Название | Der Kamin |
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Автор произведения | Martina Schäfer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783959593038 |
Da wir im Dunkeln Schmidtkens Gesicht nicht sehen konnten und er auch eilig vor uns her lief, rang er sich doch glatt zu dieser Gefühlsäußerung durch. Das war ein untrügliches Zeichen dafür, wie sehr selbst diesen coolen, schnieken Beamten das Bild der erschlagenen Frau berührt hatte. Es musste wahrlich fürchterlich ausgesehen haben!
„Ja, das war gemein und brutal. Wenn ihr mich fragt, hat jemand den Verdacht ganz gezielt auf die Jugendbande gerichtet. Schließlich hat der Täter oder haben die Täter ein ziemliches Risiko auf sich genommen, gesehen zu werden.“ Schmidtken sah sich hin und wieder nach uns um, marschierte aber im Übrigen doch weiter sehr flott vor uns her.
„Was diese jungen Kerle machen ist nicht in Ordnung, sicher! Und wenn wir denen nicht irgendwann das Handwerk legen und sie vernünftigen Erziehungsmaßnahmen unterwerfen, solange da noch eine klitzekleine Chance auf Besserung besteht, wird vielleicht der eine oder andere von denen auch mal solch eine raubmörderische Kariere einschlagen. Doch vorerst sind es zwar verdammt leichtsinnige Bengel, aber sicherlich keine Mörder!“
„Meinst du, Frau Mertens hat ihren Mörder gekannt? Warum sonst hätte sie sich so vertrauensvoll weit vorbeugen oder ihm die Hände aus dem Kiosk herausreichen sollen?“
„Schon möglich, Rosi.“
Schmidtkens lange Rede hatte uns über den alten Marktplatz und die ungefähr achthundert Meter lange Fußgängerzone hinab in Richtung Bahnhofsvorplatz geführt.
„Bei achtzig Prozent aller Gewaltverbrechen kennen sich Opfer und Täter“, brachte ich mein Wissen ein und Schmidtken warf mir einen missbilligenden Blick zu.
Rosi hatte das Signal der Ampel gedrückt. Obwohl keinerlei Verkehr zu dieser etwas späteren Stunde zu hören oder gar zu sehen war, wartete ich geduldig mit den beiden Staatsbeamten zusammen auf das grüne Signal. Vermutlich war es hier vor ungefähr vierundzwanzig Stunden, als der Mord geschah, genauso friedlich und still gewesen.
Der Kiosk stand einsam mitten auf der größten der sieben Straßeninseln, die den regionalen Busbahnhof bildeten. So im nächtlichen Dunkel wirkte er geduckt und schimmerte breit wie ein getretenes Huhn durch die Stille herüber.
„Es sah sehr wüst aus, als wir an den Tatort kamen. Der Schichtarbeiter, der Vera Mertens um vier Uhr dreißig entdeckte, als er aus dem Bahnhof trat, war ziemlich bleich, als wir ihn vernahmen, und er ist sicherlich sonst ein eher harter Typ!“
„Trotzdem wirkte das Chaos auf den Bildern wie gewollt. Da wollte jemand, der keine Ahnung von Überfällen hat, bewusst den Anschein erwecken, als sei es einer gewesen.“
„Wäre Frau Mertens nicht über die Schublade mit der Kasse gefallen, vielleicht hätten die Täter ja dann das Geld zu Tarnungszwecken doch entwendet?“, wagte ich schüchtern anzufragen und Schmidtken nickte nur grimmig vor sich hin.
„Aber warum tötet jemand eine solch relativ harmlose und anscheinend bei vielen Leuten beliebte Frau?“ Ich schüttelte den Kopf.
Rosi fasste meine Hand, als wir Richtung Marktplatz zurückliefen: „Ich kannte Vera Mertens sogar ein bisschen, Schmidtken. Sie war wirklich sehr nett und ich könnte mir denken, auch bei den Menschen, die du zu den weniger wichtigen, flüchtigen Kontakten gerechnet hast, sicher ziemlich beliebt.“
„Du kanntest sie?“
Wir standen wieder unter den Arkaden des Rathause.
„Vera Mertens verkehrte am Rand der Szene, der Frauenszene, meine ich!“
„Eurer ...?“ Er machte große Augen.
