Der Kamin. Martina Schäfer

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Название Der Kamin
Автор произведения Martina Schäfer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783959593038



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an dieser Großherzigkeit. Ich fragte mich allerdings im Stillen, was wohl Emma Noldens Projektkolleginnen von dergleichen spontanen Einzelaktionen halten mochten? „Aber jetzt lass ich euch auch in Ruhe. Will ja nicht stören.“ Er hatte sich wieder gefangen und schaute noch mit einem halb professionellen Kellnerblick über den Tisch, um zu sehen, ob noch eine der Frauen eine Bestellung aufgeben wollte.

      „Mir noch ein Wasser, Friedrich!“, rief Katharina. „Mir einen Kaffee!“, ergänzte Lilo und strahlte uns an. „Sonst kann ich heute Nacht nicht schlafen.“

      „Warum nennt Ihr die Kneipenfrauen vom ‚Grünen Schwan’ immer ‚Mädchen’? Ihr sagt doch auch nicht ‚Jungens’ zu den Männern? Das hört sich ja mittelalterlich an!“

      „Es ist ihr gemeinsamer Spitzname, sie heißen Maggi und Susi, sehen sich sehr ähnlich und traten beim ersten Karnevalsfest, das der ‚Grüne Schwan’ veranstaltete, als ‚Doppeltes Lottchen’ auf. Das ist an ihnen hängen geblieben“, lächelte Katharina.

      „Außerdem“, fiel Lilo ein, „sind die zwei Frauen unzertrennlich. Man sieht Susi und Maggi häufiger miteinander als mit ihren jeweiligen Partnern.“

      Rosi hob ihr Bier an die Lippen. „Dabei ist Maggi seit kurzem sogar richtig offiziell mit Johannes verheiratet. Der bedient seltener, ist aber verantwortlich für die Finanzen.“

      „Und, was die Spatzen so von den Dächern pfeifen, schwanger“, flüsterte Heike Balden verschwörerisch über den Tisch und lächelte begeistert.

      „Und ich dachte, Vera hätte nur den einen Bruder, den in Bochum?“ Katharina nahm dankend ihr Wasser aus den Händen des Ofensetzers entgegen.

      „Vera hatte auch noch eine Schwester, aber sie hatten nicht viel Kontakt miteinander. Ich glaube, gar keinen mehr, seit Jahren. Maggi hat uns erzählt, dass sie als Sechzehnjährige von daheim zu ihrer Tante abgehauen ist. Der Kaffee kommt gleich!“

      „Schwierige Eltern?“ Meine Frage blieb in der Luft und über unserem Tisch hängen, ich spürte meine Liebste neben mir nicken.

      „Schwierig und reich!“

      „Aber wieso hatte denn dann ihre Tante Geld in der Kneipe?“ Heike Balden schüttelte erstaunt den Kopf.

      „Das kann ich euch sagen: Maggi wollte keinen Cent von diesen Leuten, ihren Eltern. ‚Blutgeld’ sei das, sagte sie immer, keine Ahnung, was das heißt.“ Friedrich hatte den Kaffee gebracht und stellte das kleine Tablettchen mit der Tasse, dem Zucker und dem Sahneschächtelchen vor Lilo auf den Tisch.

      „Ich hatte so etwas befürchtet.“ Emma Nolden trank einen kleinen Schluck aus ihrem zarten Altglas und ihre Zungenspitze fuhr wie ein Schlangenkopf über die schmalen Lippen.

      „Wieso?“ Rosi rutschte unwillkürlich in ihre professionelle Hab-Acht-Stellung, was von der Juristin mit einem kühlen Profilächeln gekontert wurde.

      „Auch als alternatives Frauenprojekt sind wir unseren Kundinnen gegenüber zu Stillschweigen verpflichtet.“ Die Juristin grinste Rosi maliziös an. „Außerdem können doch Vera Mertens` private Verhältnisse der Polizei egal sein. Es geht hier wohl eher um eine durchgedrehte Jugend- oder Drogenbande, wenn ich das der Tageszeitung heute Morgen richtig entnommen habe – oder?“

      Sie warf Rosi einen scharfen, neugierigen Blick zu und ich spürte, wie meine Liebste die Finger anspannte, ihre Stirne ganz und gar nicht verbindlich runzelte, was sie sonst nie tut, und bissig ihren Atem einzog.

      Nun war es an mir, sie vorsichtig unter dem Tisch mit der Fußspitze anzustupfen, doch glücklicherweise kam uns Katharina zur Hilfe, die die sich am Tisch aufbauende Spannung zwischen den beiden Frauen bemerkt hatte.

      Meine einmalige Geliebte ist, trotz ihres Berufes und ihres Kampfsportes, ein sehr friedlicher Mensch. Was übrigens, meiner Meinung nach, Kampfsport betreibende Menschen häufig sind. Wir haben es nicht nötig, aggressiv zu reagieren.

