stuttgart, möchte ich zurufen: ›Vereinigt Euch, schließt Euch zusammen, dann sind auch ›Wir‹ eine Macht, mit der unbedingt gerechnet werden muß, lest ›Die Freundschaft‹, unser Blatt, helft mit an der Befreiungsarbeit, mag er im täglichen Leben stehen wo er will, so wird der Sieg doch zuletzt ›Unser sein!‹ C. Grieb.«306
Im Mittelpunkt einer öffentlich geführten Auseinandersetzung sich unterschiedlich verortender lokaler Akteure in Stuttgart stand die Frage, welche Personen Zugang zu dem neugegründeten Stuttgarter Freundschaftsbund haben sollten. Diskutiert wurde u. a. ob Männer aus der Arbeiterschicht aufgenommen werden sollten. Deutlich zeigte sich dabei eine Ablehnung effeminierter Männlichkeit bzw. eine Ablehnung gegenüber Sexual- und Genderentwürfen, die als »invertiert« bezeichnet wurden.307
Zwei Stuttgarter »Freunde« kritisierten in der Zeitschrift »Die Freundschaft« zunächst die Mitglieder-Policy des Stuttgarter Freundschaftsbundes, auf welche sie die zum damaligen Zeitpunkt sehr niedrigen Mitgliederzahlen zurückführen:
»Warum der Stuttgarter Freundschaftsbund nicht gedeiht und niemals gedeihen kann, hat seinen Grund darin, daß der Zweck, die Geselligkeit und alles andere im hiesigen Bund viel zu einseitig sind. Was bezweckt denn eigentlich dieser Bund, der nicht das Bestreben zeigt, Gleichheit gegenüber allen zu üben und alle Gleichgesinnten von den Plätzen fernzuhalten, denen wir unseren Ruf bei den Normalen verdanken? […] Denken Sie nicht, daß in einem Arbeiterherzen nicht genau so viele edle Gesinnung zu finden wäre wie in dem Euren, denn gerade beim einfachen Menschen finden wir die heiligen Ideale.«308
Die anonym bleibenden Mitglieder der bestehenden Freundschaftsgruppe konstatieren in ihrer Replik in der darauffolgenden Ausgabe der »Freundschaft«: »Die Aussperrung einzelner hängt nachgerade nicht davon ab, daß es ein Arbeiter ist, sondern lediglich von dem ›tantischen Gebahren und der Klatschsucht‹ gewisser Personen.«309
Zusätzlich verweisen die Mitglieder des Freundschaftsbundes darauf, dass erst kürzlich eine Gruppe, die in einer Gastwirtschaft zusammenkam, des Lokales verwiesen wurde, da sich Einzelne »[…] in solch verletzender Weise aufgeführt [haben], daß sie nach kurzer Zeit das Lokal nicht mehr betreten bzw. gemeinsam benutzen durften.«310
Die Frage der Zugehörigkeit zum Freundschaftsbund wird hier verbunden mit dem möglichen Eintreten für erprobte Strategien der Anerkennung und folglich mit einer angemessenen, d. h. hegemonialer Männlichkeit entsprechenden Genderperformance. Die Einpassung in die Subjektform hegemonialer Männlichkeit und die damit einhergehende Vermeidung effeminierter Gesten und einer »weiblichen Körpersprache«, dem »tantischen Gebahren«, wird hier zur Voraussetzung für Zugang und interne Anerkennung.311 Von einer strategischen Einpassung in Genderperformances, die einer hegemonialen Zweigeschlechtlichkeit entsprechen, erhofften sich die Akteure als (geschlechter-) intelligible Subjekte Anerkennung in den öffentlichen Räumen der Mehrheitsgesellschaft zu erfahren. Derartige Aushandlungsprozesse zeugen nicht nur von einem hohen Maß an kritischer Selbstbeobachtung der eigenen lebensweltlichen Gefüge, sondern es ist davon auszugehen, dass sie auf der Ebene der individuellen Akteur_innen ein hohes Maß an Anpassungsdruck und erhöhte Selbstreflexivität bewirkten. Fragen danach, wie man sich kleidet, wie man auftritt, welchen Konsumstil man pflegt, mit welchen Gegenständen man sich umgibt und welcher Semantiken man sich bedient, werden hier zu äußerst ernsten Fragen der gesellschaftlichen »Mitspielfähigkeit«. Im Blick auf das eigene Selbst entwickeln die historischen Akteur_innen damit ein Gespür für die Grenzen akzeptabler Subjekthaftigkeit in den zugänglich gewordenen, halböffentlichen Räumen der Mehrheitsgesellschaft.