„Unserer!“ Rosi fasste ihn am Arm. „Du wirst ein wenig über deinen Schatten springen müssen, aber wenn du willst, helfe ich dir auch ein bisschen. Das muss bestraft werden, diese Schweinerei!“
„Wenn du dich für mich umhörst, ist die doch auch wieder dabei!“ Er deutete auf meine Person wie auf eine verrostete Teertonne. Komisch eigentlich, wie viele Menschen gegenüber Lesbenpaaren in eine Art „La-Belle-et-la-Bete-Schema“ verfallen: Da gibt es meistens die Gute, Schöne und nach den herrschenden Maßstäben Angepasstere und die Latzhosige, Finstere mit Stoppelhaaren. Nun, in meinem Fall, da ich keine Stoppelhaare und auch kein wieder von den Toten auferstandenes Butch-Image pflege, war es wohl eher mein das staatliche Gewaltmonopol brechender Beruf, der mich in Schmidtkens Augen zur Unperson abstempelte, trage ich doch auch schon seit zwanzig Jahren keine Latzhosen mehr und die Haarmatte auf meinem slawischen Rundschädel ist ungefähr zehn Zentimeter lang, weich und, wie ich finde, durchaus von eher femininer, dunkelblonder Farbe.
„Natürlich ist die auch dabei!“ Rosi gluckste ob Schmidtkens Abscheu vor einer privaten, weiblichen Selbstverteidigungstrainerin. „Und du wirst noch dankbar dafür sein, nehme ich an. Denn wenn du Pech hast, werden sich deine Untersuchungen in einer reinen Frauenwelt abspielen, einer Welt aus allein erziehenden Müttern, karrieregeilen Ledigen, wilden, unterbezahlten Projektfrauen und“, sie lachte laut und hakte sich bei mir unter, „Lesben! Gute Nacht!“
Während wir Schmidtken leicht verdutzt am Eingang der Seitenstraße stehen ließen, rollten wir wie zwei Seebärinnen auf Landgang vergnügt dem verspäteten Besuch der heutigen, hiesigen Frauenkneipe entgegen.
3. Kapitel
In den Provinzhauptstädten Deutschlands, in denen nicht alle Tage irgendwo ein Frauenereignis in einem männerfreien Ambiente stattfindet, werden die wöchentlichen oder eventuell gar nur vierzehntägigen Frauenkneipen in der Regel gut besucht.
Da taucht dann nicht nur die einsame, meist ortsfremde Wen-Do-Trainerin auf der Durchreise auf, da zieht es die Landlesben von ihren unökonomisch geführten Kleinstbiobäuerinnenbetrieben und leicht verkommenen Pferdehöfen ins brodelnde Kleinstadtleben, die dreieinhalb festen Lehrerinnenpärchen als jeweilige Vertreterinnen der drei wichtigsten Schultypen unseres nordrhein-westfälischen Landes sitzen an ihrem Lehrerinnentisch und besprechen die Realien des Daseins zwischen Beamtinnentum und Comeoutbestrebungen. Und da hängen die obligaten Kajaldamen zwischen fünfzehn und achtzehn Jahren am Tresen herum. Schick behängt mit diesen nierenkranken, ausgebleichten Jäckchen, an den Füßen Plateausohlen. Sie können sich immer noch nicht entscheiden, ob sie nun Mädels wollen oder doch wieder lieber mit den Jungens weiter rumhängen – echt ätzig die, echt! Sie werden misstrauisch beäugt von den zwanzig- bis fünfundzwanzigjährigen Junglesben in Lederjacke und mit Stoppelkopf, die es geschafft haben, sowieso demnächst nach Köln oder Berlin emigrieren werden und verachtungsvoll auf alle Provinztussis hernieder blicken. Dazu gibt es eigentlich keinen Grund, denn das Häuflein übrig gebliebener, aufrechter Politfrauen aus grandioseren Jahren, grau geworden in den jahrzehntelangen Kämpfen zwischen Männerherrschaft und Beziehungskisten, debattiert ernst und so laut, dass bitte es alle hören mögen, die beklagenswerte Unpolitisiertheit der jungen Generation – zu der sowieso alle unter siebenunddreißig gehören! Meistens artet das aus in den üblichen Hickhack zwischen der Ober-Hetero-Politfrau des Ortes, die sich irgendwann mal für das Engagement bei den Grünen entschieden hat, und der Ober-Lesben-Politfrau, die heute die regionale Ansprechpartnerin der Feministischen Partei ist. Vor vielen Jahren waren sie die erbittert verfeindeten Queens of the Scene, leider auch einige Male miteinander im Bett, was sie besser hätten bleiben lassen sollen. Heute sieht das Ganze viel gelassener aus. Die hohen Sturmeswellen der Jugend sind verklungen, die wilden Gebirgszacken aller Dissenzen zu ruhigen Tälern glattgehobelt. Man kann wieder miteinander – zumindest einmal in der Woche oder im Monat einen Abend lang.
Rosi hat gewissermaßen eine biografische Lücke von zehn Jahren, was diese Szene betrifft.
„Manchmal muss man sich entscheiden“, erklärte sie mir einst an einem lieblichen Sommerabend