      Aber wenn Rosi Kramer doch einmal böse, hässig sagt man dazu am Bodensee, wird, ballt sich ihr Unmut als schwarze Wolke auf, die sirrend wie ein Wespenschwarm aus all ihren lockeren Löckchen steigt.

      Es war offensichtlich, dass Giftpfeile, Schlangengruben und tausend gegenseitige Schlammattentate den Lebenspfad meiner Geliebten und dieser Juristin säumten. Hatte Rosi mir nicht eine Emma als radikale Speerspitze der damaligen Lesbenszene gegen ihr eigenes Polizistinnendrama beschrieben? Vielleicht hatte ich ja hier die etwas ausgereiftere Version der damaligen radikalen Anti-Bullen-Lesben-Front-Anführerin vor mir?

      „Sicher wird euch die Polizei verhören wollen, oder? Aber solange der Fall eigentlich klar ist, kann dir das doch egal sein.“ Katharina ließ ihre Blicke beruhigend zwischen Emmas scharfem Rollkragenprofil und Rosis schwarzer Wespenwolke hin- und herwandern.

      „In ‚Brot und Blüten’ kommt mir kein Kriminaler herein! Schon aus Prinzip nicht. Und da sie ja wohl keine rechtliche Handhabe haben, wäre alles andere schierer Hausfriedensbruch!“

      „Davon redet doch keine!“ Lilo verdrehte leicht gelangweilt die Augen. Selbst die liebste und klügste Heterofrau wird niemals in der Lage sein, jene Abgründe aus Liebe und Hass zu begreifen, die sich zwischen Lesben aus den merkwürdigsten Geschichten heraus aufbauen können. Sie kriegen unsere Liebe nicht mit – aber glücklicherweise auch nie unseren Hass!

      Irritiert teilte Lilo mal vorsichtshalber mütterliche Beschwichtigungsgesten in alle Himmelsrichtungen aus. Eben, weil sie die beiden eigentlichen Quellen der dunklen Stimmung nicht so recht orten konnte. „Dass diese Jugendlichen sich zu so etwas hinreißen ließen!“ Sie schüttelte den Kopf. „Man könnte an aller Pädagogik verzweifeln.“

      „Diesmal war es mit Sicherheit nicht die Jugendbande!“, platzte Rosi heraus, was ich gut verstehen konnte, denn noch immer brodelte sie neben meiner Schulter wie eine vergessene Gulaschkanone im Feld. Da nutzten auch meine heftigsten Fußtritte nichts mehr. Selbst ein polizeilicher Amtseid verblasst angesichts mehr als porentiefer Frauenkonflikte und Emma Nolden lehnte sich auch noch, bei dieser Eröffnung, grinsend zurück: Na, wer war hier wohl professioneller?

      „Wieso?“ Lilo riss erstaunt die Augen auf und Emma zog misstrauisch ihre schmalen Augen zusammen.

      Ich merkte, dass Rosi zu einer ähnlichen Replik betreffs professioneller Schweigepflicht ansetzte, wie vorhin ihre jahrtausendelange Gegnerin, doch anscheinend verbot ihr ihre angeborene Friedfertigkeit oder erlernte Fairness, sich ebenso hinterhältig zu verhalten, da sie nun mal schon ihre professionelle Grenze aus Wut und Versehen überschritten hatte. Sie zuckte mit den Schultern: „Auf Grund der Beschaffenheit des Tatortes sind wir der Ansicht, dass es sich möglicherweise um eine geplante Tat gehandelt haben könnte, die nur scheinbar dieser jugendlichen Kioskbande in die Schuhe geschoben werden soll.“

      „Aber um Himmels Willen! Wer hätte denn ein Interesse daran, eine harmlose Zeitungsfrau umzubringen?“ Auch Heike Balden war eine jener freundlichen Heterofrauen, die niemals die Abgründe gegenseitiger Zerfleischungsorgien wahrnehmen, geschweige denn verstehen könnten.

      „Ich weiß es nicht, Heike, bisher weiß das niemand! Aber mit Sicherheit wird man in Vera Mertens näherem Umfeld nach möglichen Motiven forschen! Und ein Schuldenberg mag ein wunderbares sein!“ Rosi warf ihrer Rivalin einen triumphierenden Blick zu.

      Der Preis für ihren endgültigen Sieg heute Abend war hoch gewesen: Nämlich ein mehr oder minder gewollter Verrat an der eigenen Professionalität und somit auch an einem Fitzelchen Selbstachtung. Aber vorerst hatte Rosi gewonnen und war ihrer in diesem Augenblick leicht verbiesterten Gegnerin um einige Nasenlängen im Voraus.

      „Brrrpft!“ Rosi schnaubte verbittert in den leichten Nieselregen, als wir den „Grünen Schwan“ zwei Weizenbiere und zweieinhalb Stunden später wieder verließen. „Emma gehört zu den Frauen, die einen an der eigenen Bewegung verzweifeln lassen. Ist es nicht schrecklich, nie etwas recht machen zu können?“

      „Zum Glück bist du wenigstens eine Lesbe!“

      „Ach