Bezüglich der Nutzung von Lokalen und Gaststätten machten auch die Ortsgruppen des BfM möglicherweise ähnliche Erfahrungen: Der Vorstand der »Ortsgruppe Karlsruhe« kündigte für den ersten Samstag im Januar 1924 ein Stiftungsfest im Stammlokal der Ortsgruppe, im zweigeschossigen Wohn- und Gasthaus »Restaurant zum Salmen« am zentral gelegenen Karlsruher Ludwigsplatz an, zu dem alle »Freunde aus Nah und Fern« herzlich eingeladen waren.312 Auffällig ist, dass die Ortsgruppe nach dem Stiftungsfest offenbar nicht mehr in dieser Lokalität am Ludwigsplatz zusammenkam. Am 1. Februar 1924 ist in dem »Adress-Verzeichnis der Ortsgruppen« des Bundes für Menschenrecht vermerkt, dass sich die Gruppe nun in einer neuen Lokalität in der östlichen Innenstadt trifft (»Hotel Bürgerhof« beim alten Bahnhof).313 Weshalb wechselten die Mitglieder des »Bundes für Menschenrecht« nach diesem Fest ihr Stammlokal? Nicht nachzuweisen jedoch denkbar ist es, dass die Ortsgruppe nach ihrem Stiftungsfest im Restaurant »Zum Salmen« nicht weiter erwünscht war. Verloren die Mitglieder ihr Ortsgruppen-Lokal, weil der Wirt oder die Wirtin des »Salmen« seine bzw. ihre Räumlichkeiten nicht länger als Versammlungs- und Festort zur Verfügung stellen wollte? Waren möglicherweise auch Anwohner_innen in die Situation involviert?314 Am 15. Februar 1924 vermeldete die Ortsgruppe als Treffpunkt – wiederum einige Häuser weiter – das Hotel »Prinz Max« (Adlerstr. 37).315 Im Juli 1924 zogen die Mitglieder des Karlsruher Bundes für Menschenrecht erneut in ein anderes Lokal in unmittelbarer Nähe. Treffpunkt war nun »Jeden Sonntag abend 8 Uhr« im »Hotel zu den ›Goldenen Trauben‹, Steinstraße 17, Ecke Adlerstraße.«316 Etwa innerhalb eines halben Jahres, von Januar 1924 bis zum Juli 1924 wechselte die Gruppe in kurzen Abständen vier Mal ihr Vereinslokal. Wie schwierig es war, in einer derartigen Situation, die einer ständigen Veränderung unterworfen und in der bei eingeschränkten Distribuierungsstellen der Freudschafts- bzw. Homosexuellenzeitschriften die Verfügbarkeit über das Wissen um die sich verändernden Treffpunkte nicht gewährleistet war, überhaupt zu dieser Gruppe zu stoßen, wird unmittelbar deutlich.317
Die in den Zeitungen und Blättern erhaltenen Schilderungen der Zusammenkünfte, der Bälle und Festivitäten der Ortsgruppen des BfM geben einen Einblick in regionale wie überregionale Vernetzungsstrukturen. Sie geben ferner durch das dort präsentierte Kulturprogramm Auskunft über ein Lebensgefühl, über Sehnsuchtsräume der Mitglieder des BfM zum Ende der 1920er Jahre im deutschen Südwesten.
In der Rubrik »Aus der Bewegung« der »Blätter für Menschenrecht« dokumentierte die Mannheimer Ortsgruppe im Februar 1932 enthusiastisch ihre im Dezember 1931 im Bundeslokal abgehaltene Weihnachtsfeier:318 »Zum ersten Male konnten die Freunde Mannheims und Umgebung im eigenen Kreise Weihnachten feiern […]«,319 berichtete ein Mitglied der Ortsgruppe, die zur gemeinsamen Feier mit einer »großen Anzahl Artgenossen im festlich geschmückten, renovierten Bundeslokal« zusammenkam.320 Der Vorsitzende der Ortsgruppe hielt zu diesem Anlass eine Rede, in der er die »Freundschaftsidee« ins Zentrum stellte. Andere Mitglieder der Ortsgruppe trugen, etwa durch Stepp- und Tangotanz sowie durch Violinenvorführungen zur weiteren Unterhaltung der Anwesenden bei. Auch war man bemüht, durch eine Verlosung Geld in die Kassen des Bundes für Menschenrecht zu spülen und damit die Emanzipationsbewegung zu fördern.321 Was nach dem wohlstrukturierten Unterhaltungsprogramm mit emanzipatorischem Beiwerk folgte, ist »off the record«. Klar ist, in Mannheim wurde an diesem Tag im Dezember 1931 bis in den frühen Morgen hinein gefeiert. Auch die sich zum Jahreswechsel ereignende Silvesterfeier brachte die »Freunde und Freundinnen« – das Werben um weibliche Mitglieder in der Vereinszeitschrift hatte sich offenbar gelohnt – »fabelhaft« in das Jahr 1932.322
Einen weiteren Einblick in die aus heutiger Perspektive und vor dem Hintergrund der avantgardistischen Tendenzen etwa in Stuttgart und in Karlsruhe der 1920er Jahre durchaus etwas bieder oder (klein-)bürgerlich erscheinenden Zusammenkünfte der Ortsgruppen des BfM vermittelt ein Bericht